Chancen auch radikal nützen

Meinung
Ausgabe Nr. 41
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Anna Wall-Strasser schreibt darüber, warum die Digitalisierung auch Chancen mit sich bringt.
Anna Wall-Strasser schreibt darüber, warum die Digitalisierung auch Chancen mit sich bringt. ©privat

Anna Wall-Strasser (67), Bundesvorsitzende der Katholischen Arbeitnehmer:innen-Bewegung (KAB) Österreich, darüber warum die Digitalisierung auch Chancen bereithält.

Jede technische Innovation hatte in der Geschichte tiefgreifende Auswirkungen auf die Arbeitswelt, die Arbeitenden, die Gesellschaft insgesamt – von der Erfindung der Dampfmaschine im 18. Jahrhundert über die Automatisierungsschübe des 20. Jahrhunderts. Nun stehen wir durch die Digitalisierung der Arbeitsprozesse und die automatisierte Datennutzung vor fundamentalen Veränderungen der Arbeitswelt. Ich verwende dafür hier bewusst nicht den Begriff ‚Intelligenz‘. Datenbasierte Systeme sind Maschinen, so der Sozialethiker Peter Kirchschläger. Sie besitzen keine soziale und emotionale Intelligenz. Vorhandene Daten werden in für uns nicht nachvollziehbarer Geschwindigkeit genützt und verknüpft. Mit riesigem Energieaufwand, das nebenbei.

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Chancen für Arbeitnehmer

Diese Maschinen können viele routinemäßige Aufgaben übernehmen, Arbeitsabläufe optimieren, Recherchen und Übersetzungen liefern, Korrespondenzen und Buchhaltungen erledigen. Viele bisher bezahlte Aufgaben auf Arbeitsplätzen werden wegfallen. Das bedeutet in ganz vielen Arbeitsbereichen eine höhere Produktivität in viel geringerer Arbeitszeit. Und es braucht keine höhere Mathematik um zu verstehen, dass es dadurch in diesen Bereichen auch gewaltig hohe Gewinne geben wird.

In anderen Arbeitsfeldern werden durch die neuen Technologien keine Produktivitätsgewinne zu erzielen sein: in den vielen personenbezogenen Dienstleistungen, überall wo es um Einfühlungsvermögen, Zuwendung, Empathie geht. Ums Pflegen und Sorgen in allen vielfältigen Formen, um CARE, wie es neudeutsch heißt. Das sind jedoch die Grundlagen allen Lebens. Ohne umfassende Sorgearbeit funktioniert auch keine Wirtschaft. Und sie ist, wie wir wissen, unterbezahlt und in großem Umfang unbezahlt, und wird überwiegend von Frauen geleistet.

Chancen auf kürzere Arbeitszeiten?

Nun ist es meines Erachtens nur logisch, diese beiden Gedankenstränge zusammen zu denken. Höhere  Wirtschaftsleistung mit weniger Arbeitsstunden bedeutet die Möglichkeit einer kürzeren Arbeitszeit für alle. Das braucht natürlich die entsprechenden Rahmenbedingungen, und das ist Aufgabe der Politik, des Staates, der EU. Produktivitätsgewinne müssen umverteilt und dorthin kanalisiert werden wo sie gebraucht werden im Sinne des Gemeinwohls. Es braucht mehr Arbeitsplätze, bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne in Bereichen, die sich an den grundlegenden menschlichen Bedürfnissen orientieren. Und das ist nun mal der gesamte Care- und Sozialbereich – die Begleitung, Betreuung, Pflege und Bildung von Menschen von der Geburt bis zum Tod. Das ist Staatsaufgabe, muss und kann finanziert werden durch Gewinne aus technologischem Fortschritt und Digitalisierung. Zugleich bietet sich durch eine generelle Arbeitszeitverkürzung die Chance zu einer anderen, fairen Verteilung der umfassenden unbezahlten (Sorge)arbeit in den Partnerschaften und Familien. Halbe/halbe daheim geht sich gut aus, wenn beide Partner auch gleich kurz in der Erwerbsarbeit stehen.

Für manche mag das utopisch klingen. Aber so wie es ist, wird es nicht bleiben, das wissen wir. „Für die Wirtschaft gelten keine Naturgesetze. Wirtschaft funktioniert so, wie wir sie gestalten“, schreibt die Journalistin Rosa Lyon in ihrem Buch über die Gefahren der Ungleichheit. Warum nicht die Chancen der Digitalisierung nützen zur Gestaltung des guten Lebens für alle?

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  • Anna Wall-Strasser
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