Wenn der Reformator Starthilfe gibt

Hirtenhund
Ausgabe Nr. 45
  • Hirtenhund
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©Der SONNTAG

Der Hirtenhund über Martin Luther.

Zu den beliebten, gleichwohl meines Erachtens sinnlosen Fragen unserer Seelbesorgten zählt die Frage: „Was würde Jesus heute sagen?“ Würde er den Mächtigen auf die Finger klopfen? Würde er sich fürs Klima ankleben? Oder würde er traurig den Kopf schütteln über uns? Die evangelische Kirche in Deutschland hat zum Reformationstag diese Frage beantwortet – naja, fast. Sie hat nämlich Martin Luther aus dem kühlen Grab gehoben und in Form eines KI-Avatars zum Leben erweckt. Auferstehung 3.0. Für eine Stunde hat der animierte Luther im virtuellen Raum einer schmucklos-nüchternen Kirche Fragen beantwortet, die man ihm live im Chat stellen konnte.

 

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Viele Fragen betrafen seine Lehre, auch seinen Antisemitismus. Darauf antwortete „er“ souverän, oftmals mit Bedauern und so handzahm, als habe er die Antirassismus-Richtlinie der EU zuvor noch rasch inhaliert. Auch zeigte er sich aufrichtig besorgt über die steigenden Kirchenaustritte – obwohl es diese Möglichkeit in Deutschland und Österreich erst seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts gibt und der gute alte Luther davon noch gar nichts wissen konnte. Richtig heiß liefen die digitalen Drähte dann, als Luther zwischen seiner KI-Existenz und dem christlichen Auferstehungsglauben Parallelen zog. Die KI stelle die Möglichkeit einer „metaphorischen Auferstehung“ dar, „wo etwas, das als beendet erachtet wurde, eine neue Chance erhält“. Vielleicht sollte der ökumenische Dialog da nochmal ein wenig nachschärfen.

Was würde Luther sonst noch heute sagen? Nun, User „Funi“ entlockte dem Reformator etwa eine Anleitung zur Überbrückung einer Autobatterie: „Das weiß ja sogar ich – und ich habe in meinem Leben noch nie ein Auto gefahren“, johlte der Digi-Martin. Keine Frage, die der Reformator nicht mit Witz und Bedacht beantwortete. Und zugleich daran sichtbar machte, wie sinnlos ein solches Unterfangen und die besagte Frage, was denn xyz heute sagen würde, sind. Denn nie im Leben wäre ein Luther so gottverdammt korrekt und diplomatisch gewesen wie diese KI, ja wie KI-Bots insgesamt. Hätte Luther aus der KI gesprochen, die Antworten hätten zensuriert werden müssen und die KI wohl vor Scham erröten lassen. Daher, bitte, liebe Seelbesorgte, fragt nicht, was Jesus heute sagen würde. Jesus hat keine anderen Hände und auch keinen anderen Mund als den eurigen. Es gibt keinen a-historischen Glauben, keine a-historischen Glaubensaussagen. Das weiß im Übrigen auch die KI – nur ist sie zu blöd, um zu wissen, was das bedeutet.

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