Ein Prophet für das 21. Jahrhundert

Der "Prophet"
Ausgabe Nr. 48
  • Theologie
Romano Guardini bei einem Treffen der Quickborn-Bewegung auf Burg Rothenfels in Bayern in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts.
Romano Guardini bei einem Treffen der Quickborn-Bewegung auf Burg Rothenfels in Bayern in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts. ©wikicommons/Dr. Johannes Schneider/CC_BY-SA_3.0/cropped
Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz lehrt an der Hochschule Heiligenkreuz.
Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz lehrt an der Hochschule Heiligenkreuz. ©Hochschule Heiligenkreuz

Romano Guardini zählt zweifellos zu den bedeutendsten Denkern des 20. Jahrhunderts. Was der deutsche Religionsphilosoph über Gott und den Menschen bis heute zu sagen hat, beschreibt die Religionsphilosophin und Guardini-Kennerin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz gegenüber dem SONNTAG.

Romano Guardini (1885 geboren in Verona/Italien, 1968 gestorben in München) war Priester und Professor für Religionsphilosophie und christliche Weltanschauung in Deutschland. Er prägte auch die Liturgische Bewegung und die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965). 

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Romano Guardini und die "Liturgiefähigkeit" der Menschen

Als einer der maßgeblichen Wegbereiter der Liturgiereform sorgte sich Romano Guardini auch um die „Liturgiefähigkeit“ der Menschen. Wie aktuell ist Guardinis Buch „Vom Geist der Liturgie“?

HANNA-BARBARA GERL-FALKOVITZ: Das Büchlein ist bis heute ein Klassiker, das will etwas heißen nach über 100 Jahren. Guardini zeigt, dass „Anbetung“ einem tief verschütteten Wunsch des Menschen entspricht, vor dem göttlichen Urheber zu stehen, vor ihm das Leben auszubreiten, sich raten zu lassen … Die große Wirkung liegt auch an dem verblüffenden Kapitel „Liturgie als Spiel“. Fast alle unsere Handlungen haben einen Zweck. Doch die ganz großen Dinge des Lebens, sagt er,  sind zwecklos, aber sinnvoll: sich lieben, sich freuen, spielen, und auch beten… Beten meint nicht nur bitten, denn in Wirklichkeit geht es viel tiefer. Mit Gott umgehen öffnet Sinn: Leben bekommt die Richtung „auf ihn zu“ und „von ihm her“. Beten, mit vielen anderen, wird zum „heiligen Spiel“. Sinnvoll.
 

Braucht es auch heute ein „Erwachen der Kirche in den Seelen“, wie es Guardini schon nach dem Ersten Weltkrieg prognostiziert hat?

Merkwürdig: Papst Benedikt XVI. hat bei seinem Abschied 2013 dieses Wort wiederholt. Damals meinte man, es sei nur eine ferne Erinnerung. Wir sehen heute zwar den zahlenmäßigen Niedergang der Kirche in Mitteleuropa. Aber: Erstaunlich viele junge Leute entdecken heute Gott. Sie kommen in die Kirche allerdings nicht durch die Türen, sondern durch die Fenster – wie vor kurzer Zeit ein deutscher Bischof verwundert sagte. Sie kommen ungeplant: in Anbetung, Pilgerfahrten, Taufen, Lobpreis, in Zeugnissen von Bekehrung … Man hat den Eindruck, dass die Kirche davon ziemlich verblüfft ist und noch nicht weiß, was sie mit diesen Jungen tun soll, die durchs Fenster einsteigen.
 

Die "Vorschule des Betens" von Romano Guardini

Wie hilfreich ist die „Vorschule des Betens“ von Guardini? Wo und wie können wir heute beten lernen?

Guardini sagte, dass wir nicht gerne beten. Daher braucht es eine Vorschule als Hilfe „von außen“: Gewöhnung an einen ruhigen Ort zu Hause; regelmäßige Zeiten, besonders am Morgen: Bischof Barron nennt es „holy hour“. Auch hilfreich ist heute gemeinsames Beten am Morgen (die „Laudes“) mit einer Gruppe über Handy. Und „von innen“: Gewöhnung an die Psalmen, an möglichst einfache Gebete von Heiligen, an einen sanften Meister wie Franz von Sales. Einen Satz daraus für den Tag mitnehmen. Und am Sonntag dann mit vielen die „heilige Stunde“ feiern. Hauptsache wie beim Sport: regelmäßig.
 

„Was tun mit den Jungen, die durch das Fenster einsteigen?“

Guardini und das "Ende der Neuzeit"

Guardini sprach schon nach dem Zweiten Weltkrieg vom „Ende der Neuzeit“. Beherrscht uns gegenwärtig ein Pessimismus, wenn wir auf Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Zukunft blicken?

Ja, vermutlich haben wir die Zeiten wachsender Wohlfahrt hinter uns und müssen uns auf niedrigerem Niveau einfinden. Dazu kommt von außen die wachsende Kriegsgefahr im Osten. Guardini nannte als Grund: die immer stärker maschinisierte Welt. Mit der Technik steigere sich der Mensch in eine Selbstherrlichkeit hinein. Heute heißt sie Autonomie. Aber der Mensch ist nicht das Maß aller Dinge. Er brauche, so Guardini, „Macht über die Macht“. Sie kann nur im Gespräch mit dem Schöpfer gewonnen werden. Guardini zitiert dazu gern das Wort des heiligen Anselm: „Der Mensch ist Allmacht – unter Gott.“ Ohne die zwei letzten Worte wird er maßlos bis zur Katastrophe. Mit den beiden letzten Worten arbeiten Vernunft und Glaube gemeinsam an einem Herumwerfen, und wir vertrauen: Der Erlöser kann auch das Verfahrene noch lösen. Romano Guardini spricht als einer der ersten seiner Generation vom Ende der Neuzeit. In seinem Essay setzt er sich mit einem neuen, von der damaligen Geschichtsschreibung noch unbenannten Zeitalter auseinander. Der Glaube an Fortschritt und Machbarkeit ist in einen tiefen Kulturpessimismus umgeschlagen. Der Mensch wird auf seine Grenzen verwiesen, bekommt dadurch aber die Chance, im Ruf Gottes neu zu leben. 

©Hochschule Heiligenkreuz

Zur Person:


Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz lehrt an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. Heiligenkreuz.

©Herder

Buchtipp:


Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz stellt Romano Guardini als eine der bedeutendsten Gestalten des europäischen Geisteslebens im 20. Jahrhundert vor. Das zur Zeit beste Buch über sein Leben und Denken.


Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Romano Guardini. Konturen des Lebens und Spuren des Denkens, Herder-Verlag, 320 Seiten, ISBN: 978-3-451-02522-8, EUR 43,20

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