„Du kannst doch deine Eizellen einfrieren ...“

Problemfelder der Bioethik
Ausgabe Nr. 44
  • Leben
Autor:
Kryokonservierung
Bei der Kryokonservierung werden Eizellen durch Einfrieren in flüssigem Stickstoff aufbewahrt. ©istock/Morsa Images

Eizellen einfrieren und später dann Kinder bekommen: Dies wird als die Möglichkeit schlechthin verkauft. Die Wiener Ethikerin Susanne Kummer sieht diese Entwicklung hingegen sehr kritisch. Wichtiger sei laut Kummer eine Gesellschaft, die Elternschaft wertschätzt.

Der Verfassungsgerichtshof hat das ausnahmslose Verbot des Einfrierens von Eizellen ohne medizinischen Grund als unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig eingestuft. Durch „Social Egg Freezing“ würden auch keine ethischen Probleme entstehen. Susanne Kummer, Ethikerin und Direktorin des Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) in Wien, sieht gegenüber dem SONNTAG dennoch eine Vielzahl von ethischen Fragen.

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Der Verfassungsgerichtshof hat das Verbot von Social Egg Freezing aufgehoben. Sie sehen diese Entwicklung kritisch. Warum?

SUSANNE KUMMER: Ich verstehe den Wunsch von Frauen nach Selbstbestimmung absolut. Niemand will bevormundet werden, wann der „richtige Zeitpunkt“ für ein Kind ist. Aber die Reproduktionsmedizin-Industrie vermarktet Social Egg Freezing als „Versicherung für später“. Man suggeriert Kontrolle und Planbarkeit, die medizinisch so nicht existieren. Frauen wird eine suboptimale, weil kaum erfolgreiche Technik als Freiheit verkauft. Statt für eine kinderfreundliche Kultur, in der Mutterschaft hochgeschätzt wird, einzutreten, wird das Problem auf die Einzelne geschoben. Das sehe ich kritisch.

In der Debatte wird oft vom „Recht auf ein Kind“ gesprochen. Gibt es dieses Recht? 

Ich verstehe den Schmerz ungewollt kinderloser Paare, das ist eine große Belastung. Der Wunsch nach einem Kind ist zutiefst menschlich und berechtigt. Aber aus diesem Wunsch lässt sich kein „Recht auf ein Kind“ ableiten. Die Europäische Menschenrechtskonvention sagt in Artikel 8: Kein Mensch darf daran gehindert werden, eine Familie zu gründen. Daraus folgt aber kein Anspruch, dass mir jemand zu einem Partner oder Kind verhelfen muss. Interessanterweise wird genau das von Lobbyisten der Reproduktionsindustrie derzeit international gepusht. Wir müssen ganzheitliche Wege einschlagen und in die Erforschung der Ursachen von Unfruchtbarkeit investieren. Tausende Paare werden heute alleine gelassen, obwohl sie bei entsprechender Behandlung auf natürlichem Weg Kinder bekommen könnten. Da braucht es ein Umdenken.

Viele Frauen fühlen sich unter Druck gesetzt – beruflich erfolgreich zu sein UND Mutter zu werden. Ist Social Egg Freezing nicht eine Antwort darauf?

Optionen schaffen Druck. Mutterschaft gilt für Frauen in Unternehmen als Karrierekiller. Frauen sollen möglichst lange „unschwanger“ gehalten werden, damit sie „produktiv“ sind. Jetzt heißt es: „Du kannst doch deine Eizellen einfrieren!“ In den USA bieten Großkonzerne Social Egg Freezing als Employee Benefit (Mitarbeitervergünstigung) an – das klingt fortschrittlich, ist aber das Gegenteil. Es ist zutiefst unsozial, Frauen auf eine technische Pseudo-Lösung zu verweisen, die ihnen als neue Freiheit verkauft wird.

„Statt Eizellen einzufrieren, sollten wir gesellschaftliche Verhältnisse auftauen.“

Susanne Kummer

Wie erfolgreich ist die Methode tatsächlich? Und welche Risiken werden unterschätzt? 
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Nur 11 Prozent der Frauen nutzen ihre eingefrorenen Eizellen später. Die Lebendgeburtenrate liegt bei Frauen über 38 Jahren bei nur 5 bis 10 Prozent. Das heißt: 9 von 10 Frauen gehen am Ende ohne Kind nach Hause. Das als „Versicherung“ zu verkaufen, ist unseriös. Das ist reine Geldmache. Hinzu kommen gesundheitliche Risiken: mehrere Runden massiver hormoneller Stimulation, invasive (eindringende) Eingriffe unter Narkose. Auch wenn die Eizellen „jung“ sind – der Körper der Frau altert. 

Was müsste sich ändern, damit Frauen nicht in eine ungewollte Kinderlosigkeit „hineinrutschen“? 

Wir haben ein fundamentales gesellschaftliches Problem. Familiengründung wird als etwas betrachtet, das erst ab Mitte 30 passieren soll. Erst kürzlich habe ich mit einer 26-Jährigen gesprochen, die ihr zweites Kind erwartet: Sie wird im Freundeskreis und vom Arbeitgeber schief angeschaut. Die Entscheidung für ein Kind hängt vom Partner, der Lebenssituation und vom gesellschaftlichen Klima ab. Diese Faktoren lassen sich nicht einfrieren und auftauen. Wir brauchen eine Gesellschaft, die Elternschaft wertschätzt und willkommen heißt. Statt Eizellen einzufrieren, sollten wir die gesellschaftlichen Verhältnisse auftauen.

©Stephan Schönlaub

Zur Person

 

Susanne Kummer will keinen Druck auf Frauen und lobbyiert für ethisches Denken und Handeln in der Reproduktionsmedizin.

Autor:
  • Stefan Kronthaler
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