Der gestohlene Deckel

Aus der bunten Welt der Couleurstudenten
Ausgabe Nr. 21
  • Heiter bis heilig
Autor:
Gute Geschichten sollen erzählt werden: ORF-Journalist Martin Haidinger kennt viele amüsante Begebenheiten aus dem katholischen Verbindungsleben. ©Stephan Huger

Bernadette Spitzer erzählt gerne Heiteres aus der Welt der Kirche.

Martin Haidinger, seit kurzem Professor, ist Historiker und renommierter Radiojournalist bei Ö1. Seit seiner Gymnasialzeit ist er auch Mitglied bei der Wiener Verbindung Borussia im MKV. Als begabter Geschichtenerzähler widmete er der bunten Welt der Couleurstudenten bereits 2007 einen Roman mit dem Titel „Unter Brüdern“. Das Buch ist vergriffen, dem SONNTAG hat der Autor für diese Ausgabe aber folgende Anekdote erzählt:

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Das ergreifende Ritual am offenen Grab

Mitte der 1980er-Jahre erlebte ich als junger „Bundesbruder“ zum ersten Mal die Bestattung eines „Alten Herren“, der in hohem Alter verstorben war. Für so ein „Couleurbegräbnis“ ist ein ergreifendes Ritual vorgesehen:  

Dabei begleiten neben anderen Bundesbrüdern auch sogenannte „Chargierte“ in voller Wichs, also im Festkleid der Verbindung, den Sarg bis zum offenen Grab und weisen dann mit den Klingen der rituellen Zierwaffen, der „Schläger“, hinab in die Tiefe. Noch bevor der Sarg hinuntergelassen wird, hält ein Bundesbruder, meistens der Obmann der „Altherrenschaft“, also des Veteranenvereins der Verbindung, eine kurze Rede. Danach nimmt er das Band und die Mütze, den „Deckel“, des Verstorbenen und wirft sie dem mittlerweile versenkten Sarg als letzten Gruß der Verbindung nach.

So pilgerten denn auch diesmal Borussen jeden Alters zum Friedhof und die Zeremonie nahm ihren Lauf. Der Altherrenobmann trat ans offene Grab und … oh weh! Er hatte den Deckel des Verstorbenen zuhause „vergessen“! Jeder wusste, dass der Verwichene, der seit den 1920er-Jahren Mitglied gewesen war, immer ein besonders schön besticktes Exemplar auf dem Kopf getragen hatte, was den Deckel historisch und ideell wertvoll machte.  Das gute Stück schien dem Redner offenbar viel zu schade, um in einem Grab zu vermodern und vermutlich hatte er die Mütze daheim bereits gut verwahrt.

Was aber sollte man jetzt dem Toten mitgeben?

Kurzerhand ging der Altherrenobmann auf den jüngsten anwesenden Bundesbruder zu, einen 15-jährigen „Fuxen“ (so nennt man die Jungmitglieder), der erst ein paar Tage zuvor aufgenommen worden war, nahm ihm dessen funkelnagelneuen Deckel vom Kopf und warf ihn mit ritueller Grandezza ins Grab.

Nie werde ich den ergriffenen Blick des kleinen Fuxen vergessen, der sicher nicht nur im Andenken an den Verstorbenen feuchte Augen bekam …  Zwei Wochen später hatte er einen neuen Deckel und der „Räuber“ konnte sich über das antike Stück freuen.

Autor:
  • Bernadette Spitzer
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