Entdeckungen einer fliegenden Fotografin

Klöster und Kirchen von oben
Ausgabe Nr. 48
  • Kunst und Kultur
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Umgeben von sattem Grün thront Stift Göttweig über der Wachau. Aus der Luft ist die monumentale Anlage besonders schön zu sehen.
Umgeben von sattem Grün thront Stift Göttweig über der Wachau. Aus der Luft ist die monumentale Anlage besonders schön zu sehen. ©Stefanie Grüssl
Die Kartause Mauerbach aus der Vogelperspektive: Die geordnete Reihung der ehemaligen Mönchszellen bildet ein geometrisches Muster, das die klösterliche Lebensweise widerspiegelt.
Die Kartause Mauerbach aus der Vogelperspektive: Die geordnete Reihung der ehemaligen Mönchszellen bildet ein geometrisches Muster, das die klösterliche Lebensweise widerspiegelt. ©Stefanie Grüssl
Kloster Kirchberg: Von oben zeigt sich die harmonische Lage der Kirche in der Landschaft – ein architektonisches Kleinod.
Kloster Kirchberg: Von oben zeigt sich die harmonische Lage der Kirche in der Landschaft – ein architektonisches Kleinod. ©Stefanie Grüssl
Stift Lilienfeld: Die klare Kreuzform der Klosterkirche ist erst aus der Höhe zu sehen.
Stift Lilienfeld: Die klare Kreuzform der Klosterkirche ist erst aus der Höhe zu sehen. ©Stefanie Grüssl

Kirchen und Klöster wurden vielfach so gebaut, dass sie auch aus der Vogelperspektive Ordnung und Schönheit aufweisen, obgleich die Menschen diese früher gar nicht sehen konnten. Fotografin Stefanie Grüssl erzählt von der eindrucksvollen Schönheit der Bauwerke und den Herausforderungen des fliegenden Fotografierens.

Der Text-Bildband „Im Blickwinkel Gottes“ zeigt Niederösterreichs Sakralbauten aus der Luft. Ein Blickwechsel kann alles verändern. Aus der Vogelperspektive werden Türme zu Wegweisern in den Himmel, Grundrisse offenbaren verborgene Muster – und plötzlich scheinen unsere Kirchendächer geheime Botschaften zu erzählen. Der Bildband „Im Blickwinkel Gottes“ von Patrick Schicht und Stefanie Grüssl zeigt Niederösterreichs Kirchen, Klöster und Kapellen so, wie sie noch nie zu sehen waren: fotografiert aus dem Hubschrauber, in atemberaubender Höhe. Was sich dabei offenbart, überrascht. Denn erst von oben wird sichtbar, welche verborgenen Strukturen und symbolischen Formen die Architektur durchziehen. Kunsthistorische Hintergründe ergänzen die spektakulären Luftaufnahmen und machen das Buch zu einer faszinierenden Entdeckungsreise zwischen Himmel und Erde.

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Fotografin und Künstlerin

„Wir haben beim Durchsehen der Luftbilder entdeckt, wie viele Details nur von oben sichtbar sind“, erzählt Stefanie Grüssl dem SONNTAG. „Kreuzförmige Grundrisse, Gärten, die in Mustern angelegt sind – Dinge, die man vom Boden aus nicht erkennt.“ Für die Fotografin war das mehr als eine technische Aufgabe: „Man sieht, wie bewusst die Bauwerke in die Landschaft gesetzt wurden. Die Türme wirken wie Antennen zum Himmel.“ Stefanie Grüssl ist Künstlerin. Ihre Ausbildung liegt im Keramik-Design, doch die Fotografie begleitet sie seit Jugendtagen. „Ich habe meine Werke immer dokumentiert, später das Fotografieren auch beruflich genutzt.“ Als sie im Wirtschaftsministerium tätig war, bot sie an, Baustellen und Architektur zu fotografieren. Daraus entwickelte sich eine Kooperation mit der Burghauptmannschaft – und schließlich der Schritt in die Luftbildfotografie.
 

Herausforderung: Fotografieren aus dem Hubschrauber

„Für eine 100-Jahr-Feier brauchten wir ein Luftbild. Es gab keines. Also habe ich eine Lösung gesucht – und gefunden: Mitfliegen bei der Flugpolizei.“ Aus dieser Idee wurde schließlich ein Arbeitsfeld. „Ich war die einzige Frau, die in diesen 21 Jahren beim Bund solche Luftbild-Dokumentationen machte. Eine absolute Ausnahme.“ Was nach Abenteuer klingt, ist harte Arbeit. „Das Fliegen ist körperlich anstrengend. Man sitzt angeschnallt bei offener Tür, hält die Kamera stabil gegen die Vibrationen und Bewegungen des Hubschraubers. Jede Böe spürt man.“ Höhenangst darf man nicht haben, und einen guten Magen braucht es auch. „Es sind schon Leute nicht eingestiegen, obwohl sie vor Ort waren.“
 

Fotografin mit zwei Kameras

Grüssl fotografierte mit zwei Kameras, um Objektivwechsel zu vermeiden. „Alles war gesichert, damit nichts hinausfällt. Und die Lichtverhältnisse waren oft schwierig: Schleier in der Luft, wechselndes Wetter. Die Nachbearbeitung war aufwendig.“ Auch die Piloten spielten eine Rolle: „Jeder hat einen anderen Zugang zu Perspektiven. Manche waren großartig darin, genau die Position zu finden, die ich brauchte.“ Gemeinsam mit Patrick Schicht, Landeskonservator beim Bundesdenkmalamt, entstand der Bildband. Er enthält sämtliche Klöster Niederösterreichs, bedeutende Pfarrkirchen, Wallfahrtsorte sowie ausgewählte Kapellen. „Wir konnten nicht alles aufnehmen, aber die wichtigsten Orte sind dabei“, sagt Grüssl. Die Texte liefern historische und kunstgeschichtliche Hintergründe, die Fotos zeigen die Bauwerke eingebettet in ihre Landschaft – so, wie man sie sonst nie sieht.
 

Meisterhafte mittelalterliche Baukunst

„Beeindruckend für mich war die großflächige Anlage der Kartause Mauerbach, die sich fast unverändert erhalten hat, mit ihrer strukturierten Reihung der Mönchszellen. Heute ein Sitz des Bundesdenkmalamts“, erzählt Grüssl. Die Anlage wirkt aus der Luft wie ein streng geordnetes Muster – ein architektonisches Zeugnis klösterlicher Disziplin. Auch Stift Lilienfeld gehört für die Fotografin zu den Höhepunkten: „Eine der größten Klosteranlagen der Zisterzienser Mitteleuropas und eines der bedeutsamsten Monumente mittelalterlicher Baukunst. Besonders schön von oben zu sehen ist der kreuzförmige Grundriss der Klosterkirche.“ Und dann ist da Kirchberg am Wechsel: „Idyllisch gelegen in der Landschaft des Wechsels, nicht nur von unten ein Augenschmaus, sondern auch von oben!“ Die Fotos zeigen, wie harmonisch sich die Kirche in die Hügel einfügt – ein Bild, das Ruhe und Schönheit ausstrahlt.
 

Die Luftbilder der Fotografin

Die Luftbilder eröffnen eine neue Sicht auf die Spiritualität der Bauwerke. „Wir stellten fest, dass in vielen Grundrissen Botschaften stecken: versteckte Kreuze, Gärten, die nur von oben wirken“, sagt Grüssl. „Vielleicht als Spiegelung hinauf zu Gott.“ Auch historische Stiche im Buch verdeutlichen die Gedanken der Baumeister: „Wir stellen alte Zeichnungen neben Luftbilder. So sieht man, was geplant war – und was tatsächlich gebaut wurde.“ Stefanie Grüssl denkt weiter: Ihre Luftbilder sind heute im Fotoarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek. „Fast 50.000 Aufnahmen aus ganz Österreich können dort von Wissenschaftlern genutzt werden. Das war mir wichtig: ein geordneter Nachlass für die Forschung.“ Privat bleibt die Fotografie für sie eine meditative Tätigkeit. „In der Natur ist das ruhig und entspannend. Das Hubschrauberfliegen war das Gegenteil – aber es hat sich gelohnt.“ Das Buch „Im Blickwinkel Gottes“ ist der sichtbare Beweis: Kirchen, Klöster und Kapellen zeigen sich darin in einer Schönheit, die sich erst aus der Höhe erschließt.

©Privat

Zur Person:


Stefanie Grüssl ist ausgebildete Keramik-Designerin. Die gebürtige Grazerin lebt in Wien. In Kooperation mit Bundesheer und Flugpolizei dokumentierte sie historische Bauwerke mit der Kamera.

©KRAL

Buchtipp:


Der Bildband „Im Blickwinkel Gottes“ von Patrick Schicht (Texte) und Stefanie Grüssl (Fotos) vereint beeindruckende Luftaufnahmen von Kirchen, Klöstern und Kapellen Niederösterreichs mit fundierten kunsthistorischen Texten – ein Werk, das Architektur und Landschaft aus einer völlig neuen Perspektive zeigt.

 

Patrick Schicht, Stefanie Grüssl, Im Blickwinkel Gottes, KRAL, 300 Seiten, ISBN: 978-3-99103-205-2, EUR 39,90

Schlagwörter
Autor:
  • Portraitfoto von Agathe Lauber-Gansterer
    Agathe Lauber-Gansterer
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