Amoklauf: „Hoffnung ist etwas Zartes“

Amoklauf in Graz
Ausgabe Nr. 25
  • Spiritualität
Gedenkstrasse beim BORG Dreierschützengasse nach dem Amoklauf an einer Grazer Schule.
Gedenkstrasse beim BORG Dreierschützengasse nach dem Amoklauf an einer Grazer Schule. ©wiki_commons/Armin_Ademovic/CC_BY_4.0

Nach dem Amoklauf in einer Grazer Schule mit elf Toten am 10. Juni plädiert der Wiener Pastoraltheologe Johann Pock gegenüber dem SONNTAG für ein Mit-Leiden, das Da-Sein und ein Mit-Weinen. Und für eine gut begründete Rede von der Hoffnung.

Universitätsprofessor Johann Pock von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien betont eine leidsensible Seelsorge in dunkler und schwerer Zeit.

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Trauer nach Amoklauf: Wie kann die Kirche helfen

Eine 25-Jährige schrieb mir am Abend des 10. Juni: „Wo war Gott in diesen Minuten in Graz, als diese unschuldigen Menschen erschossen wurden?“ Was sagen wir darauf? 
JOHANN POCK: Mit Jesus können wir sagen: Gott leidet mit und er stirbt mit – und er lässt uns deshalb gerade in diesem Moment nicht allein. Die uralte Theodizeefrage, warum Gott Leid überhaupt zulässt, wenn er doch allmächtig ist, kann nicht einfach beantwortet werden. Ein Ansatz liegt darin, die geschöpfliche Freiheit des Menschen zu betonen. Gott greift nicht aktiv in das Handeln der Menschen ein.

Was kann Kirche in solchen Situationen tun, außer sprachlos sein und einfach da sein? 
Schon das Da-Sein kann sehr hilfreich sein. Es hat sich in den letzten Tagen gezeigt, wie wichtig gut qualifizierte Seelsorgerinnen und Seelsorger sind. Verschiedenste alte und neue Rituale und Gottesdienste können hilfreich sein. Ebenso das Angebot, die vorhandenen Räume, wie zum Beispiel Kirchen, zu nutzen. Zentral ist dabei auch, nicht mit Erklärungen zu kommen, sondern Gesprächsmöglichkeiten anzubieten, wenn sie gewünscht werden.

Schütze beim Amoklauf: Gibt es das Böse?

Dürfen wir in diesem Zusammenhang vom Bösen sprechen? Dass es auch das Böse und auch den Bösen gibt?
Natürlich – die Existenz des Bösen gehört zu den Grunderfahrungen des Menschen. Und eine Kernbotschaft, die wir in jedem Vaterunser beten, lautet: „Erlöse uns von dem Bösen“. In der biblischen Tradition ist es der „diabolos“, der die Welt beziehungsweise ihre Werte „durcheinanderwirbelt“. Letztlich ist das Böse die Perversion der gottgegebenen Freiheit des Menschen zum Guten oder zum Bösen.

In unserer allgegenwärtigen Spaßgesellschaft wird die Frage nach dem Bösen und auch nach dem Leid gerne ausgeblendet. Wie gehen wir mit dem Leid um, nicht nur mit Naturkatastrophen, sondern vor allem mit dem von Menschen verursachten Leid? 
Die Menschen sind – nicht erst heute –  versucht, bei allem Leid zunächst die Schuldfrage zu stellen, mit teilweise fatalen Folgen, wenn diese Schuld dann auf Sündenböcke abgewälzt wurde und wird („die Hexen“, „die Juden“, „die Ausländer“, „die Fremden“). Die Suche nach der Schuld führt aber nicht weiter, sondern Fragen wie: Was können wir anders machen? Wie können wir jenen helfen, die vom Leid betroffen sind? Wir sollten dem Bösen gerade in solchen Fällen nicht durch zu große Konzentration darauf noch zusätzliche Macht geben, wie dies teilweise durch die Konzentration auf Täter in diversen Medien geschieht.
 

„Sind nicht die vielen Kerzen, die entzündet werden, ein Zeichen der Hoffnung?“

Meist sind das Böse und das Leid in weiter Ferne. Warum sind wir dann so betroffen, wenn sich Leid in unmittelbarer Nähe ereignet? 
Die Dimensionen von Leid, gerade von großen Katastrophen, erkennt man am besten an Einzelschicksalen. Die unmittelbare Nähe ist wohl deshalb so eindrücklich, weil damit die eigene Komfortzone in Frage gestellt ist. Es hätte meine eigene Familie sein können; oder: Menschen, die man kennt und mit denen man groß geworden ist, sind betroffen. Wenn Menschen in der Nähe sterben, mit denen man Teile des Lebens geteilt hat, stirbt auch ein Teil des eigenen Lebens, der eigenen Zukunft.

Ohne klug über das Leid nachzudenken und viele Worte zu machen wie die Freunde des biblischen Hiob: Wie trösten wir die Eltern der erschossenen Kinder und auch die Hinterbliebenen der Erwachsenen, die am 10. Juni sterben mussten? 
Es gibt keinen universellen Trost. Das Mit-Leiden, Da-Sein, Mit-Weinen lässt Menschen nicht allein in ihrer Trauer. Für manche Eltern ist vielleicht der Glaube eine Hilfe, für andere nicht. Manche benötigen Ruhe, manche das Gehaltensein. Wir wissen aus der Trauerforschung, dass es nicht eine genaue Abfolge von Trauerphasen gibt, sondern dass das Trauern ein oft langwieriger Prozess ist. Dabei gibt es nicht „richtig“ oder „falsch“, sondern nur hilfreich oder nicht hilfreich.
 

Die Antworten der Kirche

Welche Antwort(en) hat die Kirche in solchen Stunden und Tagen, ohne zu vertrösten? Wie kann die Kirche in diesen Tagen und Wochen danach den Hinterbliebenen nahe sein? 
Die Kirche kann ihre Rituale anbieten und dabei gut auf die Wünsche der Menschen schauen. Dabei wird vieles auch davon abhängen, welche der Hinterbliebenen in einer Beziehung zu kirchlichen Stellen wie beispielsweise einer Pfarre stehen. Da liegt es dann vor allem an den Personen vor Ort, die hier Seelsorgerinnen und Seelsorger füreinander sein können. Thematisch geht es um das Vermitteln von Hoffnung: Sie ist zukunftsgerichtet und kann an vorhandenen Quellen anschließen. Es ist die Auferstehungshoffnung; die Hoffnung auf Leben durch den Tod hindurch; die Hoffnung, dass es Verstorbenen gut geht, dass ihr Leben nicht „umsonst“ war. Hoffnung ist etwas Zartes – und kann vielleicht gerade angesichts von Gewalt und Unfassbarem ein Gegenbild sein. Sind nicht auch die vielen Kerzen, die gerade bei solchen Anlässen entzündet werden, Zeichen der Hoffnung, dass das Licht stärker ist als die Dunkelheit? Kerzen sind mittlerweile über alle Religionen hinweg solche Hoffnungszeichen des Widerstands gegen Sinnlosigkeit, Gewalt und Hass.

©Joseph Krpelan

Zur Person:

Johann Pock ist Universitätsprofessor für Pastoraltheologie an der Universität Wien.

Lesen Sie auch den Kommentar von Heinz Finster vom SONNTAGSBLATT/Steiermark auf Seite 19 oder online. 
 

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