„Ich war oft die Letzte, die die Suppenküche verlassen hat“
Glaubenszeugnis
Vor achtzehn Jahren zog Sherin Joseph zuerst nach Deutschland, ein Jahr später nach Österreich.
Frau Joseph, was war der Anlass für Sie, aus Kerala wegzugehen?
Ich habe in Indien in Armut gelebt und wusste schon als Elfjährige: Ich muss etwas ändern, damit die nächste Generation ein besseres Leben hat. Als Kind hatte ich kein Geld, ich wusste auch nicht, wohin ich einmal gehen sollte. Klar war, dass mich meine Eltern nicht unterstützen können. Ich habe viel gebetet und Gott immer wieder gesagt: ‚Bitte zeig mir den Weg!‘
Warum ist es Österreich geworden?
Meine Tante ist Ordensfrau bei den Mutter-Teresa-Schwestern. Sie lebte damals in Deutschland. Immer wenn ich sie Deutsch sprechen hörte, hat mich das sehr fasziniert. Also dachte ich, ich gehe nach Deutschland. Für meinen Flug musste ich einen Kredit aufnehmen, den ich Stück für Stück zurück- gezahlt habe. Nach einem Jahr in Deutschland bin ich nach Österreich umgezogen.
Vertrauen in Gott
Wie haben Sie die erste Zeit in Europa erlebt?
Die ersten sieben Jahre waren richtig schwer. Ich hatte kaum Geld, niemanden, der mich hier unterstützte. Neben meiner Ausbildung arbeitete ich viel, auch am Wochenende, oft als Nanny bei Familien. Mein Geld habe ich gespart. Ich kaufte mir nur das Nötigste, habe keinen Urlaub gemacht, mir keine schönen Kleider gegönnt. Alles, damit ich alle zwei, drei Jahre nach Indien fliegen konnte. Ich war nie verzweifelt, aber ja, ich habe nicht verstanden, warum es mir so lange schlecht ging. Zwanzig Jahre lang lebte ich in Indien in Armut, die ersten sieben Jahre waren in Europa extrem herausfordernd. Ich habe Gott oft gefragt: ‚Warum ist das so? Dabei bin ich doch so tief mit dir verbunden!‘
Was hat Ihnen in dieser schweren Zeit Kraft gegeben?
Ich war sehr viel bei den Mutter-Teresa-Schwestern und meiner Tante und habe dort mitgeholfen. Die Schwestern teilen jeden Tag Essen an Bedürftige aus. Oft war ich – damals noch ledig und ohne Kind – die Letzte, die die Suppenküche verlassen hat. Für mich ist das sehr wichtig: die Liebe Gottes in Taten weiterzugeben, in diesem Fall, indem man an arme Menschen Essen verteilt. Ich habe selbst in Armut gelebt, weiß genau, wie es ist, wenn man nicht drei Mahlzeiten am Tag bekommt, nicht genug Kleidung hat und manchmal kein Dach über dem Kopf. Wahrscheinlich gefällt es mir deshalb so gut in der Suppenküche.
„Die Liebe Gottes in Taten weiterzugeben bedeutet mir sehr viel.“
Sherin Joseph
Musik in Gottesdiensten
Wie erging es Ihnen denn mit der Glaubenspraxis hier in Österreich, die sich von jener in Kerala doch unterscheidet? Waren und sind Sie Teil der indischen Gemeinde?
Ich musste am Anfang sehr viel arbeiten und hatte oft keine Zeit, in die indische Gemeinde zu fahren, die noch dazu weiter von meinem Wohnort entfernt ist. Meistens besuche ich heute die Pfarre Sankt Gertrud ganz in meiner Nähe. Was mir aufgefallen ist: Die Kirche in Indien ist sehr stark mit dem sozialen Leben der Menschen dort verwoben. Sie betreibt Schulen und Krankenhäuser und hat einen großen Einfluss im Alltag. In Österreich empfinde ich das anders. Beides ist für mich nachvollziehbar. Was den Gottesdienst betrifft: Ich muss sagen, dass ich mich hier durch die Kunstwerke, die Musik, die Atmosphäre in der Kirche Gott sehr nahe fühle. Mir gefällt die Musik in den Gottesdiensten sehr gut.
Sie arbeiten heute beim katholischen Radiosender Radio Maria.
Nicht in der Redaktion, sondern in der Administration – ich bin ein Zahlenmensch. (Lacht.) In der Radiokapelle gibt es jeden Tag am Nachmittag Anbetung, oft gehe ich für fünfzehn Minuten in die Kapelle. Und einmal in der Woche feiere ich die Heilige Messe zu Mittag mit. Und ich liebe den Stephansdom! Zu Weihnachten und Ostern bin ich dort im Gottesdienst. So kenne ich das aus Indien: mit vielen, vielen Menschen gemeinsam feiern.
Sherin Joseph
Alter: 39
Lebensmotto: Wie die Hoffnung aufgeben.
Gott ist für mich: meine Kraft im Alltag. Mein Weg, der mich täglich weiterführt.
Sonntag bedeutet für mich: der Tag, an dem ich noch mehr mit Gott in Verbindung bleibe. Inspiration und Kreativität.