Unterwegs in Assisi

Schöpfungszeit
Ausgabe Nr. 35
  • Weltkirche
Autor:
Dem heiligen Franziskus begegnet man in Assisi auf Schritt und Tritt. Und der Natur buchstäblich an – fast – jeder Hauswand.
Dem heiligen Franziskus begegnet man in Assisi auf Schritt und Tritt. Und der Natur buchstäblich an – fast – jeder Hauswand. ©Harringer

Assisi, das ist die Stadt, die Herz und Sinne öffnet. Zwischen alten Mauern und stillen Plätzen entfalten sich eine einzigartige spirituelle Tiefe und eine Atmosphäre, die zum Innehalten und Genießen einlädt. Ein Reisebericht zum Start der Schöpfungszeit am 1. September.

Der umbrische Wallfahrtsort Assisi an einem warmen Sommerabend: Vor einer Stunde erst bin ich hier mit meiner Familie angekommen, wir haben Quartier bezogen und die Koffer schnell ausgepackt. Jetzt wollen wir noch einen kurzen Spaziergang in der unmittelbaren Umgebung unserer Unterkunft machen. Die Straßen sind noch sehr belebt. Menschen – Junge genauso wie Alte – so weit das Auge reicht. Sie spazieren mit einem Eis in der Hand, sitzen in den Restaurants und Cafés. Die Atmosphäre ist trotzdem geprägt von einer einzigartigen Ruhe und Entspanntheit. Keine touristische Betriebsamkeit, keine lauten Stimmen, kein Lärm. Aus einiger Entfernung hören wir Gesang – ein Kirchenlied, das gut zu den alten Mauern dieser mittelalterlichen Stadt passt. 

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Nehmen sie sich Zeit in Assisi

Nach wenigen Minuten stehen wir vor der Kathedrale San Rufino. Die Türen sind trotz der vorgerückten Stunde weit geöffnet, die Kirche innen hell erleuchtet – einladender geht es nicht. Mit großer Freude und Neugier betreten mein Mann, unser Sohn und ich den heiligen Ort. Das Erste, was wir suchen, ist ein Schalter oder Ähnliches, an dem wir ein Ticket für das Besichtigen lösen können. Assisi ist die letzte Station in diesem Urlaub, davor waren wir ein paar Tage in der Toskana und haben uns dort sozusagen daran gewöhnt, dass das Betreten einer Kirche an das Entrichten eines Eintrittsgeldes gekoppelt ist. Nicht so hier. Eine Ordensfrau, die meinen suchenden Blick bemerkt, kommt zu mir und fragt mich auf Englisch, ob sie mir helfen kann. Meine Bitte, mir zu sagen, wo man Tickets für diese Kirche bekommen kann, quittiert sie mit einem freundlichen Lächeln. „You don‘t have to pay. Just come in, enjoy and take your time. – Sie müssen nichts zahlen. Kommen Sie herein, genießen Sie und nehmen Sie sich Zeit“, sagt sie zu mir.
 

Assisi ist anders

Assisi ist anders. Der Eindruck, der sich uns schon auf den ersten Metern aufgedrängt hat, wird mit diesen Worten bestätigt. 
Als wir aus der Kathedrale wieder heraustreten, ist der Himmel bereits stockdunkel, die Straßen aber von den Straßenlaternen in warmes Licht getaucht. So einladend das auch aussieht, wir beschließen trotzdem für heute zurück in unser Quartier zu gehen und die Stadt erst morgen weiter zu entdecken. 
 

Laudato si‘ o mi signore

Am nächsten Tag in der Früh, gleich nach dem Frühstück, gehen wir los. Und zugegeben, alleine sind wir auch jetzt nicht auf den Straßen unterwegs, aber die Menschen hier scheinen das zu berücksichtigen, was mir die Ordensfrau am Abend davor schon gesagt hat: Sie nehmen sich Zeit, genießen, haben keinerlei Hektik, bewegen sich mit Respekt, ja geradezu mit Ehrfurcht und sichtbarer Fröhlichkeit. Wir gehen an San Rufino vorbei weiter zur Basilika Santa Chiara. Vor der Kirche steht eine Gruppe offensichtlich deutschsprechender Jugendlicher, die inbrünstig das Lied „Laudato si‘ o mi signore“ singt. Ich nehme die Textzeilen „Sei gepriesen, du lässt die Vögel singen“, „Sei gepriesen für Felder, Wald und Täler“ wahr. Der Text passt in einzigartiger Weise an diesen Ort. Vor 800 Jahren hat der heilige Franziskus den Sonnengesang verfasst, jenen Lobpreis, der die Schönheit der Schöpfung besingt. 
 

Carlo Acutis – jüngster Heiliger hautnah in Assisi

Nachdem wir auch einen Blick in die Basilika Santa Chiara gemacht haben, gehen wir weiter. Dort, wo die Via Sant’Agnese auf die Via Antonio Cristofani trifft, gehen wir links hinunter zur Kirche Santa Maria Maggiore. Sollte diese Kirche, die fast ein wenig neben den ausgetretenen Pfaden durch Assisi liegt, jemals weniger Besuch gehabt haben als etwa San Rufino, Santa Chiara oder San Francesco, ist das seit einigen Jahren vorbei. Denn in der Kirche ist die Grabstätte des Seligen und bald auch jüngsten Heiligen Carlo Acutis (siehe Kasten rechts). In Jeans, Sneakern und einer Sweatjacke sieht man ihn da hinter einer Glasscheibe begraben – für Jugendgruppen aus aller Welt ist Assisi ohnehin immer Anziehungspunkt gewesen, jetzt ist es das einmal mehr. Carlo Acutis ist einer von ihnen, sein Grab zu besuchen gehört geradezu automatisch dazu.  
 

Kerzen, Rosenkränze, Kreuze: In den Gassen von Assisi

Weiter geht es durch die schmalen Gassen von Assisi – mal bergab, dann wieder bergauf. Trittsicher sollte man hier schon sein. Die vielen Menschen veranlassen, langsam zu gehen, was aber Zeit gibt, die Augen zu öffnen und Dinge zu erspähen, die man sonst vielleicht nicht gesehen hätte. Die kleine Keramikfliese mit der Aufschrift „Pax et bonum“ an der Hauswand etwa, die Blumen in Töpfen, die direkt an den Hausfassaden angebracht sind, oder auch die verspielten metallenen Zeichen an den Geschäften. Von denen gibt es hier übrigens genug. Verkauft werden vor allem religiöse Gegenstände – Kerzen, Rosenkränze, Kreuze und da vor allem das Tau, das franziskanische Kreuz, in allen Größen und allen Materialien, die man sich vorstellen kann. Die meisten Geschäfte sind gut besucht, die Verkäuferinnen und Verkäufer aber lange nicht so hartnäckig, oder sollte ich sagen aufdringlich, wie man das aus Touristenhochburgen kennt.
 

Andächtig still 

Schließlich sind wir bei der Basilika San Francesco angekommen und müssen uns auch hier nicht lange anstellen, um hineinzugelangen. Hier herrscht eine Art Einbahnregelung, um die Menschenmassen ein wenig zu lenken. Was furchtbar technisch klingt, erweist sich als ausgesprochen sinnvoll und stört auch nicht die Andacht. Auch wenn man mit dem Strom weitergespült wird, ist es kein Problem, da und dort stehen zu bleiben, Details näher zu betrachten oder auch sich in die Kirchenbänke zu setzen, die Atmosphäre aufzusaugen und zu beten. Dafür, dass eine andächtige Stimmung herrscht, sorgen auch die Ordner, die in der Basilika an verschiedenen Orten stehen – wird das Gemurmel der Menschen zu laut, kommt von ihnen ein sonores „Silentium“ und sofort ist es wieder andächtig still. 

Als wir die Basilika verlassen, muss ich an ein Zitat des heiligen Franziskus denken: „Das sicherste Mittel gegen die Fallen des Bösen ist die Fröhlichkeit des Herzens.“ Genau diese Form der Fröhlichkeit spürt man hier auf jedem Schritt und Tritt. Nicht verordnet, aber geschenkt. Bereit zum Mitnehmen – zurück in den Alltag. 

Assisi war einer von Carlo Acutis Wohlfühlorten – kein Wunder, dass er hier seine letzte Ruhestätte gefunden hat.
Assisi war einer von Carlo Acutis Wohlfühlorten – kein Wunder, dass er hier seine letzte Ruhestätte gefunden hat. ©wiki_commons/Dobros/CC_BY-SA_4.0

Carlo Acutis: Heiligsprechung am 7. September

 

„Glaubwürdiges Vorbild für Jugendliche“
Die Heiligsprechung des „Internetapostels“ Carlo Acutis, der 2006 mit nur 15 Jahren an Leukämie starb, wird die erste Heiligsprechung eines Millennials – also einer Person, die zwischen den frühen 1980er- und den späten 1990er-Jahren geboren wurde – in der langen Reihe der katholischen Heiligen sein. Zunächst war sie für den Sonntag nach Ostern, den 27. April, geplant gewesen. Doch dann starb Papst Franziskus wenige Tage zuvor; die große Feier wurde abgesagt und alles Weitere dem neuen Papst überlassen. Nun hat Leo XIV. entschieden: Der erste Heilige der „Generation Y“ wird am 7. September „zur Ehre der Altäre“ erhoben.

 

Ein Glassarg in Assisi
Der Hype um Carlo Acutis nimmt schon länger ungewöhnliche Züge an – spätestens seit seiner Seligsprechung, die im Oktober 2020 in Assisi stattfand. Den gläsernen Sarg in der dortigen Kirche Santa Maria Maggiore besuchten im vergangenen Jahr eine Million Menschen. Zudem kann man den Glassarg in einem Livestream betrachten. In einer Kirche in Rom sind ein Splitter seines Betts, ein Stück eines Pullovers und ein Teil des Lakens, mit dem er nach seinem Tod bedeckt war, ausgestellt.
Sein Herz, das in einem kostbaren Reliquienschrein aufbewahrt wird, ging 2024 auf Europatour. Auch im deutschsprachigen Raum kamen viele junge Menschen in die Kirchen, um sich mit dem Herz des „Cyberapostels“ fotografieren zu lassen. Biographien, Filme und Dokus erzählen die Geschichte des Sohnes wohlhabender Eltern.

 

Lob und Kritik
Was über ihn bekannt ist, stammt von seiner Mutter Antonia Salzano. So soll Carlo Karate, Tennis und Skifahren geliebt haben und schon als kleines Kind jeden Tag an einer Messe teilgenommen haben, um mit Jesus vereint zu sein. Die Eucharistie sei seine „Autobahn zu Gott“ gewesen – so der oft zitierte Satz des Burschen. Mit seinem Taschengeld habe er Schlafsäcke und Essen für bedürftige Menschen gekauft. Seine Begeisterung für das Internet nutzte er für seine Heimatgemeinde in Mailand. Zudem erstellte er eine Sammlung mit 108 eucharistischen Wundern, die heute auf einer eigenen Website zu finden sind. Hier sehen Kritiker ein Problem. Auf der „Liste der Eucharistischen Wunder in der Welt“ sind hauptsächlich „Hostienwunder“ verzeichnet, also Erscheinungen an geweihten Hostien, die vor allem ab dem 11. Jahrhundert auftauchen. Ein heikles Thema, denn mitunter ging solchen Wundern ein „Hostienfrevel“ voraus – bei dem Juden als angebliche Täter beschuldigt und ermordet wurden.


Zwei Wunder anerkannt
Im Vatikan scheint die Kritik an den Plänen zur Heiligsprechung nichts geändert zu haben. Zwei Wunder, medizinisch unerklärliche Heilungen von zwei Menschen, die nach Überzeugung der Kirche auf die Fürsprache des Verstorbenen bei Gott erfolgten, wurden anerkannt. Wenn die Heiligsprechung nun am 7. September über die Bühne geht, wird die Mutter dabei sein – etwas, was extrem selten vorkommt, denn meist dauern solche Verfahren Jahrzehnte. Zuletzt war das vor fast genau 75 Jahren der Fall: Am 24. Juni 1950 wurde die Märtyrerin Maria Goretti (1890–1902) heiliggesprochen – im Beisein ihrer 85-jährigen Mutter Assunta Goretti.  

Sabine Kleyboldt/KAP
 

Logo radio klassik Stephansdom.
Logo radio klassik Stephansdom. ©David Kassl

Perspektiven: Carlo Acutis

Am 7. September spricht Papst Leo XIV. Carlo Acutis und Piergiorgio Frassati heilig. 
Was unterscheidet sie und was vereint sie? Gestaltung: Stefan Hauser. Am 3. September, 17.30 Uhr: ▶ radioklassik.at

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Autor:
  • Portraitfoto von Andrea Harringer
    Andrea Harringer
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