Kardinal Turkson: Alle für die Veränderung

Klimagipfel in Wien
Ausgabe Nr. 36
  • Weltkirche
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Gesellschaftlicher Wandel ist die Kernbotschaft von Kardinal Peter Turkson.
Gesellschaftlicher Wandel ist die Kernbotschaft von Kardinal Peter Turkson. © Kathpress/HenningKlingen
Religionspanel:  Markus Gerhartinger (Umweltbeauftragter der Erzdiözese Wien), Marcelo Suárez-Orozco (PASS), Cornelia Richter (designierte evangelische Bischöfin in Österreich) und die Dominikanerin Schwester Helen Alford (PASS).
Religionspanel: Markus Gerhartinger (Umweltbeauftragter der Erzdiözese Wien), Marcelo Suárez-Orozco (PASS), Cornelia Richter (designierte evangelische Bischöfin in Österreich) und die Dominikanerin Schwester Helen Alford (PASS). © Kathpress/HenningKlingen

Vergangene Woche war die Akademie der Wissenschaften in Wien Schauplatz der internationalen Tagung „From Climate Crisis to Climate Resilience in Europe at Local and Regional Levels“. Gastgeber waren die Päpstliche Akademie der Wissenschaften (PAS) und die Päpstliche Akademie der Sozialwissenschaften (PASS) unter der Leitung von Kardinal Peter Turkson.

Kardinal Peter Turkson (76) ist ein Weltkirchenbürger. Geboren in Ghana hat er in den USA und Rom studiert. Seit 2022 ist er Kanzler der renommierten Päpstlichen Wissenschaftsakademien im Vatikan. Er setzt sich seit vielen Jahren für globale Veränderung ein.

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Kardinal Turkson eine Stimme für Gerechtigkeit

Kardinal Turkson, Sie sind eine weltweit bekannte Stimme der Kirche für Gerechtigkeit und Frieden. Warum haben Sie Wien für die Tagung „Von der Klimakrise zur Klimaresilienz“ ausgewählt?

Peter Kardinal Turkson: Im Mai letzten Jahres organisierte die Päpstliche Akademie der Wissenschaften eine erste Veranstaltung. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, Staatsoberhäupter einzuladen, sondern wir konzentrierten uns auf die Lokalebene: auf Bürgermeister, regionale Verantwortliche in der Verwaltung und Klimaaktivisten. Denn es ging darum, Menschen einzubeziehen, die für politische Maßnahmen und deren Umsetzung verantwortlich sind. Das Ziel war, konkrete Maßnahmen, Aktivitäten zu zeigen und nicht nur akademische Diskussionen. So kamen Bürgermeister aus San Francisco, aus Paris und aus umliegenden Gemeinden, aus Bologna und aus verschiedenen Orten in Italien. Wir wollten deutlich machen, dass Gespräche über Klima und insbesondere Klimaresilienz nicht nur für die Schublade gedacht sind, sondern zur Umsetzung führen müssen. Nach der Konferenz entstand ein Dokument – ein Aufruf zum Handeln. Dieses Dokument brachten wir zu Papst Franziskus. Er hat das auch unterzeichnet, ebenso wie die Bürgermeister. Daraufhin beschlossen wir, dass diese Initiative weltweit verbreitet werden soll. Denn die Klimakrise betrifft die ganze Welt. Wir suchten also einen Ort, der zentral gelegen ist und entschieden uns für Wien – auch, weil wir mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zusammenarbeiten wollten. Von hier aus geht es weiter nach Dakar im Senegal, dann nach Australien, Indien und wahrscheinlich zu den Pazifikinseln. Die zentrale Botschaft, die wir verbreiten, lautet: Wenn Menschen über globale Erwärmung und Klimawandel sprechen, denken sie oft nur an lokale Anpassung oder Schadensbegrenzung.Aber die Enzyklika Laudato Si’ spricht vor allem von Veränderung – von Umkehr, von einem Wandel des Herzens. Wir müssen unsere Haltung gegenüber vielen Dingen ändern, um den Klimawandel wirklich zu bewältigen. Deshalb setzen wir auf Anpassung, Schadensbegrenzung – aber auch auf gesellschaftlichen Wandel.
 

Werden Ihre Anliegen von der Politik gehört? Die Kirche und die Politik sind ja doch recht unterschiedliche Welten.

Natürlich unterscheiden sich Kirche und Politik in ihrer Herangehensweise – aber nicht im Ziel. Beide sind für die Menschen da. Wir verfolgen also ein gemeinsames Anliegen, wenn auch aus unterschiedlichen Perspektiven. Ich selbst habe Laudato Si’ bereits in New York bei der Generalversammlung vorgestellt, ebenso bei der UNESCO in Paris. Denn dieses Dokument vereint wissenschaftliche Erkenntnisse mit einem Aufruf an die Gesellschaft. Es ist kein politisches Manifest, sondern ein Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenleben.
 

Sie sagen, dass Bewusstsein und Handeln für die Schöpfung auch immer den Einsatz für soziale Gerechtigkeit beinhalteen. Sind wir als Christinnen und Christen glaubwürdig?

Ja, wir sind sehr glaubwürdig. Denn unser Engagement basiert nicht nur auf kirchlicher Lehre, sondern auch auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Als wir Laudato Si’ im Vatikan vorgestellt haben, waren bewusst Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei. Das zeigt: Dieses Dokument ist kein rein religiöser Text. Es vereint wissenschaftliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Perspektiven. Die Glaubwürdigkeit des Dokuments ist unbestritten. Aber macht das auch jene glaubwürdig, die es vertreten? Teils ja, teils nein. Ich kenne Bischöfe und Priester, die den Klimawandel leugnen und das Thema für irrelevant halten. Aber ich kenne auch viele junge Menschen, die sich mit Leidenschaft für den Klimaschutz einsetzen. Es gibt also beides: Ignoranz und Engagement. Doch die Kirche hat mit Laudato Si’ ein glaubwürdiges Instrument geschaffen. Und viele von uns, die es vertreten, tun dies mit großer Überzeugung.
 

„Wir müssen unsere Haltung ändern, um den Klimawandel wirklich zu bewältigen.“ 

Kardinal Peter Turkson

Kardinal Turkson über Verantwortung

Denken Sie auch über Ihre eigene Verantwortung nach? 

Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Ich lebe nicht in zwei Welten. Ich versuche, mein Leben in Einheit und Konsequenz zu führen. Was ich in einem Dokument vertrete, muss sich auch in meinem Alltag widerspiegeln. Sonst wäre ich nicht glaubwürdig. 

Als Konsumenten stehen wir täglich vor Fragen wie: Ist dieses Produkt fair produziert? Ist es nachhaltig? 

Die Frage der Ökologie ist für gläubige Menschen von zentraler Bedeutung – und das aus mehreren Gründen. Erstens: Wer an Gott glaubt, glaubt an den Schöpfer. Und wer Gott als Schöpfer verehrt, kann nicht gleichzeitig seine Schöpfung missachten oder zerstören. Das wäre ein Widerspruch zum eigenen Glauben. Zweitens: In Psalm 19 heißt es: „Die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes.“ Die Schöpfung selbst ist also ein Lobpreis Gottes. Wir Gläubige verwenden diese Sprache, um Gott zu verehren. Drittens: Unsere gesamte Liturgie ist durchdrungen von Elementen der Schöpfung. Womit taufen wir? Mit Wasser – einem Geschenk der Natur. Woraus besteht die Eucharistie? Aus Brot und Wein – ebenfalls Früchte der Erde. Unsere Sakramente sind tief mit der Schöpfung verbunden. Wie könnten wir also diese Elemente nutzen, um Gott zu verehren, und gleichzeitig die Schöpfung geringschätzen? Ein Christ, der die Schöpfung nicht achtet oder gar ausbeutet, lebt nicht im Einklang mit seinem Glauben. 
 

Turkson über den Klimawandel

Sie haben einmal gesagt, dass der weltweite Fleischkonsum zur Zerstörung der Regenwälder in Südamerika beiträgt. Sollten sich also die Menschen im Globalen Norden – wie wir in Europa – stärker ihrer Verantwortung für den Klimawandel bewusstwerden?

Ganz sicher. Ich habe damals über Brasilien gesprochen, aber das gilt ebenso für Argentinien und große Teile der USA. Um Rinder zu halten, braucht man Weideland. Also wird gerodet. Aber das ist nicht der einzige Grund für die Zerstörung von Wäldern. Ein weiteres Beispiel ist Südostasien – insbesondere Malaysia und Indonesien. Dort werden riesige Waldflächen abgeholzt, um Ölpalmen zu pflanzen. Palmöl ist in der Kosmetikindustrie stark nachgefragt. Vor etwa drei Jahren reagierte die EU darauf mit einem Importverbot für Palmöl. Wir haben daraufhin im Vatikan eine Konferenz organisiert, an der auch Vertreter Malaysias und Paul Polman von Unilever (er war CEO bis 2019) teilnahmen. Was zeigt uns das? Wir müssen wirtschaftliche Interessen und ökologische Verantwortung in Balance bringen. Es darf nicht sein, dass das Streben nach Profit die Lebensgrundlagen zerstört. Wir brauchen beides: eine funktionierende Wirtschaft und eine intakte Umwelt. Aber das eine darf nicht auf Kosten des anderen gehen. 

Autor:
  • Sophie Lauringer
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