Eine neue Art, Christ zu sein

Zeitenwende
Ausgabe Nr. 4
  • Theologie
Autor:
Paul M. Zulehner
Paul M. Zulehner sieht für die Zukunft auch „eine neue Art von Priestern“ aus dem Kreis der Gemeinde. ©Henning Klingen/mit KI erweitert

Es wird eine Zeitenwende geben und eine „Kirche der Ehrenamtlichen“ kommen. Davon ist der Wiener Pastoraltheologe und Religionssoziologe Paul M. Zulehner überzeugt.

Der Religionssoziologe Paul M. Zuhlehner war für ein Interview bei "Himmel & Erde" zu Gast. 

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Ein Interview mit Paul M. Zulehner

Was sind Ihre ersten Gedanken zur Rolle des Ehrenamts in der katholischen Kirche?            Paul M. Zulehner: Wenn es das Ehrenamt nicht gäbe, würde die Kirche ziemlich hilflos dastehen. Ehrenamtliche spielen im kirchlichen Leben seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine wichtige Rolle – und diese wird in Zukunft noch bedeutender sein.

Steht die Kirche vor einer „Zeitenwende“, wie Sie in einem Ihrer Bücher titeln?
Die Sozialgestalt der Kirche wird sich tiefgreifend ändern: von einer Priesterkirche zu einer Kirche des Volkes Gottes, von einer Dienstleistungskirche mit einer Reihe von Hauptamtlichen zu einer Gemeinschaft, die Dienste leistet – also zu einer Kirche der berufenen Getauften mit Ehrenamtlichen, die das Leben der Kirche tragen. Darunter werden wohl auch ehrenamtliche Priester neuer Art sein.

Was spricht aktuell eher gegen diese Entwicklung, was dafür?
In solch einer Kirche braucht es ein starkes persönliches Engagement. Da ist es
natürlich bequemer, in einer Priester- und Dienstleistungskirche versorgt zu werden. Diese Versorgung geht dem Ende zu und wird sich so auch nicht mehr finanzieren lassen. In meiner Einschätzung ist einzig und allein die gastfreundlich offene Volkgotteskirche zukunftsfähig.

Was wäre folgerichtig der nächste Schritt, den die Kirche gehen muss?
Dass wir uns überlegen, wie wir diese Volkgotteskirche zum Blühen bringen. Dass wir lernen, uns die Frage zu stellen: „Gott, wozu brauchst du mich – in dieser Kirche und in dieser Welt? Was ist meine Rolle, mein Auftrag, meine Sendung, meine Berufung?“ Wir müssen die starke Taufberufung, die Menschen in sich tragen, in das reale kirchliche Leben übersetzen.

Zulehner über Kirche und Ehrenamt

Wie verändert sich dadurch der Umgang der Kirche mit dem Ehrenamt?
Für eine Kirche der Ehrenamtlichen wird die Kernfrage sein: Wie bekommen wir ein gutes Berufungscoaching hin? Wir benötigen – bildlich gesprochen – genug pastorale „Trüffelschweine“, die Berufungen aufspüren, unterstützen, entwickeln und stärken, bis hin zu Ehrenamtsakademien. Alle Studien bestätigen, dass es für gelingende kirchliche Ehrenamtskarrieren eine professionelle Gestaltung braucht: einen klaren Anfang, ein klares Ende, eine klare Entwicklung – und eine Anerkennungskultur. Ein Dankeschön nach 50 Jahren ist zu wenig.

Wie kann eine solche Kirche der Berufenen, eine Kirche der Ehrenamtlichen aussehen?
Sie wird einen starken Kern haben – von Menschen, die ihre Berufung angenommen haben, die den Gottesdienst und die Verkündigung tragen. Und wahrscheinlich wird man zukünftig auch, wie es der verstorbene Bischof Fritz Lobinger vorgeschlagen hat, aus dem Kreis dieser gemeindeerfahrenen Leute eine neue Art von Priestern gewinnen. Wir brauchen andere Quellen für das ordinierte Amt, weil die Anzahl der Priester aus dem freien Berufungsmarkt – zumindest bei uns – dramatisch gering ist.

Zulehner über das autoritäre Klerikale

Ist dieser Schritt vom Ehrenamt in die sakramentale Beauftragung verglichen mit heute nicht etwas radikal?
Man wird darüber nachdenken müssen, denn eine Kirche, in der die Feier der Eucharistie als Quelle und Höhepunkt allen christlichen Lebens vernachlässigt wird, ist de facto entkatholisiert. Und ich halte es für überhaupt nicht radikal. Das ist in vielen christlichen Kirchen so der Fall, etwa in der syromalabrischen Kirche, wo aus der Gemeinde Kandidaten gewählt und dem Bischof vorgeschlagen werden. In der Kirche ist jede und jeder berufen.

Es geht also in Richtung einer „Berufungs- und Beteiligungskirche“.                                        Wir brauchen eine synodale Amtskultur, denn das autoritäre Klerikale hat in einer künftigen Kirche der Ehrenamtlichen keinen Platz. Und wir haben zu wenig Entscheidungsbeteiligung bei den Ehrenamtlichen. Viele haben da noch das alte Priesterbild in sich und stehen nicht für diese kommende Kirchengestalt der Beteiligung aller. Die Zukunft muss eine andere Qualität von Ehrenamt bringen. Es entwickelt sich dann auch von selbst eine Dynamik, ein „Flow“, eine neue Art, Christ zu sein, die Freude macht und wo die Leute sagen: Das tut mir auch menschlich gut.

„Das autoritäre Klerikale hat in einer künftigen Kirche der Ehrenamtlichen keinen Platz.“

Paul M. Zulehner

Ein schöner Satz aus Ihrem Mund lautet: „Gottes Lohn und Selbstbelohnung schließen einander ebenso wenig aus wie Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe.“
Genau. Wir arbeiten schon, weil Gott uns braucht, aber wir möchten, wenn wir das tun, auch für uns selbst etwas gewinnen.

Wird die katholische Kirche hierzulande weiter schrumpfen?
Wir werden zahlenmäßig weniger werden, das ist vorhersehbar, aber ich bin nicht so pessimistisch wie andere Soziologen, die ein völlig säkulares und gottloses Europa vor sich sehen. Ich gehe theologisch davon aus, dass Gott kein Zyniker ist und genug Menschen für den Dienst am Evangelium beruft. Diejenigen, die Kirche sind, werden entschiedener und entschlossener sein, weil sie als Getaufte vor Gott stehen und sagen: Adsum – ich bin bereit, mich zur Verfügung zu stellen für das Kommen des Reiches Gottes und als Mitglied dieser Bewegung, die Jesus in die Welt gesetzt hat und die den Ehrennamen Kirche trägt.

Schlagwörter
Autor:
  • Thomas Manhart (Rubertusblatt)
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