Jedermann: „Alles nur geliehen“
Schauspieler Dominik Dos-Reis im Interview
Wir treffen Dominik Dos-Reis auf der Presse-Terasse der Salzburger Festspiele bei strahlendem Sonnenschein mit Blick auf den Salzburger Dom. Der junge Mime mit dem Lockenkopf trägt kurze Hosen, T-Shirt und eine schwarze Sonnenbrille. Inmitten der festlichen Kulisse spricht Dos-Reis über Ehrfurcht, Vergänglichkeit und die spirituelle Tiefe des „Jedermann“. Die aktuelle Inszenierung von Robert Carsen ist ein Publikumsmagnet – sämtliche Vorstellungen sind ausverkauft.
Der Tod im Jedermann
Sie verkörpern den Tod in einer der bekanntesten Inszenierungen Österreichs. Was bedeutet diese Rolle für Sie persönlich?
Dominik Dos-Reis: Ich wusste natürlich um den Kultstatus des „Jedermann“ in Österreich. Die Anfrage hat mich sehr gefreut, aber auch mit Ehrfurcht erfüllt. Es ist eine Rolle, die mit viel Geschichte und Erwartungen aufgeladen ist. Besonders spannend war für mich, dass ich der bislang jüngste Darsteller des Todes bin. Das hat mich zunächst überrascht, aber das Konzept des Regisseurs Robert Carsen hat mich überzeugt: Er wollte weg vom düsteren Sensenmann hin zu einer Lichtgestalt – einem Todesengel.
Jedermanns Todesengel
Ein Todesengel – das klingt fast zärtlich.
Genau das ist der Punkt. Ich finde es viel interessanter, als positive Figur aufzutreten, statt als gruseliger Sensenmann, vor dem sich alle fürchten. Die Angst soll nicht von mir ausgehen, sondern von der Reaktion der anderen. Das erlaubt Irritation und Tiefe. Die Figur ist keine psychologische, sondern eine allegorische – ein Bote mit Auftrag. Das gibt mir als Schauspieler eine klare Richtung.
Der Tod und Jedermann
In der Inszenierung tritt der Tod in verschiedenen Gestalten auf – als Pfarrer, Kellner, am Ende in Weiß. Was steckt dahinter?
Die Idee war, dass der Tod jede Form annehmen kann. Die Inszenierung beginnt mit dem Ende eines Gottesdienstes – alle kommen aus dem Dom, und plötzlich offenbart sich der Tod. Diese Vielgestaltigkeit macht die Figur lebendig und überraschend.
Die Figur des Todes
Der Tod ist in dieser Fassung Gottes Sprachrohr. Wie erleben Sie diese theologische Verschiebung?
Für mich ist das fast wie ein antiker Prolog. Die Figur des Todes übernimmt eine engelhafte Rolle, berichtet von einem Auftrag – ein Botenbericht. Das erlaubt eine gewisse Distanz und gleichzeitig Tiefe. Es geht um unsere Sterblichkeit, um die Frage: Ist es wirklich so schlimm, dass wir endlich sind?
„War alls dir nur geliehen.“
Gibt es einen Satz aus dem Stück, der Ihnen besonders nahegeht?
„War alls dir nur geliehen.“ Das ist für mich fast der schönste Satz. Er bringt eine elementare Wahrheit über das Menschsein auf den Punkt: Nichts gehört uns wirklich. Wir sind vergänglich. Das Stück ist auch ein Stück über menschliche Hybris – über den Umgang mit Natur, Ressourcen, über die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich.
Was bedeutet Ihnen das Theater als Ort der Begegnung?
Theater ist für mich eine kollektive Erfahrung. Es lebt vom Moment, vom Atem des Publikums. Während der Pandemie haben wir vor leeren Sälen gespielt – das war traurig. Theater entsteht im Augenblick, in der Koexistenz von Darsteller und Zuschauer.
Religion und Jedermann
Spielt Religion eine Rolle für Sie?
Das ist eine große Frage. Ich habe das Glück, viele inspirierende Menschen kennenzulernen. Menschliche Begegnungen sind für mich die größte Kraftquelle. Ob Religion dabei eine Rolle spielt, müsste ich länger bedenken. Aber die Themen, mit denen ich mich auf der Bühne beschäftige – Leben, Tod, Vergänglichkeit – sind zutiefst spirituell.
Wie sehen Sie die Zukunft des Theaters im digitalen Zeitalter?
Theater hat eine Kraft, die kein anderes Medium ersetzen kann. Es ist eine Gegenbewegung zur Schnelllebigkeit. Im Theater sind wir einfach da – gemeinsam, im Moment. Das ist kostbar.