„Heimat“ unterstreiche ich besonders stark

Industrieviertelakademie
Ausgabe Nr. 40
  • Chronik
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Europa: künftig nur mehr ein Wurmfortsatz kulturfremder Mächte anderer Kontinente?
Europa: künftig nur mehr ein Wurmfortsatz kulturfremder Mächte anderer Kontinente? ©Pixabay/Ralph´s Fotos

Auch wenn der Europa-Gedanke der Sonntagsreden meist Montagfrüh schon verraucht ist, plädiert der Diplomat Michael Breisky für eine Neubesinnung auf das, was Europa ausgemacht hat und auch heute ausmacht. Und er erinnert an die christliche Basis des Begriffs der Menschenwürde.

Wie ein krisengeschütteltes Europa politisch handlungsfähig bleiben kann und wie die Idee „Europa“ auch in Zukunft eine Rolle spielen kann, darüber spricht der SONNTAG mit dem österreichischen Juristen und Diplomaten Michael Breisky.

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Seine Kultur anerkennen

Was braucht es, um Europa verstehen zu können?

MICHAEL BREISKY: Um Europa verstehen zu können, muss man seine Kultur anerkennen und auch leben wollen, und diese Kultur besteht aus der Verbindung von Vielfalt und tief sitzenden geistigen Gemeinsamkeiten. In der Vielfalt liegt einerseits die weltweit einzigartige Flexibilität Europas – heute die wohl wichtigste praktische Tugend – aber auch seine Zerbrechlichkeit. Die Gemeinsamkeit ergibt sich einerseits im Inneren aus zahlreichen gemeinsam erlebten Entwicklungen, darunter vor allem der christlich-humanistischen Prägung Europas, und andererseits aus Abwehr äußerer Bedrohungen, wie sie uns in jüngster Zeit besonders bewusst wurden.

 

Wie können wir Europa „lieben“ lernen? 

Die Liebe zu Europa kommt aus einer gemeinsamen Sicht seiner Vergangenheit. Sie soll so konstruktiv sein, dass sie das Interesse am Fortbestand Europas lebendig hält. Kurz: Es ist der Stolz auf unsere Identität, die uns genug Kraft und Lust verleiht, um die immer mehr benötigten Solidaritätsleistungen erbringen zu wollen. Wenn uns das nicht gelingt, wird Europa bald nur mehr der Wurmfortsatz kulturfremder Mächte anderer Kontinente sein. Daher braucht es ein zündendes Europa-Narrativ sowie eine vielfältige Öffentlichkeitsarbeit, etwa nach dem umfangreichen Maßnahmenkatalog meines Buches „Europa verstehen und lieben lernen“.

Eine "Heimat"

Wie kann Europa „Heimat“ sein für seine Bürgerinnen und Bürger?

Das kann gelingen, wenn wir die drei  Ebenen Region – Nationalstaat – Europa interaktiv verstehen, sie sich also in ihren verschiedenen Funktionen gegenseitig ergänzen und damit unersetzlich bleiben. Ganz wesentlich ist auch im Europa-Zusammenhang das Subsidiaritätsprinzip, also „das Oben soll nur das machen, was das Unten nicht kann“. Das Wort „Heimat“ unterstreiche ich besonders stark, weil es die unverzichtbare emotionale Komponente einfordert.
 

„Das Selbstbewusstsein von Europa ist leider total unterentwickelt.“

Michael Breisky

Notwendiges Selbstbewusstsein

Hat Europa überhaupt ein (notwendiges) Selbstbewusstsein? 

Das ist leider total unterentwickelt. In den Anfängen der europäischen Integration der 1950er-Jahre, wie sie von christ-demokratischen Führern erdacht wurde, musste man sich mit kleinen technokratischen Schritten begnügen, weil die Abscheu vor ehemaligen Kriegsgegnern noch zu groß war. Als nach ersten wirtschaftlichen Erfolgen die Briten in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft aufgenommen wurden, haben sie beharrlich jede kulturelle Initiative unterdrückt, um ihre politische Sonderstellung bewahren zu können. Mangels kultureller Bindung haben Technokratie und Bürokratismus die Oberhand gewonnen – und heute haben wir den Salat: Außerhalb des funktionierenden Binnenmarktes strahlt von der Spitzen- ebene Europas so gut wie nichts aus, auf das wir stolz sein können. Der Europa-Gedanke der Sonntagsreden ist schon Montagfrüh verraucht.
 

Die Rolle des Christentums

Welchen Beitrag für Europa kann das Christentum leisten? 

Das Christentum war schon immer, besonders ab dem Hochmittelalter, die lenkende und oft auch treibende Kraft Europas, selbst wenn man zwischen ihrer geistigen Sonntagswelt und ihrer sehr pragmatischen Werktagswelt unterscheidet. Diese Rolle ist im Laufe des letzten Jahrhunderts durch äußere Einwirkung und innere Fehler der Werktagswelt stark geschwächt worden. So sind nach wie vor die kirchlichen Austrittszahlen hoch, doch scheint in letzter Zeit vor allem in der Jugend und bei unseren östlichen Nachbarn ein Aufwärtstrend wieder Fuß zu fassen. Interessant ist auch die Entwicklung um den Begriff der Menschenwürde: Von christlichen Humanisten am Beginn der Neuzeit geprägt, sehen ihn heute auch agnostische Humanisten als den wichtigsten Wert, den Europa hervorgebracht hat.

©Privat

Zur Person:

Michael Breisky war langjähriger österreichischer Botschafter.

Schlagwörter
Autor:
  • Stefan Kronthaler
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