Wir leben in einer Kultur des „Immer-Mehr“

Die Lebensweisheit(en) der Antike
Ausgabe Nr. 44
  • Spiritualität
Autor:
In einer Zeit, in der sich die Welt immer schneller dreht, in der Maß und Mitte abhandengekommen zu sein scheinen, plädiert dieses Buch für eine Rückbesinnung auf antike Tugenden wie Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß.
In einer Zeit, in der sich die Welt immer schneller dreht, in der Maß und Mitte abhandengekommen zu sein scheinen, plädiert dieses Buch für eine Rückbesinnung auf antike Tugenden wie Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß. ©Wiener Dom-Verlag Ges.m.b.H.

In unserer maßlosen Gesellschaft gerät zu vieles aus dem Lot. Erschöpfung und Sinnverlust sind oft die Folgen. Gegenüber dem SONNTAG verrät die Philosophin Michaela Masek, was wir auch von der antiken Philosophie für unser Leben lernen und praktizieren können.

In der Antike galt Maßhalten als Zeichen von Stärke, nicht von Verzicht. Wer also Maß hält, schafft Raum für das Wesentliche. Diese Haltung täte uns auch heute gut, ist die Philosophin Michaela Masek im Gespräch mit dem SONNTAG überzeugt. Sie unterrichtete Latein und Griechisch sowie Psychologie/Philosophie am Gymnasium in der Wasagasse (Wien 9) und lehrte auch Philosophie an der Universität Wien.

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„Das Glück in der Antike ist Denksache“, stellen Sie in Ihrem Buch fest: Laden auch die heutigen unzähligen Glücksratgeber mit ihren vereinfachenden To-do-Listen dazu ein?

Die antiken Philosophen sehen Glück nicht als etwas, das man in zehn Schritten abhaken kann, sondern als Haltung, die aus Einsicht und Übung entsteht. Viele heutige Ratgeber bleiben an der Oberfläche, weil sie schnelle Lösungen versprechen. Wer sich aber auf die Denkarbeit der Griechen und Römer einlässt, entdeckt, dass Glück vor allem darin besteht, sein Leben bewusst und im Einklang mit seinen Werten und Tugenden zu gestalten – ein Gedanke, der sich als roter Faden durch sämtliche im Buch vorgestellten Glücks- und Moralkonzepte zieht.

Die griechischen und römischen Philosophen plädieren für die Lebenskunst. Bietet nicht auch das Christentum Anregungen für diese Kunst, gut und richtig zu leben?

Ja, und hier liegt für mich eine faszinierende Parallele: Die antike Philosophie und das Christentum betonen beide die innere Haltung, nicht bloß das äußere Befolgen von Regeln. Tugenden wie Gerechtigkeit, Maß und Nächstenliebe sind keine abstrakten Ideale, sondern gelebte Praxis. Ich zeige an mehreren Stellen in meinem Buch, wie diese beiden Traditionen einander ergänzen – und was wir heute aus diesem gemeinsamen Erbe schöpfen können.

Warum macht die antike Philosophie, wie Sie in Ihrem Buch schreiben, „den Menschen menschlicher“?

Weil sie den ganzen Menschen im Blick hat – nicht nur dessen Leistung oder Nutzen. Sie ist wie ein Spiegel, der uns zeigt, wer wir wirklich sein können. Selbsterkenntnis ist die elementare Voraussetzung, um sich ethisch zur Gemeinschaft zu verhalten und Verantwortung zu übernehmen, sowohl für uns selbst als auch gegenüber unseren Mitmenschen. Die antiken Philosophen ermutigen uns, das eigene Denken zu schärfen, Gefühle zu verstehen und das Leben bewusst zu gestalten. Menschlicher werden heißt auch, sich nicht von Trieben oder Moden leiten zu lassen, sondern aus Überzeugung zu handeln und innere Freiheit zu gewinnen. Nicht zuletzt verhilft die antike Philosophie dazu, die eigene Endlichkeit und Begrenztheit anzuerkennen und dennoch Sinn im Leben zu schaffen.

„Wenn Emotionen oft mehr als Fakten zählen, laufen wir 
Gefahr, in Extreme abzugleiten.“

Michaela Masek

Ausgehend von den Philosophen plädieren Sie auch für „das rechte Maß“. Warum braucht unsere maßlose Zeit gerade auch heute diese Tugend? 

Wir leben in einer Kultur des „Immer-Mehr“ – mehr Konsum, mehr Tempo, mehr Selbstinszenierung. Vieles scheint in unserer maßlosen Gesellschaft buchstäblich aus dem Lot zu geraten. Es ist daher umso dringlicher, das rechte Maß zu erkennen und Übermaß zu vermeiden. In der Antike galt Maßhalten als Zeichen von Stärke, nicht von Verzicht. Wer Maß hält, schafft Raum für das Wesentliche – eine Haltung, die uns heute vor Erschöpfung und Sinnverlust bewahren kann.

Auch der „gesunde Menschenverstand“ sollte noch mehr eine Rolle spielen, betonen Sie. Sind wir manchmal „von jedem guten Geist verlassen“?

Leider ja. Gerade in Zeiten, in denen Schlagzeilen und Emotionen oft mehr zählen als Fakten, laufen wir Gefahr, in Extreme abzugleiten. Hier kann vielleicht eine genaue Worterklärung für die Tugend der „Besonnenheit“, des „Maßhaltens“ dienlich sein. Der griechische Begriff „sophrosýne“ setzt sich aus zwei Wortbestandteilen zusammen und bedeutet im Grunde „gesundes Denken“. Gemeint ist also die Fähigkeit, kritisch zu prüfen und sich nicht von jedem Trend verführen zu lassen. Der provokante Titel meines Buches will genau das anstoßen: die Frage, ob wir noch aus eigener Überzeugung handeln oder nur – oftmals gedankenlos – reagieren.

„Askese bedeutet im 
Griechischen schlicht Übung, 
intensives Training.“

Michaela Masek

Dankenswerterweise erläutern Sie auch die eigentliche Bedeutung der „Askese“, die bis hinein in theologische Kreise fälschlich oft als „Enthaltsamkeit“ verstanden wird. Ist „Askese“ so etwas wie ein „Training“ für Geist und Körper?

Genau. „Áskesis“ bedeutet im Griechischen schlicht „Übung, intensives Training“. Die antiken Denker meinten damit, dass man durch bewusste Gewohnheiten und Selbstdisziplin sein Leben formen kann – ähnlich wie ein Sportler trainiert. Askese ist kein lebensfeindlicher Verzicht, sondern eine Schulung, um frei zu werden von externen Faktoren, die uns oftmals beherrschen. Diese Perspektive öffnet auch im Glauben neue Horizonte.

Das Schlusskapitel Ihres Buches geht aus vom Amoklauf eines jungen Mannes an einer Grazer Schule am 10. Juni 2025 mit elf Toten. Wie kommen hier „Glaube, Liebe, Hoffnung“ zur Geltung?

Angesichts einer solchen Tragödie stehen wir sprachlos vor dem Bösen und dem Leid. Begreiflicherweise können „Glaube, Liebe, Hoffnung“ hier keine schnellen Antworten liefern. Sie sind jedoch die wesentlichen Kräfte, die Menschen befähigen, nicht zu verzweifeln. Glaube, dass das Leben dennoch Sinn hat. Liebe, die trägt und den Betroffenen beisteht. Hoffnung, dass Veränderung möglich ist. Diese drei Tugenden sind keine Theorie – sie sind das Fundament, auf dem wir in Dunkelheit weitergehen können.

©Wiener Domverlag

Buchtipp: Von jedem guten Geist verlassen?

Michaela Masek: Von jedem guten Geist verlassen? Warum wir uns in einer maßlosen Gesellschaft auf antike Tugenden besinnen müssen

 

256 Seiten 
Durchgehend farbig illustriert
Hardcover
Preis: EUR 29,– 
ISBN 978-3-85351-338-5

 

In unserer „taumelnden Welt“ (so der Pastoraltheologe Paul Michael Zulehner) tut eine Rückbesinnung auch auf das antike Erbe gut. Mit ihrem Buch „Von jedem guten Geist verlassen? Warum wir uns in einer maßlosen Gesellschaft auf antike Tugenden besinnen müssen“ nimmt uns Michaela Masek mit auf eine Zeitreise in die alte griechische und römische Philosophie. Wenn heute Wissen zur Ware verkommt und Philosophie als Luxus abgetan wird, so plädiert dieses Buch für die umfassende Klugheit. Denn die griechischen Tugenden sind moralische Kernkompetenzen, sie dienen der Lebenskunst. So banal es klingen mag, entscheidend ist damals wie heute eine grundlegende Tugend: das rechte Maß – in einer maßlosen Zeit. Und natürlich auch die Tugend des „gesunden Menschenverstandes“.  „Von jedem guten Geist verlassen“ zu sein ist schließlich keine Option für die Zukunft. Gerade die antike Philosophie macht „den Menschen menschlicher“, wie die Autorin schreibt, und gesünder.

 

Bestellen unter:domverlag.at

Buchautorin Michaela Masek
Michaela Masek: Autorin des Buches "Von jedem guten Geist verlassen? Warum wir uns in einer maßlosen Gesellschaft auf antike Tugenden besinnen müssen". ©Tim Cavadini

Zur Person

 

Michaela Masek studierte Klassische Philologie, Psychologie und Philosophie und unterrichtete bis 2021 am Wiener Wasagymnasium Latein, Griechisch und Psychologie/Philosophie. Seit 2002 Universitätslektorin am Institut für Philosophie der Universität Wien. 

Autor:
  • Stefan Kronthaler
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