Gedanken des Alten Steffl

Seien Sie gegrüßt!
Ausgabe Nr. 2
  • Wien und Niederösterreich
Autor:
Den Blicken entzogen und trotzdem stets aufmerksam – Wasserspeier am südlichen Heidenturm.
Den Blicken entzogen und trotzdem stets aufmerksam – Wasserspeier am südlichen Heidenturm. ©Michael Gubi
Patinierter Blick auf den Alten Steffl von der Michaelerkuppel (Hofburg) aus.
Patinierter Blick auf den Alten Steffl von der Michaelerkuppel (Hofburg) aus. ©Stefanie Grüssl
Der Steffl in der Wasserspiegelung.
Der Steffl in der Wasserspiegelung. ©Michael Gubi
Aus der Zeit gefallen – spinnenumwobener Dreifaltigkeitsaltar im Steffl.
Aus der Zeit gefallen – spinnenumwobener Dreifaltigkeitsaltar im Steffl. ©Michael Gubi
Als ob Kerzen brennen würden – Lichtspiele am Dachgang in den Dreiecksgiebeln des südlichen Langhauses.
Als ob Kerzen brennen würden – Lichtspiele am Dachgang in den Dreiecksgiebeln des südlichen Langhauses. ©Michael Gubi

Seit mehreren Jahrhunderten ragt der Stephansdom über die Dächer Wiens. Was hat dieses Gebäude nicht alles (mit-)erlebt: historische Ereignisse, Glück und Leid der Menschen, Alltägliches genauso wie Ausnahmezustände. Was wäre, wenn der Steffl über all diese Vorkommnisse reden könnte? Was würde er erzählen?

Im Wienerlied „Die Stadt der Lieder“ hat Oscar Hofmann diese Vorstellung einmal in Worte gefasst:

Er hat vieles schon erlebt,
Dieser wack’re Stephansturm,
Sah die Türken, die Franzosen,
Sah herab auf manchen Sturm.
Und g’schieht heute auch noch Vieles
Was uns zur Verzweiflung bringt,
Nun dann tröstet uns ein Liedel,
Das ein Jed’s in Wien schon singt:

Refrain:
Da blickt der Steffl lächelnd auf uns nieder
Und denkt sich still der stolze Dom:
|: „Das ist mein Wien, die Stadt der Lieder
Am schönen blauen Donaustrom!“ :|

Das, was Hofmann 1892 in wienerischer Manier musikalisch durchgespielt hat, ist im Pfarrblatt von Sankt Stephan Realität geworden: Der Steffl spricht, plaudert sozusagen aus dem steinernen Nähkästchen. Seit September 2002 stellt das Redaktionsteam dem ehrwürdigen Autor eine eigene Rubrik mit dem Titel „Und schaut der Steffl lächelnd auf uns nieder …!“ zur Verfügung, die sich bei der Leserschaft großer Beliebtheit erfreut. Der mit „Ihr Alter Steffl“ signierende Autor beleuchtet Themen aus dem Alltag (Sehnsucht nach Ruhe, verlorengehende Benimmformen, Weihnachtsstress) oder nimmt Aktuelles wie eine Papstwahl, ein Bundespräsidentenbegräbnis oder den Gesang von Taylor-Swift-Fans, den „Swifties“, zum Anlass, diese mit historischen Details, Geschichten und Anekdoten rund um den Stephansdom zu verbinden. So kommen unter anderem Heiligenfiguren, die neue Läutordnung der Glocken, aber auch immer wieder Erinnerungen an Ereignisse wie die Türkenbelagerungen (1529 und 1683) oder den Dombrand im April 1945 zur Sprache. Interessant an den Texten ist vor allem der Verfasser, ein „alter, weiser“ Turm, der aus „höherer Perspektive“ seine Meinung kundtut. 
 

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Ein Buch über den Alten Steffl

Monika Jaroš von radio klassik Stephansdom hat den Herausgeber des Buches, in dem die Kolumnen nun gesammelt erscheinen, Domarchivar Reinhard H. Gruber, interviewt, der eine ganz besondere Beziehung zum Alten Steffl pflegt …
 

Der Alte Steffl meldet sich zu Wort

Wie kam es dazu, dass sich der Alte Steffl öffentlich, also in den Pfarrblättern der Dompfarre Sankt Stephan, zu Wort meldet und eine ihm entsprechende Plattform erhalten hat?

Entstanden ist diese fixe Rubrik, als mich Dompfarrer Toni Faber 2002 gebeten hat, die Redaktion des Pfarrblatts der Dompfarre Sankt Stephan zu übernehmen. Die Idee war damals, dass eine neutrale Figur die Möglichkeit hat, sich frei und dann und wann auch mit spitzer Zunge zu jedem möglichen Thema äußern zu können. Es hat einige Überlegungen gebraucht, wem man denn dieses „Packerl anhängen“ könnte. Mit einem Augenzwinkern kann ich berichten, dass der heilige Stephanus, der Fenstergucker und die Kirchenmaus abgewunken haben, aber der Alte Steffl sich nicht lange hat bitten lassen und schnell bereit war, künftig in jeder Ausgabe seine Gedanken ohne redaktionelle Vorgaben beizusteuern. 
 

Der Steffl lässt grüßen

Der Alte Steffl verwendet immer dieselben Begrüßungs- und Abschiedsworte.

„Seien Sie gegrüßt!“ zu Beginn und am Ende „Mit einem herzlichen Grüß Gott!“ gehen einfach auf die Überlegung zurück, wie denn dieser schon sehr betagte und in die Jahre gekommene mittelalterliche Autor sein Publikum ansprechen würde. Der Sprachduktus ist ebenfalls etwas aus der Zeit geraten, klingt manchmal antiquiert und eigentümlich. Immerhin hat der Steffl ja schon einige Jahrhunderte auf dem Buckel. 


Schreibt der Alte Steffl seine Meinung oder vertritt er jemanden?

Der Alte Steffl diktiert seine Gedanken und gibt ausschließlich seine eigene Meinung wieder. Er vertritt also niemanden, sondern überblickt alles von oben – von seinem entrückten Standpunkt aus. Und wenn ihm etwas gar nicht passt, dann kann es schon sein, dass er eine seiner Glocken aus Protest außertourlich läuten lässt.
 

Wie sieht es denn mit Leserreaktionen aus? 

Es gibt im Gespräch Rückmeldungen, ich erfahre von Leserinnen und Lesern, dass über den Steffl und natürlich über seine jeweiligen Kommentare und Gedanken diskutiert wird. Viele zeigen sich persönlich angesprochen, sind teilweise gerührt und lassen sich zum Nachdenken anregen. Immer wieder wird an mich herangetragen, dass er Leute zum Schmunzeln bringt – und das ist ja durchaus beabsichtigt. Daneben gibt es manchmal auch kritischere Rückmeldungen, so zum Beispiel, dass der Alte Steffl nicht gendert oder nicht korrekt genug gendert. Im Laufe der Jahre hat er sich, wenn ich das so sagen darf, doch eine gewisse Kompetenz in diesem Bereich angeeignet, was man in der chronologischen Lektüre der Texte auch erkennen kann. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich der Alte Steffl einer großen und treuen Leserschaft erfreuen kann. Die positiven Rückmeldungen überwiegen bei weitem und sind manchmal echt herzerfrischend.
 

Buch über den Steffl

Nun gibt es die Gedanken des Alten Steffl in Buchform. Wie ist es dazu gekommen?

Aufgrund der großen positiven Resonanz auf die Beiträge im Pfarrblatt kam von verschiedenen Seiten die Anregung, eine Auswahl der Texte der vergangenen über zwanzig Jahre in Buchform zu veröffentlichen. Dank hilfreicher Köpfe und Hände konnte dies umgesetzt werden und diesem Wunsch zur großen Freude des Alten Steffl hiermit Rechnung getragen werden. 

 

Eine besondere Ergänzung der Texte sind die eigens für dieses Buch entstandenen Fotos von Michael Gubi. 

Ganz genau. Bei den Überlegungen und Gesprächen zu Planung und Vorbereitung dieses Buchprojektes wurde die Idee geboren, dass ungewöhnliche Perspektiven in Wort und Bild dieses Buch ausmachen sollen. Der Verwirklichung kam der Zufall zu Hilfe. Das Kennenlernen des Hobbyfotografen Michael Gubi war eine glückliche Fügung, seine Begeisterung für das Projekt – dem er zahllose unbezahlte Stunden widmete – keine Selbstverständlichkeit. Ein großes Kompliment an ihn für seinen außergewöhnlichen Blick und seine Fähigkeit, im richtigen Moment an der richtigen Stelle zu sein. Aber auch die nicht eigens für diese Publikation entstandenen Fotos von Stefanie Grüssl und weiterer Fotografinnen und Fotografen sind eine wahre Bereicherung für diese Publikation.
 

Steffl: „Treue durch stetige Veränderung."

Was wäre denn ein gutes Schlusswort?

Der Alte Steffl hat einmal Folgendes gesagt: „Treue durch stetige Veränderung. Wer sich selbst treu bleiben will, der muss sich stetig ändern, sich auf die Zeit und die Menschen um einen herum einlassen und sich darauf einstellen. Nur wer sich auf Verwandlung einlässt, der kann zu den Mitmenschen und zu Gott immer wieder eine neue Beziehung finden. Und dadurch letztlich auch zu sich selbst.“ In diesem Sinne wünschen der Alte Steffl und ich Ihnen den Mut zu Verwandlung und Veränderung! Trauen Sie sich! 

©Romana Gruber, Verein „Unser Stephansdom“ Wien

Zum Autor:

Reinhard H. Gruber ist in Stams in Tirol aufgewachsen und studierte in Innsbruck und Wien Theologie. Seit 1995 am Stephansdom tätig, leitet er seit dem Jahr 2000 das Archiv der Domkirche. Über seine eigentlichen archivarischen Tätigkeiten hinaus publiziert er in diversen Medien und ist Autor mehrerer Bücher über das Wiener Wahrzeichen, in denen er sich vor allem mit dessen Geschichte und Ikonografie beschäftigt.

©Wiener Dom Verlag

Buchtipp:

Reinhard H. Gruber Seien Sie gegrüßt – Gedanken des Alten Steffl 160 Seiten 180 × 240 mm Hardcover, durchgehend farbig erscheint im Juni 2025 ISBN 978-3-85351-336-1
▶ domverlag.at

Autor:
  • Monika Jaroš
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Schon seit 30 Jahren wirkt Reinhard Gruber im Wiener Stephansdom - Er ist ein Allwisser, wenn es um das bekannte Bauwerk geht. Das Domarchiv ist in den letzten Jahrzehnten sein Reich geworden.