Weihnachten in Jerusalem
Weihnachten wie ein Trüffelschwein suchenAbt Nikodemus Schnabl leitet die Dormitio-Abtei, die deutschsprachige Benediktinerabtei auf dem Berg Zion. Im Gespräch erzählt er, warum er die Heilige Nacht jedes Jahr durchwacht und welche Hoffnung es für die Zukunft im Nahen Osten gibt.
Wie die Dormitio-Abtei den Advent feiert
Abt Nikodemus, wie feiern Sie in der Dormitio-Abtei Advent?
Abt Nikodemus Schnabel: Ganz klassisch. Wir haben bei der ersten Vesper zum Advent den Adventkranz gesegnet und mit der Gemeinde gefeiert. Was viele auch gar nicht wissen, neben dem Kloster, dem Theologischen Studienjahr und dem Kloster in Tabgha führen wir die deutschsprachige Auslandsseelsorge. Der Advent ist geprägt von den Gebetszeiten des Stundengebets. Und wir haben auch drei Roratemesse, wie man das kennt, nur mit Kerzenschein. Aber abends, um den Gläubigen die Teilnahme zu ermöglichen.
Weihnachtsmärkte in Jerusalem
In Deutschland und in Österreich sind die Christkindlmärkte überlaufen. Gibt es die in Jerusalem auch?
Die evangelische Gemeinde hatte einen kleinen Markt in ihrem Kreuzgang für die deutschsprachige Community. Da waren ein paar Brüder da. Wir Christen sind ja eine unglaublich kleine Minderheit. Wir sind hier nicht das Stadtbild prägend und auch nicht kulturprägend.
Die Mehrheit der Menschen hier sind Juden oder Muslime. Um das vielleicht auch noch mal ganz klar sehr auf den Punkt zu bringen: Der 24. Dezember ist ein Werktag. Auch der Christtag ist ein Werktag. Also, das heißt, hier haben die Behörden, die Post, die Geschäfte offen, es wird gearbeitet. Unsere kleine Minderheit von 1,8% der Bevölkerung ist zusätzlich noch aufgeteilt auf drei Weihnachtsfesttermine. Da muss man eher wie ein Trüffelschwein suchen, um Weihnachten im Straßenbild zu finden.
Heiliger Abend in Jerusalem
Und am Heiligen Abend?
Wir haben eine klassische Christmette auf Deutsch am frühen Abend. Und dann haben wir um Mitternacht eine große Vigil. Es gibt immer wieder Psalmen und Lesungen.Und da kommen wirklich israelische Juden. Die erinnern sich auch an das sogenannte „Weihnukka“ ihrer Großeltern und Urgroßeltern. Es ist in diesen Tagen auch das jüdische Chanukkafest. Und in Deutschland und Österreich wurden bis zur Vertreibung der jüdischen Gemeinschaft durch das NS-Regime oft beide Feste gefeiert. Alle singen dann bei uns auch mit: „Stille Nacht“ und „Oh du Fröhliche“. Ich glaube, ich bin wirklich der einzige katholische Priester, der zu Weihnachten eine Predigt vor Juden hält. Da betone ich: Ich möchte nicht so begeistert von der Geburt Jesu erzählen, dass ihr das Gefühl habt, ich will euch missionieren. Ihr seid freiwillig hier. Ihr müsst mir versprechen, dass ihr alle wieder als Juden hier rausgeht!
„Ich glaube, ich bin wirklich der einzige katholische Priester, der zu Weihnachten eine Predigt vor Juden hält."
Pilgern nach Bethlehem zu Weihnachten
Werden Sie in der Heiligen Nacht nach Bethlehem gehen?
Selbstverständlich. Das ist mittlerweile fast schon ein Brauchtum. Wir haben jetzt schon das 20. Mal unsere Aktion: „Ich trage deinen Namen nach Bethlehem“. Dieser Weg ist sehr berührend. Wir werden dann an der Straße langgehen, vorbei an Lastwagen, die die Geschäfte beliefern, an Putzkolonnen, die die Straße sauber machen. Also, da ist wirklich überhaupt keine Weihnachtsstimmung. An denen gehen wir wirklich vorbei auf diesen Ausfallstraßen nach Bethlehem durch den Checkpoint. Tatsächlich gibt es ein Agreement, dass die Polizei, gerade wenn sie sieht, dass Christen beim Checkpoint sind, nicht ganz so strikt ist. Das ist die politische Realität dieses Landes. Wir kommen dann gegen 4:30 Uhr in Bethlehem an. Meistens ist es dann so, dass der Muezzin zum Frühgebet ruft. Dann gehen wir in die Geburtsgrotte und haben die wirklich für uns alleine. Die einzigen Betenden sind katholische Migranten, vor allem Inder, die sich extra frei nehmen. Dann beten wir das Morgenlob für die Menschen, die uns anvertraut sind. Und das ist natürlich für mich auch immer ein emotionaler Moment. Denn ich knie an dem Ort, wo die Sehnsüchte von Millionen Menschen hingehen. Und dann denke ich mir, die Mächtigen, die jetzt sich hier aufplustern, haben nicht das letzte Wort. Das letzte Wort über mein Leben, das Leben der anderen Menschen, über diese Welt hat der, dessen Geburt wir in Bethlehem feiern. Und das gibt mir Hoffnung.
„Den anderen als Menschen wahrnehmen, das braucht noch Zeit.“
Die Stimmung in Israel
In Gaza ist seit mehr als zwei Monaten Waffenruhe. Wie empfinden Sie die Stimmung in Israel?
In Gaza gibt es eine orthodoxe und eine katholische Pfarre. Sie harren aus und sind natürlich erschöpft. Die Christen sind bewusst geblieben, aber ich sag mal, viele andere der muslimischen Palästinenser sind zum Teil neun Mal geflohen. Frieden ist etwas anderes. Und in Israel sind die Geiseln endlich raus. Die sterblichen Überreste sind überführt, aber auch da ist kein Frieden. Auf beiden Seiten hat man verloren. Jetzt ist dieser ganz lange Weg zur Versöhnung. Da meine ich nicht nur das Aufbauen, sondern wieder Vertrauen fassen, wieder den anderen als Menschen wahrnehmen. Das braucht noch Zeit. Ein päpstlicher Delegat und ein guter Freund war in Gaza und hat gesagt, dass ihn die Kinder der Pfarre sehr beeindruckt haben. Sie spielen mit Raketentrümmern, haben aber keinen Hass. Sie sagen: „Wir beten jeden Tag, lieber Gott, schütze alle Menschen, schütze die Palästinenser, schütze die Israelis, schütze die Juden, schütze die Muslime.“ Da bin ich stolz und berührt über die christliche Erziehung, dass es gelungen ist, die Kinder zur Hoffnung und zur Menschlichkeit zu erziehen, in dieser Haltung zu beten: Gott, halte deine schützende Hand über uns alle.
Weg zum Frieden
Wie könnte denn ein Weg zu einem dauerhaften Frieden aussehen?
Auf beiden Seiten stehen Politiker übelster Sorte. Da wird dehumanisiert und dämonisiert. Ich glaube, das abrahamitische Menschenbild kann helfen, wie in Genesis 1,26–27, jeder Mensch ist nach dem Bild Gottes geschaffen oder im Koran, Sure 2, Vers 30: Jeder Mensch ist Stellvertreter Gottes. Zuhören ist ganz wichtig, auch mal ertragen, was der andere zu sagen hat. Und Kompromisse. Die jüdischen Israelis sehnen sich nach Sicherheit und die Palästinenser nach Freiheit und Selbstbestimmung. Und da muss man einfach sagen: Gut, wenn das die beiden Leitmotive sind, wie schafft man eine Lösung? Aktuell haben wir leider das Gegenteil.
Zur Person:
Nikodemus Schnabel OSB ist Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem. Der 47- jährige Benediktiner äußert sich regelmäßig zur Situation im Heiligen Land.
„Ich trage deinen Namen ...
... in der Heiligen Nacht nach Bethlehem“ ist eine berührende soziale Weihnachtsaktion. Auf dem nächtlichen Weg nach Bethlehem nimmt die Pilgergruppe auf einer Schriftrolle die Namen vieler Menschen mit, für die dann in der Geburtsgrotte gebetet wird. 105.413 Namen waren es im Vorjahr – mit dem festen Glauben und der frohen Hoffnung, dass Gott in unser aller Leben eintreten will! Mit den zusätzlich erbetenen Spendengeldern können die Benediktiner der Dormitio-Abtei die Arbeit in Behinderteneinrichtungen finanzieren.
Anmeldungen sind noch möglich: ▶ dormitio.net