Innitzer: Erst Sozialminister, dann Erzbischof

Gedenken
Ausgabe Nr. 43
  • Wien und Niederösterreich
Autor:
Immer für die Schwächsten da: Kardinal Theodor Innitzer (1875–1955).
Immer für die Schwächsten da: Kardinal Theodor Innitzer (1875–1955). ©kathbild.at/Rupprecht

Kardinal Theodor Innitzer prägte die Erzdiözese Wien als Erzbischof in der schweren Zeit von 1932 bis 1955. Der Wiener Kirchenhistoriker Rupert Klieber beleuchtet das Wirken Innitzers.

Einen politischen Weitblick hatte er weniger, aber dafür ein selbstbewusstes Auftreten und eine ausgeprägte soziale Ader: So skizziert der Kirchenhistoriker Rupert Klieber gegenüber dem SONNTAG Kardinal Theodor Innitzer.

Werbung

Kardinal Innitzer lenkte die Erzdiözese Wien durch turbulente Jahrzehnte

Wie lässt sich das Wirken von Kardinal Theodor Innitzer umschreiben, der heuer vor 150 Jahren geboren wurde und vor 70 Jahren verstorben ist?

RUPERT KLIEBER: Innitzer hatte die große Erzdiözese Wien – eine der größten der Welt – durch Jahrzehnte zu lenken, die politisch so fordernd waren wie wohl keine Amtsperiode davor. Auf der anderen Seite erlebte der Katholizismus in dieser Zeit statistische Höhenflüge in puncto Berufungen zum Priester- und Ordensleben. Das schuf zwar einen großen Mitarbeiterstab, bedingte aber auch eine personelle Bandbreite von Klerus und Ordensleuten wie selten zuvor. Das alles zusammenzuhalten und durch schwierige Zeiten zu lotsen, war zweifellos eine Mammutaufgabe. Innitzer verfügte zu dieser Aufgabe über etliche gute Eigenschaften wie ein selbstbewusstes Auftreten oder eine ausgeprägte soziale Ader, politischer Weitblick aber gehörte leider nicht dazu.

Theodor Innitzer: Sozialminister und Erzbischof von Wien

Nach seiner Tätigkeit als Universitätsprofessor für Neues Testament in Wien war Innitzer kurz auch Sozialminister. Ist er bislang der einzige Erzbischof von Wien, der zuvor auch Minister war? 

Innitzer war ein Kurzzeit-Minister von knapp einem Jahr. Vor ihm war noch nie ein Minister zum Erzbischof geworden, wiederholt aber hohe Beamte des Kultusministeriums. Möglich machte das eine Zeit, in der die politischen Umstände eine Vielzahl an Priesterpolitikern hervorbrachten, mit Ignaz Seipel auch den prägendsten Bundeskanzler der Ersten Republik.

 

Wie ist Innitzers Haltung bezüglich des Anschlusses Österreichs an Hitler-Deutschland zu erklären?

Innitzer war wie ganz Österreich vom Tsunami der Ereignisse im März 1938 überrumpelt worden und versuchte zu retten, was zu retten ist. Seine sudetendeutsche Herkunft, einflussreiche Berater aus dem deutschkatholischen Milieu und die verbreitete Euphorie der Bevölkerung verleiteten ihn dabei zu einem Entgegenkommen und Optimismus gegenüber dem neuen Regime, die sich alsbald als fatal herausstellen sollten.

„Innitzer war wie ganz Österreich vom Tsunami der Ereignisse im März 1938 überrumpelt worden.“

Rupert Klieber

Kardinal Innitzer: "Christus ist unser Führer"

Wie kam es dazu, dass Innitzer dann noch im selben Jahr 1938 im Oktober mit dem Ruf „Christus ist unser Führer“ im Stephansdom die katholische Jugend ermutigt und 1940 die „Erzbischöfliche Hilfsstelle für nichtarische Katholiken“ eingerichtet hat? 

Hinsichtlich der spektakulären Rosenkranz-Feier 1938 gilt es, Mythen zurechtzurücken. Das Verdienst, dem NS-Regime noch einmal das Straßen-Monopol entwunden zu haben, gebührt weniger Innitzer als den organisierten katholischen Jugendlichen, die sich durch eine klug orchestrierte religiöse Feier im Dom samt emotionaler Bischofspredigt zu einer Demonstration von Bekennermut anspornen ließen, bei der alle Vorsicht in Vergessenheit geriet. Nicht nur der im Palais überfallene Bischof, sondern auch nicht wenige Jugendliche zahlten dafür eine hohe Zeche, etwa durch Haft oder Behördenschikanen im weiteren Lebensweg. Die Einrichtung der „Hilfsstelle für nichtarische Katholiken“ wiederum lag auf Innitzers Linie der Hilfe für die Schwächsten der Schwachen, fielen diese doch durch alle sonstigen Hilfsnetze.
 

Kardinal Innitzer zum Holodomor

In den 1930er Jahren machte Innitzer als einer der wenigen im Westen auf den „Holodomor“, die durch die Sowjets eingeleitete Hungerkatastrophe in der Ukraine, aufmerksam. Wie waren damals die Reaktionen?

Die Ukraine erlebte in den 1920/30er Jahren die Katastrophe einer brutalen politischen wie kulturellen Gleichschaltung durch das kommunistischen Stalin-Regime sowie durch die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft eine wirtschaftlich beispiellose Not. Durch die Verbindungen aus Monarchie-Zeiten nach Galizien, durch die geographische Nähe sowie einen steten Flüchtlingszustrom spürte man in Wien die seismographischen Wellen dieses Erdbebens naturgemäß stärker als im westlichen Europa. Hinzu kam die Unterdrückung der katholischen Ostkirchen in den betroffenen Gebieten, deren Geistliche mit heimischen Kirchenleuten in regem Kontakt standen. Durch seine ausgeprägte soziale Ader gingen Innitzer die Berichte über die ungeheure Not sehr zu Herzen und ließen ihn 1933 überkonfessionelle, internationale Appelle und Hilfsaktionen anregen, die leider Gottes nur ein beschränktes Echo hervorriefen. Angesichts des Ausmaßes der Not konnten sie zudem nur Tropfen auf einem brennheißen Stein bilden. Dennoch bleibt ihm das Verdienst, als eine von wenigen Persönlichkeiten die Problematik früh erkannt und benannt zu haben sowie im Verbund mit Repräsentanten mehrerer christlicher Konfessionen und der Israelitischen Kultusgemeinde auf Abhilfe gedrängt zu haben.

Gründung der "Theologischen Kurse" durch Innitzer

Warum gründete Innitzer die „Theologischen Kurse“? 

Innitzer war der Bischof, der das neue Ideal von Papst Pius XI. für die Organisation der Laien in einer sogenannten Katholischen Aktion als erster und am gründlichsten in Österreich umzusetzen trachtete. Das Ideal beinhaltete einen „Aposteldienst“ der katholischen Laien in der Mitte der Gesellschaft, sprich: ihre Mitwirkung in der kirchlichen Verkündigung, ohne sich wie bisher allzu sehr im Politischen zu verzetteln. Das bedingte eine ausreichende theologische Schulung der führenden Kräfte, für die nun entsprechende Kurse angeboten wurden. 

©Joseph Krpelan

Zur Person:

Rupert Klieber lehrte Kirchengeschichte an der Universität Wien.

Autor:
  • Stefan Kronthaler
Werbung

Neueste Beiträge

| Spiritualität
Himmel und Erde

Am 23. November erscheint es: Unser Weihnachtsmagazin 2025 mit dem Titel "Mehr Licht". Dieses Jahr steht unser "Himmel & Erde"-Magazin ganz im Zeichen des Ehrenamtes.

| Weltkirche
Red Wednesday

Zwei Drittel der Menschheit leben in Ländern ohne vollständige Religionsfreiheit. Das zeigt die im Oktober 2025 veröffentlichte Studie von „Kirche in Not“. Die Organisationen „Kirche in Not“ und „Christen in Not“ berichten über die Gründe für die zunehmende Verfolgung von Christen.

| Leben
(Mini)Auszeiten bewusst nehmen

Manchmal braucht es keinen langen Urlaub, sondern nur einen Moment der Pause. Ein freier Tag, eine freie Stunde – das alles kann unsere Kraft stärken, mit den Herausforderungen unseres Alltags umzugehen. Selbst Papst Leo XIV lebt es vor: Kleine Auszeiten sind kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit.