Krieg & Hoffnung: Kardinal Schönborn über Weihnachten

Weihnachtsinterview
Ausgabe Nr. 51
  • Wien und Niederösterreich
Autor:
Kardinal Schönborn hofft zum Jahresschluss, dass wir die Zuversicht nicht verlieren und ein großes Gottvertrauen haben. ©Stephan Schönlaub

Entdecken Sie Kardinal Christoph Schönborns tiefgründige Einblicke in ein Weihnachten voller Herausforderungen und Hoffnung. Erfahren Sie, wie er trotz weltweiter Unruhen und Konflikte Lichtblicke für die Zukunft sieht.

Weihnachten 2023  ist in vielen Teilen der Welt kein Fest des Friedens. Kardinal Christoph Schönborn benennt im Gespräch zum Jahresschluss Wunden und erklärt, warum er dennoch Hoffnung für die Zukunft hat. Auch in diesem Advent treffen die kirchlichen Medien – der SONNTAG, radio klassik Stephansdom und die Katholische Presseagentur – den Wiener Erzbischof vor dem Weihnachtsfest zum Interview. Kardinal Christoph Schönborn spricht über Krieg und Frieden, die Verantwortung der Religionen und über soziale Gerechtigkeit.

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Die Stadt ist voll – Wien wird wieder besucht. Herr Kardinal, Sie leben mitten im Herzen von Wien. Sind wir wieder in der Normalität des Lebens angekommen?

KARDINAL Christoph Schönborn: Was ist die Normalität des Lebens? Ich kann mich nicht erinnern, weder aus meiner Kindheit oder aus der Geschichte der Menschheit, dass es normale Zeiten gibt. Es gibt Zeiten der Freude und Zeiten der Sorge und es ist immer eine Herausforderung, wie wir mit der realen Situation umgehen.

Was zieht Menschen auf einen Christkindlmarkt hin, aber nicht in die Kirche hinein?

Die Menschen sind nicht in der Kirche, aber bei uns hier auf dem Stephansplatz. Da kann man sagen, sie sind schon ganz nah bei der Kirche. Ist der Christkindlmarkt nur ein Geschäftsrummel, steckt dahinter auch eine Sehnsucht? Das hängt davon ab, wie man selber eingestellt ist. Ich plädiere dafür, dass wir darin etwas von einer Suche ausmachen können. In der finsteren Jahreszeit gibt es Lichter auf den Christbäumen und weihnachtlichen Schmuck, vieles ist liebevoll handwerklich gearbeitet. Man kann das kritisch-ablehnend sehen, aber auch positiv sehen. Warum nicht?

Trinken Sie auch einen Punsch – für einen guten Zweck?

Ich bin kein Punsch-Fan. Ich hoffe, dass ich gute Zwecke auch auf einem anderen Weg verwirklichen kann.

Wie erklären Sie einer Besucherin, einem Besucher auf dem Christkindlmarkt Weihnachten?

Man kann ganz einfach sagen, dass Gott unter uns als Mensch sein will. Das wäre die kürzeste Formel von Weihnachten.

Wir erinnern uns 2023 an das Jubiläum der Erklärung der Menschenrechte vor 75 Jahren. Was haben wir als Christinnen und Christen, als Kirche dazu zu sagen und beizutragen?

Die Erklärung war sicher eine Gnadenstunde in der Weltgeschichte. Es war der Horror des Nazi-Regimes, es war der Zweite Weltkrieg, es waren die Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki vorbei. Den Menschen ist der Schock tief in den Knochen gesessen. In dieser Stunde war ein seltener Konsens da: Das darf nicht mehr passieren.

Und die Menschenrechtserklärung ist stark vom christlichen Menschenbild geprägt, das kann man nicht bestreiten. Wer sich an der Bibel und dem Evangelium orientiert und an der Gestalt Jesu, kommt unweigerlich zu den Menschenrechten. Inwieweit es gelingt, sich an ihnen zu orientieren, ist eine Frage, die sich an jeden von uns persönlich richtet. Auch inwieweit sich Staaten in ihrer Gesetzgebung und die UNO in ihren Teilorganisationen an diesem Maßstab orientieren, ist eine große Frage. Das verschärft sich noch, da nicht alle Religionen darin übereinstimmen und auch säkulare Menschenbilder diesen Maßstab nicht unbedingt übernehmen.

Weihnachten ist das Fest des Friedens. Gleichzeitig gibt es Kriege, die uns betroffen machen: So ist Krieg im Heiligen Land. Wie sehen Sie die Lage?

Ich wage nicht, hier eine Diagnose zu geben oder eine Analyse, da die Verhältnisse sehr komplex sind. Eines ist sicher: Der Terrorüberfall der Hamas mit den grausamsten Menschenrechtsverletzungen muss benannt werden. Die Lösung dieses Konflikts, der schon viele Opfer gekostet hat, ist eindeutig eine dringende Aufgabe der Staatengemeinschaft. Dieser Konflikt kann nicht alleine zwischen den beiden Konfliktpartnern gelöst werden. Und es ist die Weltpolitik in einem hohen Maße involviert. Das ist genauso beim Überfallskrieg von Russland auf die Ukraine seit fast zwei Jahren. Das kann nicht bilateral gelöst werden. In dem Nahost-Konflikt fühlt man sich an den Dreißigjähriger Krieg erinnert. Es muss ein Frieden passieren nach einer Friedensordnung, so wie es nach dem Zweiten Weltkrieg geschehen ist und wie es nach dem Ersten Weltkrieg leider nicht geschehen ist. Es muss eine internationale Lösung gefunden werden. Das geht nur, wenn die Beteiligten ihre Partikularinteressen um eines Größeren willen zurückzustellen.

Was hast du getan, um mehr Gerechtigkeit auf Erden zu verwirklichen?

Sie gelten international als ein Freund des Judentums und des Islam. Was glauben Sie können die abrahamitischen Religionen in dieser Situation dazu beitragen, dass im Heiligen Land Frieden ist?

Die abrahamitischen Religionen zusammen sind die Hälfte der Weltbevölkerung. Sie bestimmen doch sehr die Geschichte und die gegenwärtige Situation. Darum sind alle Schritte, die in Richtung der gemeinsamen Verantwortung geschehen, unbedingt zu begrüßen! Eine Dimension ist uns, den abrahamitischen Religionen, gemein, nämlich die Verantwortung vor dem Ewigen. Das heißt der Glaube daran, dass es so etwas wie das universale Gericht gibt, in dem wir Rechenschaft geben müssen nicht nur über uns eigenes Leben, sondern über das Leben unserer Gemeinschaften. Und dieser Blick auf die Letztverantwortung vor dem Ewigen ist die oberste Frage: Was hast du getan, um mehr Gerechtigkeit auf Erden zu verwirklichen? Und diese gemeinsame Frage, die kann sozusagen einen Kern bilden für strategische Überlegungen, wie wir als abrahamitische Religionen dieser Glaubensanforderung gerecht werden.    

Viele mussten vor dem Krieg in der Ukraine flüchten, auch nach Österreich. Was würden Sie einer Flüchtlingsfamilie  sagen?

Ich kann das behutsam machen, weil meine Familie eine ähnliche Situation erlebt hat. Meine Mutter ist mit zwei kleinen Kindern, ich war nicht mal Jahr alt, geflüchtet am Kriegsende 1945. Meine Mutter hat immer wieder gesagt: „Kein Mensch verlässt freiwillig seine Heimat.“ Die 90.000 Menschen aus der Ukraine, die bei uns sind, zum großen Teil Frauen und Kinder, haben sicher nicht freiwillig ihre Heimat verlassen. Wie es in meiner Familie war, ist sicher auch hier die Hoffnung: Es wird Frieden sein und wir können zurückkehren. Es sieht in vieler Hinsicht aber so aus, dass ein Teil nicht zurückkehren wird können. Nicht weil die Menschen nicht wollen, sondern weil die Unsicherheit eine Zukunft schwer vorstellbar macht. Die Rückkehr in das eigene Land ist aber natürlich das anzustrebende Ziel – nach einem hoffentlich gerechten Frieden.

Wenn wir in der Welt bleiben, kommen wir auch zur Weltkirche: 2023 war das Jahr der Synode, zu der Papst Franziskus eingeladen und aufgerufen hat. Sie waren im Oktober in Rom zum Austausch, zu den Beratungen. Wie ist Ihre Zusammenfassung?

Von der Taufe her sind alle in vollem Maß Träger der Kirche. Das kann nicht beschränkt sein auf einen kleinen Kreis von 5 %, die Hierarchie. Aber eine Kirche, die hinausgeht, wie Papst Franziskus es sagt, das sind wir alle. Das wird in der säkularen Gesellschaft viel deutlicher. Und die zentralen Themen, die mir wichtig sind: die Armen, die Frauen und der digitale Kontinent.

Die zentralen Themen sind die Armen, die Frauen und der digitale Kontinent.


In Österreich haben wir ebenfalls einige Herausforderungen: Die Inflation zwingt auch die Kirche weiter zu sparen. Wo ist es sinnvoll zu sparen?

Das teilt die Erzdiözese mit vielen privaten Haushalten in Österreich. Wir stehen nicht vor dem Bankrott. Aber wir müssen mit den Ressourcen sorgsam umgehen, so wie es die meisten tun müssen. Und es gibt Teile, die wachsen: der Bildungsbereich und der karitative Bereich.

Herr Kardinal, Ihre Amtszeit neigt sich dem Ende zu. Was ist Ihnen wichtig?

Dass wir die Zuversicht nicht verlieren, dass wir uns nicht in einer Schockstarre verlieren. Ja, es sind schwierige Zeiten, es geht uns in Österreich aber noch immer unvergleichlich besser. Wir haben ein Sozialnetz, das zu den besten der Welt gehört. Wir haben ein Gesellschaftskonzept, in der die Sozialpartnerschaft wesentlich ist. Das heißt, wir tragen Konflikte nicht auf der Straße aus, sondern am grünen Tisch. Und es gibt einen Rechtsstaat mit einer hohen Rechtssicherheit. Und ein Thema, dem wir nicht entkommen, ist die Migration.

Wir sind als Gläubige Menschen, die eine große Hoffnung haben sollen. Welche Hoffnung haben Sie für 2024?

Frieden an oberster Stelle, denn ohne Frieden können die Menschen nicht leben. Der Friede ist die Frucht der Gerechtigkeit. Ich erbitte auch soziale Gerechtigkeit. Mein Herzensanliegen ist, dass wir ein tiefes Gottvertrauen haben. Wir sind nicht am Ende. Jesus sagt: „Fürchtet euch nicht, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt.“ Also auch 2024.

Autor:
  • Sophie Lauringer
  • Stefan Hauser
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