Update für einen Cyber-Apostel

Hirtenhund
Ausgabe Nr. 15
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Das Grab von Carlo Acutis.
Das Grab von Carlo Acutis. ©wiki commons/Dana Stehlíková
©Der SONNTAG

Der Hirtenhund bellt diese Woche über den "Cyber-Apostel" Carlo Acutis, der Ende April von Papst Franziskus heilig gesprochen wird.

Reliquienverehrung – das war in meiner Jugend eine Sache von und für alte Menschen. Menschen, die mit dem kirchlichen Mobiliar geradezu verwachsen schienen. Mehr kniend als aufrecht stehend. Knochenreste oder Herzurnen lösten in uns eher gruselige Faszination als einen Impuls zur Anbetung aus. Anders als bei den zigtausend jungen Menschen, die im vergangenen Jahr einer Herzurne auf Europatournee zujubelten. Auslöser dieses Hypes ist der 2006 mit nur 15 Jahren an Leukämie verstorbene Carlo Acutis.

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"Cyber-Apostel" wird heilig gesporchen

Ein Jugendlicher, der von seiner Fan-Base als „Cyber-Apostel“ verehrt wird, machte er doch das, was Jugendliche halt so tun: am Computer spielen, programmieren, irgendwie „nerdig“ sein – und halt auch überschwänglich katholisch. „Die Eucharistie ist meine Autobahn in den Himmel“, soll er gesagt haben. 2020 wurde er seliggesprochen und in einem Glassarg in Assisi präsentiert. Nicht mehr ganz taufrisch, wie es nach seiner Exhumierung hieß, aber doch vorzeigbar restauriert und altersgemäß mit Trainingsjacke und Sportschuhen bekleidet. Nun wird Papst Franziskus dem Seligen quasi ein „Update“ geben und ihn am 27. April heiligsprechen.

Das Schicksal des Jungen ist zweifellos tragisch. Dennoch empfinde ich den Fan-Kult zumindest als irritierend. Auch gibt es durchaus kritikwürdige Tiefenschichten in der eucharistischen Frömmigkeit des Jungen: Auf einer Website, die bis heute in mehreren Sprachen online ist, hat er unzählige Beispiele für „Eucharistische Wunder“ und „Bluthostien“ gesammelt – ohne dabei auch nur in Ansätzen durchschimmern zu lassen, dass gerade diese Bluthostien oftmals auf antijüdischen Affekten basierten, wie der Religionsjournalist Otto Friedrich kürzlich für die „Herder Korrespondenz“ recherchierte. Sollte das sonst so akribisch prüfende Dikasterium für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse hier etwa unsauber gearbeitet haben, um das zarte Pflänzchen des ungewohnten jugendlichen Frömmigkeitsrevivals nicht zu gefährden?

Im Kärntner Wolfsberg jedenfalls ist man für das geistliche Update gewappnet: Dort nämlich wird Carlo seit zwei Jahren in Form des weltweit ersten „Festplatten-Reliquiars“ verehrt. Es besteht aus einer in Form von Platinen-Verbindungen gestalteten Glasscheibe, in deren Mitte eine Hostie eingearbeitet ist, sowie einer Haarsträhne des bald Heiligen. Natürlich hat Carlo auch schon Wunder gewirkt. Für mich besteht wohl das Wunder darin, dass die Firma Nike sich noch nicht an der Vermarktung beteiligt hat. Schließlich trug der Junge in seinem Sarg deutlich sichtbar Sportschuhe mit deren Logo.

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