Sabine Estner: Vom Mönch zur Transfrau

Interview
Ausgabe Nr. 24
  • Leben
Autor:
Mein Dorfpfarrer nimmt mich so an, wie ich bin, erzählt Transfrau Sabine Estner im Interview.
Mein Dorfpfarrer nimmt mich so an, wie ich bin, erzählt Transfrau Sabine Estner im Interview. ©Nadine Keilhofer/frei

Transidentität bedeutet, dass sich Menschen nicht mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren können. Sabine Estner lebte 14 Jahre lang als Mönch. Ihre Autobiographie macht deutlich, wie schwer und schmerzhaft ihr Weg war – und wie stark ihr Glaube.

Sabine Estner lebte über viele Jahre als Mönch im Kloster, bevor sie zu ihrer Transidentität fand. Die 56-jährige Diplom-Ingenieurin für Elektrotechnik erzählt in ihrer Autobiographie „Ich bin, wie Gott mich schuf“ über den Kampf zwischen innerer Wahrheit und äußeren Erwartungen. Schon früh fühlte sie sich als Mädchen, wurde aber in einem männlichen Körper geboren. Die schwere Traumatisierung durch ihre Transidentität führte zu einer Erkrankung, die sie heute arbeitsunfähig macht. Dennoch betont sie: Ihr Glaube an Jesus trug sie durch alle dunklen Zeiten bis hin zur Selbstakzeptanz.

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Der Weg vom Mönch zur Transfrau

Frau Estner, wie geht es Ihnen heute?

Sabine Estner: Ich habe inneren Frieden gefunden, besonders seit meiner geschlechtsangleichenden Operation. Die Transidentität belastet mich nicht mehr. Natürlich erfahre ich Ablehnung, aber mein Glaube gibt mir Halt. Körperlich leide ich unter dem Chronischen Erschöpfungssyndrom – ich muss täglich mehrere Stunden ruhen. Doch auch in der Stille finde ich Raum zum Gebet und zur Begegnung mit Gott.

Wie kam es dazu, dass Sie an die Öffentlichkeit gingen? 

Ich wurde angefragt – und sagte Ja, weil ich zeigen wollte: Transidentität ist kein Lifestyle, sondern ein existentieller Weg. Ich habe alles versucht – Therapien, Exorzismen, Gebet. Nichts hat geholfen. An Weihnachten 2017 stand ich vor Jesus und wusste: Entweder ich lebe als Frau – oder gar nicht mehr. Es ging ums Überleben.
 

Wie sind Sie an die Entstehung Ihres Buches herangegangen?

Ich hatte viele Aufzeichnungen – auch aus der Zeit im Kloster. Für eine Psychologin schrieb ich einen Lebenslauf mit Gefühlen. Das half beim Buchkonzept. Es war mir wichtig, dass ein christlicher Verlag es veröffentlicht – der Herder Verlag hat das getan. Die Rückmeldungen waren überwältigend positiv. Viele sagten: „Ich konnte nicht mehr aufhören zu lesen.“ Manche änderten sogar ihre Sicht auf Transidentität.
 

Die Kirche als Transfrau erleben

Wie erleben Sie heute Kirche? 

Ich bin in meiner römisch-katholischen Dorfpfarre aktiv, gehe regelmäßig zum Queergottesdienst in München und bin Teil eines Bibelkreises. Manche sehen in mir noch den Menschen von früher. Aber mein früherer Pfarrer sagte: „Sabine hat ihren Weg gefunden. Sie ist eine Frau – und das ist gut so.“ Das hat mich tief berührt. Ich fühle mich in der Kirche zu Hause – trotz mancher Spannungen.
 

Schwere Zeit vor dem Leben als Transfrau

Was war die schwerste Zeit in Ihrem Leben? 

Die Phase der charismatischen Exerzitien mit Geisteraustreibung – und danach der völlige Zusammenbruch. Ich verlor Gesundheit, Arbeit, Wohnung, Beziehung. Erst als alles weg war, konnte ich mich outen. Das war der Wendepunkt. Ich hatte nichts mehr zu verlieren – und fand dadurch Freiheit.
 

Und der beglückendste Moment? 

Als ich begann, als Frau zu leben – und mein Leben Jesus neu übergab. Ein Schlüsselmoment war, als ich 2019 einen Damenregenmantel anprobierte. In diesem Moment fühlte ich mich zum ersten Mal von Gott geliebt – so, wie ich bin. Ein Mönch sagte mir später: „Das war ein Zeichen – ein Geschenk Gottes.“
 

"Er ist der Töpfer, ich bin der Ton."

Wie hat sich Ihr Gottesbild verändert? 

Ich habe Gott oft gefragt: Warum hast du mich so erschaffen? Aber ich erkannte: Er ist der Töpfer, ich bin der Ton. Er hat mich so gewollt. Heute weiß ich: Jesus lehnt mich nicht ab – auch wenn Menschen es tun. Ich lebe von seiner Gnade, nicht von meiner Leistung. Besonders in meiner jetzigen Lebenssituation – mit Erwerbsunfähigkeitsrente und Minijob – kann ich nur auf ihn vertrauen. 

Gibt es Bibelstellen, die Ihnen besonders wichtig sind?  

Ja, viele. Zum Beispiel: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid.“ Oder: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ Auch Matthäus 19,12, wo Jesus von Menschen spricht, die „von Geburt an“ anders geschaffen sind – das gibt mir Hoffnung. Ich glaube: Transidentität ist von Gott gegeben – und mit dem Glauben vereinbar.
 

Transidente Menschen: Sprecht mit uns!

Was möchten Sie der Kirche und Gesellschaft mitgeben?  

Sprecht nicht nur über transidente Menschen – sprecht mit uns. Viele urteilen, ohne je ein Gespräch geführt zu haben. Und: Transidentität sucht man sich nicht aus. Es ist ein tiefes inneres Wissen – und ein Weg, den man nicht geht, weil man will, sondern weil man muss, um zu überleben. In Jesus habe ich meine Identität gefunden. Er liebt mich – so, wie ich bin.

©Herder

Buchtipp:

Eindringlich erzählt, absolut empfehlenswert: Sabine Estner, Ich bin, wie Gott mich schuf. Eine Transfrau erzählt ihre Geschichte, Herder, 240 Seiten, ISBN: 
978-3-451-39739-4, EUR 23,50
 

Schlagwörter
Autor:
  • Portraitfoto von Agathe Lauber-Gansterer
    Agathe Lauber-Gansterer
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