Wie wollen wir sterben?
Nachdenken über die letzten MomenteSeit 19 Jahren ist Veronika Mosich Palliativmedizinerin, seit sieben Jahren ärztliche Leiterin des Caritas Socialis (CS) Hospizes am Rennweg. Tag für Tag begleitet sie, gemeinsam mit einem interdisziplinären Team von Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegepersonen, Psychologinnen, Seelsorgerinnen, Physiotherapeuten, Ärztinnen und Ärzten und engagierten ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Menschen in ihrer letzten Lebensphase – und erlebt dabei, dass Sterben natürlich Unglück und Anlass zu tiefer Traurigkeit ist. Aber auch, dass es Beziehung, Erinnerung und Nähe sein kann.
Frau Dr. Mosich, Sie arbeiten schon lange in der Palliativmedizin und begleiten dabei das Sterben in unmittelbarer Nähe. Aus Ihrer Sicht: Was bedeutet es, „würdevoll zu sterben“?
VERONIKA MOSICH: Wenn ich es herunterbrechen müsste, würde ich sagen: Ein gelungener, würdevoller Sterbeprozess ist es dann, wenn ein schöner Abschied möglich ist. Damit das glückt, muss sich ein Mensch bis zuletzt als Mensch gefühlt haben – das beinhaltet Dinge wie, dass er selbstbestimmt gelebt hat, dass da Wohlbefinden war, gute Momente. Die Würde eines Menschen – also seinen Wert, der ihm allein durch sein Menschsein unabhängig von seiner Herkunft, seiner Leistung oder seinem sozialen Status zukommt– ist meiner Ansicht nach untrennbar mit Wohlbefinden verbunden.
Wie können Sie hier im Hospiz ein würdevolles Sein ermöglichen?
Wer hierherkommt, hat meist schon eine länger andauernde Leidensgeschichte hinter sich. Unsere Patienten sind durch ihre Krankheit geschwächt, ihr Alltag ist von medizinischen Themen geprägt. Unsere Aufgabe ist es, uns so um sie zu kümmern, dass sie sich wieder als Mensch fühlen und nicht als Diagnose. Wir behandeln zum Beispiel ihre körperlichen Schmerzen – das ist für viele schon ein enorm wichtiger Schritt. Abgesehen davon sprechen wir intensiv mit unseren Patientinnen und Patienten. Wir hören zu, lernen unsere Patienten kennen und richten unser Handeln nach ihren Werten und Wünschen aus, lassen uns davon leiten. Wir leben und arbeiten mit unseren Patienten sehr „im Moment“. Die Angehörigen werden selbstverständlich dabei miteinbezogen. Wir können Leid nicht wegzaubern, aber lindern.
„Wann haben Sie sich besonders lebendig gefühlt?“
Veronika Mosich
Was bedeutet es, „im Moment“ zu arbeiten?
Was uns hier im Hospiz sehr entgegenkommt, ist, dass wir keinen Zeitdruck haben, wie ihn etwa Krankenhäuser erleben müssen. Wir sind hier und wir sagen: Wir halten das jetzt mit dir aus, begleiten dich. Ganz egal, was passiert und wie lange es dauert. Wir lassen dich nicht allein. Das klingt unspektakulär. Aber gerade dieses Aushalten, dieses Da-Sein wird von allen Beteiligten als sehr entlastend erlebt. Es ermöglicht viele gute Momente in einer tatsächlich sehr schwierigen Situation. Momente, für die unsere Patientinnen und Patienten auch sehr dankbar sind. Und das gelingt meistens. Ja, unsere Patienten erleben viel Schlimmes und gerade so schwere Krankheiten fügen den Menschen auch tatsächlich Kränkungen zu, aber die Welt, auch diese Welt unserer Patienten, ist nicht nur schwarz und weiß. Oder sagen wir noch besser: Da sind noch so viele andere Farben. Wir versuchen, die zumindest aufblitzen zu lassen.
Die letzte Lebensphase und das Sterben sind also tatsächlich nicht immer nur traurig?
Nein, sind sie nicht. Und wir versuchen das mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln auch greifbar und sichtbar zu machen. Methoden wie der würdezentrierte Lebensspiegel helfen uns dabei.
Der würdezentrierte Lebensspiegel – was ist das?
Wir – meistens sind es unsere ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – führen Interviews mit unseren Patientinnen und Patienten und stellen Fragen wie „Wann haben Sie sich besonders lebendig gefühlt?“ Die Antworten werden mitgeschrieben und dann – in Absprache mit den Patienten – zu einem Text zusammengestellt. Was dabei entsteht, ist so etwas wie eine Lebensgeschichte, ein Vermächtnis. Ein sehr persönliches Schriftstück, in dem Dinge ausgesprochen werden, die sonst vielleicht nicht ausgesprochen worden wären. Und unsere Erfahrung ist, das zu haben, tut allen gut: den Patienten und auch den Angehörigen.
Was würden Sie sich im Umgang mit dem Sterben – auch politisch und gesellschaftlich – wünschen?
Ich glaube, es ist nicht egal, wie wir sterben und wie wir sterben lassen. Ich halte es deshalb auch gesellschaftlich für enorm wichtig, dass es verstärkt ermöglicht wird, palliativ zu arbeiten. Auch etwas Trauriges wie das Sterben können wir als aushaltbare, als annehmbare Erzählung für alle hinbekommen. Oder sagen wir als Erinnerung, mit der man leben kann. Frei nach Frankl: Wir können die Situation nicht ändern, aber wir können den Blick auf die Situation ändern. Und wir können dieses Gefühl schaffen: „Am Ende wirst auch du nicht allein sein. Am Ende wird auch für dich jemand da sein. Oder ganz kurz gefasst: Ende gut, alles gut.“