Österreich lädt zu Tisch – und zu Gesprächen
Neue InitiativeWenn man bei der Familien-Weihnachtsfeier den einen Onkel meidet, der nicht an das Corona-Virus glaubt oder man im Freundeskreis das Thema „Nahost-Konflikt“ lieber nicht mehr anspricht, dann geht es einem wie vielen Österreicherinnen und Österreichern.
Auch wir Redakteurinnen habe oft keine Lust in unserem Alltag oder in der Freizeit uns mit anderen Meinungen und Ansichten auseinanderzusetzen. Ebenso bleibt man in den sozialen Medien zur Sicherheit lieber in seiner Blase. Was wir damit aber ein Stück weit verlernen,, ist die Konfliktfähigkeit. Darum haben Agathe Lauber-Gansterer und Cornelia Grotte sich für einen Abend aus ihrer „Blase“ gewagt und das Event „Österreich der runden und eckigen Tische“ am Wiener Rathausplatz besucht.
Ehrliche Gespräche
Es ist ein warmer Augustabend am Wiener Rathausplatz. Auf einer erhöhten Terrasse zwischen den Baumkronen stehen gedeckte Tische bereit, an denen Menschen Platz nehmen, die sich noch nie zuvor begegnet sind. Was sie verbindet? Der Mut, aufeinander zuzugehen und die Bereitschaft, einander zuzuhören. Am 5. August lud die Initiative „Österreich der runden und eckigen Tische“ zu einem neuerlichen Abend der Begegnung und des Austauschs: gemeinsam essen, einander kennenlernen, persönliche Verbindungen schaffen. Und vor allem eines: raus aus der eigenen Bubble (sozialen Blase) und Menschen begegnen, mit denen man sonst keinen Kontakt hat.
Das Prinzip der Veranstaltung ist einfach: Man lädt eine Person ein – am besten jemanden, den man nicht gut kennt, oder von dem man weiß, dass er eine andere Meinung vertritt – und nimmt an einem interessanten Abend teil. Bei Essen und Getränken wird auf mehreren Tischen zu jeweils fünf Personen über Gott und die Welt diskutiert.
Essen verbindet – überall und zu jeder Zeit
„In jeder Kultur und Religion kommen die Leute zum Essen zusammen und teilen ihr Leben miteinander im Gespräch“, erklärt Katharina Jeschke, Geschäftsführerin der Initiative. „Runde und eckige Tische laden genau dazu ein! Unser Ziel ist es, Räume zu schaffen für echte Begegnung, neue Perspektiven und bleibende Verbindungen.“ In einer Zeit zunehmender gesellschaftlicher Spannungen arbeitet diese österreichweite Aktion mit einem einfachen, aber kraftvollen Konzept: Menschen beim gemeinsamen Essen zusammenbringen. Die Vision dahinter ist klar – mit Menschen, die völlig anders denken, Tischgemeinschaften zu gestalten.
Der Abend folgt einem durchdachten Rhythmus. Mit dem Aperitif beginnen bereits Gespräche und die erste Kontaktaufnahme. Nach der Begrüßung durch Katharina Jeschke und Schauspielerin Linda Hold als Gastgeberinnen stellen sich die Teilnehmer gegenseitig vor – eine erste, sanfte Art der Annäherung.
Fragen führen zu Gesprächen
Beim Hauptgang (es gibt Teriyaki mit Huhn oder Lachs) wird es persönlicher, beim Dessert (ein köstlicher Kaiserschmarrn) lockerer – während des Essens kommen auch aus einem Glasbehälter gezogene Fragen zum Einsatz: „Was habe ich vor kurzem zum ersten Mal in meinem Leben gemacht?“ oder „Was würde ich heute meinem jüngeren Ich sagen?“ Diese scheinbar einfachen Fragen öffnen Türen zu überraschenden Geschichten und oft unerwarteten Gemeinsamkeiten.
Viel Bedarf an echtem Gespräch
Schauspielerin Linda Hold, die den Abend als Moderatorin mitgestaltete, war sichtlich bewegt: „Ich dachte nicht, dass die Gespräche so angeregt sind. Und dass Menschen so offen sind anderen gegenüber, die sie eigentlich nicht kennen. Ich empfinde große Dankbarkeit, dass alle hier so mutig waren.“ Auch Steffi bestätigt diesen Eindruck: „Ich merke, dass da Menschen mit sehr viel Interesse da sind und natürlich die Fragen sehr anregen, über neue Themen zu reden – das mit Essen in Kombination an einem Sommerabend ist eine tolle Sache.“ Sie schätzt besonders die Vielfalt der Teilnehmerinnen und Teilnehmer: „Menschen aus verschiedensten Ecken, aus verschiedensten Berufen, verschiedensten Altersgruppen.“
„Die Grundhaltung ist einfach: ,Sprich von Herzen. Erzähl von dir und sag ehrlich, was du denkst. Hör zu und schätze deine Gesprächspartner."
Gespräche bei angenehmen Sommerwetter
Linda Hold bringt einen weiteren Aspekt auf den Punkt: „Ich glaube, dass es sehr viel Bedarf gibt an wirklichem Gespräch. Und in dieser ganzen digitalisierten Welt, in der wir uns schon befinden, ist es umso wichtiger, ernste, wahrhaftige Gespräche face-to-face zu führen.“ Thomas, der gemeinsam mit seiner Schwester Steffi teilnahm, fasst die Erfahrung so zusammen: „Ich finde das sehr faszinierend, dass man auf diese Weise, in einem kleineren Kreis, Menschen begegnen kann. Es ist einfacher, hier zu diskutieren und sich über eigene Erfahrungen, über Einblicke, über gewisse Dinge auszutauschen.“
„Bei angenehmem Sommerwetter erlebten wir erneut, wie viel Tiefe, Offenheit und Inspiration entstehen, wenn Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen miteinander ins Gespräch kommen“, resümiert Katharina Jeschke den dritten Gesprächsabend im Rahmen des Filmfestivals. Ein besonders bewegender Moment: An einem der Tische war der Austausch so intensiv, dass sich sechs Personen, die einander zuvor nicht kannten, noch am selben Abend zu einer gemeinsamen WhatsApp-Gruppe zusammenschlossen.
Jeder kann mitmachen
Die Botschaft der Initiative ist klar: Alle können mitmachen. Auf der Website gibt es eine Toolbox für alle, die aktiv werden wollen – mit Mustereinladungen, Beispielfragen und Gesprächshaltungen. „Sei es auf einer Picknickdecke oder sei es in einem Park, egal wo – man kann das in kleinen Kreisen auch veranstalten“, ermutigt Linda Hold. Die dafür empfohlene Grundhaltung ist einfach, aber wirkungsvoll: „Sprich von Herzen. Erzähl von dir und sag ehrlich, was du denkst. Hör zu und schätze deine Gesprächspartner!“
Hier geht es zur SONNTAGs-Jause zum dem Thema. Weitere Infos, Anregungen und Materialien unter:
▶ rundundeckig.at
Buchtipp: Mit „Abrahams Küche“ vielseitig bewirten
Wer jetzt Lust bekommen hat, Gäste aus verschiedenen Richtungen um seinen Tisch zu versammeln und zu bewirten, kann Rezeptideen im umfassenden Kochbuch „Abrahams Küche“ von David Haliva finden. Dieses versammelt Gerichte des Nahen Ostens und vermittelt deren Geschichte. Viele vorgestellte Speisen wurden meist sowohl von arabischer wie jüdischer Seite zubereitet, gegenseitig übernommen und abgewandelt. Mögen die Menschen in Israel und Palästina bald wieder in Frieden leben und Gemeinsamkeiten neu entdecken.
Ob Shakshuka, Challa, Bagels oder Baklava – die Rezepte in „Abrahams Küche“ erzählen, wie man sie zubereitet und woher sie kommen. Die Küche des Nahen Ostens verfügt über einen großen Reichtum an Geschmäckern. Dort, wo sich früher Handelsrouten gekreuzt haben, entstanden kulinarische Schnittpunkte. Jedes Gericht öffnet ein Fenster in die Geschichte und Kultur des Nahen Ostens. Die Anleitungen sind klar und gut verständlich, sodass auch Hobbyköche loslegen können. Das Buch verbindet kulinarisches Wissen mit landeskundlichen Einblicken und zeichnet das Bild einer vielfältigen Esskultur. Ein einfaches, frisches Rezept daraus, das sich für sommerliche Begegnungen eignet, ist der
Blattsalat mit Orangen und Parmesan - (Zutaten für 4 Personen):
- Saft von einer Orange,
- ein halber Teelöfel fein abgeriebene Orangenschale,
- zwei Esslöffel Olivenöl,
- ein Teelöffel feinkörniges Salz,
- ein halberTeelöffel frisch gemahlener schwarzer Pfeffer,
- eine Handvoll frische Minzeblätter,
- eine
- Handvoll frische Petersilie,
- eine Handvoll Raukeblätter,
- zwei Orangen, filetiert (ohne Kerne und Häute),
- 50 Gramm gehobelter Parmesan
Zubereitung: Orangensaft, -schale, Öl, Salz und Pfeffer verrühren. Hälfte der Minze, Petersilie und Raukeblätter in eine Salatschüssel legen, mit der Hälfte der Orangen belegen, wiederholen. Dressing und Parmesan darübergeben.
David Haliva, Abrahams Küche, Die Gestalten Verlag, 304 Seiten, ISBN: 978-3-96704-157-6,EUR 47,50