Leibniz – Licht, Wahrheit und die beste aller Welten

Advokat Gottes im Kino
Ausgabe Nr. 50
  • Kunst und Kultur
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Ein superber Advokat Gottes: Die Künstlerin Aaltje van de Meer (Aenne Schwarz im Hintergrund) und Gottfried Wilhelm Leibniz (Edgar Selge) führen intensive philosophische Gespräche.
Ein superber Advokat Gottes: Die Künstlerin Aaltje van de Meer (Aenne Schwarz im Hintergrund) und Gottfried Wilhelm Leibniz (Edgar Selge) führen intensive philosophische Gespräche. ©Ella Knorz

Edgar Reitz’ neues Kammerspiel „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“ führt mitten hinein in die Welt der Gedanken, in Gespräche über Wahrheit, Freiheit, Glaube und Hoffnung. Ein Film, der das Denken sichtbar macht.

Preußen, 1704: Königin Sophie Charlotte (Antonia Bill) vermisst ihren früheren Lehrer Gottfried Wilhelm Leibniz (Edgar Selge). Weil dieser ihr nicht mehr als persönlicher Ratgeber in Lebensfragen zur Verfügung steht, lässt Charlottes Mutter, die Kurfürstin Sophie von Hannover (Barbara Sukowa), ein Porträt des Universalgelehrten in Auftrag geben. Die Umsetzung des Projekts führt zunächst zum Hofmaler Delalandre (Lars Eidinger), doch die Begegnung zwischen Maler und Gelehrtem endet im Streit: Leibniz zweifelt, ob ein Bild die Wahrheit eines Menschen erfassen kann.

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Leibniz auf Augenhöhe begegnen

Erst die junge niederländische Malerin Aaltje van de Meer (Aenne Schwarz) – sie ist zunächst als Mann verkleidet, um als Maler anerkannt zu sein – vermag es, Leibniz auf Augenhöhe zu begegnen. „Ich male das Licht“, sagt sie – und eröffnet damit einen Dialog über Kunst und Wirklichkeit, der den Kern des Films bildet. Während das Bildnis bis zum Schluss verborgen bleibt, entsteht vor unseren Augen ein anderes Porträt: das filmische Bild eines Denkers, der sich dem Leben und seinen letzten Fragen stellt.

Leibniz: Die Theodizee eines Universalgenies

Regisseur Edgar Reitz, Jahrgang 1932, inszeniert diese Geschichte als Kammerspiel: ein Raum, wenige Figuren, viel Sprache – und vor allem Zeit. „Auch das Kino kann eine Zone der Übergänge sein, ein Ort, an dem wir träumend das Denken neu entdecken“, sagt Reitz. Schwarzgrund und modelliertes Licht, angeregt von der Barockmalerei, schaffen Räume, in denen Gedanken Gestalt annehmen.

Leibniz: Gottes Advokat

Der Film verknüpft Leibniz’ Vernunft mit seiner Glaubensüberzeugung. Wenn er erklärt, dass ohne Übel keine Freiheit und ohne Freiheit keine „beste aller möglichen Welten“ denkbar ist, öffnet sich die klassische Theodizee als Hoffnungsperspektive: Leid ist nicht Selbstzweck, sondern Teil eines größeren Ganzen. „Gott hat in Ihnen einen superben Advokaten“, bringt es Kurfürstin Sophie von Hannover Leibniz gegenüber auf den Punkt: Leibniz hält Gott für gut – ohne Einschränkung. Er kontert gegenüber der Kurfürstin, Gott habe keinen Advokaten nötig.
 

Über die Unsterblichkeit der Seele

Königin Sophie Charlotte ist schwer krank, und die Frage nach dem Tod bedrängt sie. Sie sucht das Gespräch mit dem Philosophen, denn sie weiß: Leibniz glaubt an die Unsterblichkeit der Seele. Es gelingt ihm, sie zu beruhigen und neue Hoffnung in ihr zu wecken. „Wollen wir ein wenig miteinander denken?“, fragt Leibniz im Film. Es ist mehr als eine Einladung zum Gespräch: Es ist ein Versprechen, dass Denken und Glauben sich nicht ausschließen. „Die Kunst lebt in der geheimnisvollen Zwischenwelt zwischen Denken und Machen, Wissen und Nichtwissen“, erklärt Regisseur Edgar Reitz. Diese Zwischenwelt wird in diesen bewegten Bildern erfahrbar.

Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes

Der Film hat eine wunderbar ruhige Atmosphäre, wie sie im heutigen Kino kaum mehr anzutreffen ist: Diese schafft einen Raum der Konzentration, einen Kontrapunkt zur Überreizung unserer Gegenwart. Reitz selbst sagt: „Zuschauer, die Freude am Denken haben – davon gibt es mehr, als die Branche glaubt.“ „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“ ist damit auch ein Plädoyer für das denkende Kino. Es zeigt, wie Vernunft und Hoffnung sich gegenseitig stärken können. Empfehlung des SONNTAG: unbedingt ansehen – und anschließend „ein wenig miteinander denken“.

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Der Mann, der fast alles wusste

 

Gottfried Wilhelm Leibniz wurde 1646 in Leipzig geboren. Das frühreife Genie begann mit 15 Jahren das Studium, promovierte mit 20. Eine Hochschul­laufbahn schlug er nie ein – Leibniz wollte politisch wirken. In Paris lernte er führende Naturwissenschaftler kennen und erfand die Differentialrechnung, die rechnerische Bewältigung des unendlich kleinen.

 

1676 wurde er herzoglicher Bibliothekar in Hannover, arbeitete als Staatsrechtler und Historiker, korrespondierte mit dem russischen Zaren und interessierte sich für die chinesische Geisteswelt. Oft blieb Begonnenes unvollendet, weil ihn zu vieles gleichzeitig beschäftigte. In Ungnade gefallen, starb er 1716 vereinsamt – bis zuletzt schreibend. Leibniz gilt als letzter Universalgelehrter Europas, der fast alle Wissensgebiete beherrschte und Hervorragendes leistete. Sein Elend bestand wohl darin, dass er seine Gedanken selten vollständig darstellte. Berühmt ist seine Schrift zur Theodizee, entstanden aus Gesprächen mit Königin Sophie Charlotte. Die Frage: Wie lässt sich das Übel mit einem guten Gott vereinbaren?

 

Leibniz prägte den Begriff „Theodizee“ und antwortete: Gott hat die beste aller möglichen Welten erschaffen – alles andere widerspräche seiner Allmacht, Allwissenheit und Allgüte. Übel bleibt dennoch: das metaphysische (Unvollkommenheit der Geschöpfe), das physische (Leid, Schmerz) und das moralische Übel (Sünde durch Freiheit). Freiheit ist für Leibniz Bedingung des Guten – und Risiko des Bösen.

 

Von Stefan Kronthaler

Autor:
  • Portraitfoto von Agathe Lauber-Gansterer
    Agathe Lauber-Gansterer
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