"Ein Stück Weihnachten schenken"

Interview
Ausgabe Nr. 1
  • Kunst und Kultur
Autor:
Christbaum mit roter Weihnachtskugel
©iStock

Domkapellmeister Markus Landerer erzählt im Interview was Advent- von Weihnachtsliedern unterscheidet und warum wir uns beim Singen von Liedern ein "Stück Weihnachten schenken".

Gerade im Advent und rund um Weihnachten werden wir konstant in Geschäften und bei Adventmärkten mit Weihnachtsliedern beschallt. Wie wir diese Lieder trotz allem bewusst genießen können, verrät Domkapellmeister Markus Landerer im Interview. 

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Welche Bedeutung haben da Weihnachtslieder im kirchlichen Kontext heute noch?

Markus Landerer: Adventlieder sind wie der Adventkranz oder die Rorate-Messen wichtige Begleiter durch den Advent. Als Vorbereitungszeit hin auf Weihnachten hat der Advent natürlich seine eigenen Themen und auch seine ganz eigene Bedeutung im thematischen Unterschied zu Weihnachten. Darum ist es mir sehr wichtig, diese Verschiedenheit nicht aus den Augen zu verlieren: Adventlieder gehören zum Advent und Weihnachtslieder zu Weihnachten. Im Stephansdom achten wir gut darauf, dass bestimmte weihnachtliche Gesänge wirklich nur am Heiligen Abend, am Christtag und in der Weihnachtszeit erklingen und dass wir die Inhalte des Advents eben in den Adventliedern erklingen lassen.

Lieder im Advent und zu Weihnachten

Und was sind so Adventlieder, die Sie singen und spielen?

Zum Beispiel „Es kommt ein Schiff geladen“, „Macht hoch die Tür“ oder „Tauet, Himmel, den Gerechten“, also Lieder, die man in den Roratemessen singt. Diese Messen in der Früh bei Kerzenschein sind sehr stimmungsvoll bei uns. Doch wir haben in unserer Zeit das Problem, dass wir Mitte ab November in den Geschäften durch die Weihnachtsmusik aus den Lautsprechern schon so zugemüllt werden, dass es uns zu Weihnachten eigentlich schwerfällt noch bewusst darauf zu hören, da wir schon abgestumpft sind. Andererseits muss man aber auch sagen, dass rund um den Globus das Weihnachtsfest mit den Kennmelodien bestimmter Weihnachtslieder eng verbunden ist wie eine Art weihnachtliche DNA. Insofern ist es auch gut, diesen Schatz an Liedern zu haben und sie zu schützen damit sie ihre Bedeutung nicht verlieren.

Sind Sie jemand, der bei Last Christmas im Geschäft sofort versucht, die Flucht zu ergreifen?

Naja, in den Geschäften lasse ich mir relativ viel bieten und kann das aus reiner Überlebensstrategie auch gut ausblenden. Und es gibt ja einen großen Topf von weltlichen Weihnachtsliedern, die im Kaufhaus richtig aufgehoben sind. Das geht los bei den Schnee-Liedern „Leise rieselt der Schnee“ oder „White Christmas“. Weiters die Lieder, in denen es um Weihnachtsbräuche geht. Da ist ein Beispiel „Deck the Hall“, ein berühmtes englisches Weihnachtslied, wo es um alle Gebräuche in der Familie rund um Weihnachten und den Jahreswechsel geht. Ich mag ihre eingängigen Melodien sehr, auch wenn diese säkularen Lieder für die Kirchenmusiker:innen keine große Rolle spielen. Für uns ist die Verbindung zum Kirchenjahr und zu den weihnachtlichen Gebräuchen sehr wichtig, die ja gerade in Österreich sehr stark ausgeprägt sind.

Bedeutung von Weihnachtsliedern

Hat sich irgendwas in der Bedeutung der Weihnachtslieder in der Kirche von früher auf heute verändert?

Inhaltlich hat sich nichts verändert, die Themen sind die gleichen geblieben und wir sind von Kindheit an mit dem Zauber von Weihnachten und den dazugehörenden Gesängen aufgewachsen. Aber durch das inflationäre Berieseltwerden hat sich für uns in der Hörgewohnheit doch sehr viel verändert, da ist es gar nicht mehr so leicht ergriffen sein zu können, wenn wir das „Stille Nacht“ oder „Zu Betlehem geboren“ singen.

Kann Kirchenmusik helfen, dass man im Advent wieder ein bisschen Stille findet?

Ganz sicher - viel aus der Advent- und Weihnachtsmusik des alpenländischen Raums ist ja in sich gekehrt und fördert dieses Stillwerden. Sie gehört selbstverständlich dazu, wenn wir uns um den Adventkranz versammeln, Kerzen anzünden, Weihrauch in eine Schale zu legen. Und in den Konzerten und Gottesdiensten verwenden wir die breite Palette der Kirchenmusik quer durch die Jahrhunderte ganz gezielt um die die Themen des Advents emotional aufzuladen. Und ganz sicher: es gehört zur DNA des Advents genauso wie zur DNA der Weihnachtszeit, dass wir ihre Kennmelodien singen und musizieren.

Weihnachtslieder zur Christmette

Spielen in der Weihnachtszeit auch Weihnachtslieder für Sie eine Rolle beziehungsweise werden sie öfter mit Chören oder im Dom aufgeführt und interpretiert, die man jetzt relativ gut kennt?

Absolut! Wenn wir im Stephansdom die Christmette feiern - aus der ganzen Welt kommen Menschen in diesen Gottesdienst und der Dom ist übervoll - dann ist Musik genau das was die Menschen zusammenbringt und zu einer Feiergemeinde macht. Wir verbinden die Menschen, in dem wir Weihnachtslieder auch simultan mehrsprachig singen, zum Beispiel „Nun freut euch ihr Christen“ oder „Oh du Fröhliche“. Und es ist wunderbar zu erleben, wie diese Lieder diese ganz bunte Mischung an Menschen untereinander und mit dem Geheimnis von Weihnachten verbindet. In den großen Gottesdiensten über Weihnachten singen wir viele Weihnachtslieder in Arrangements für Gemeinde, Chor, Orchester und Orgel, weil wir die Menschen aktiv zum Singen bringen wollen um ihnen damit auch ein Stück Weihnachten schenken. Ganz sicher ist: wenn bestimmte Melodien erklingen, dann erst wird es so richtig Weihnachten.

Ein Weihnachtsklassiker aus dem Mittelalter ist, zum Beispiel: „Es ist ein Ros entsprungen“. Wie unterscheidet sich so etwas von moderneren Weihnachtsliedern aus dem 18. und 19. Jahrhundert, wie zum Beispiel Stille Nacht?

Es handelt sich fast ausschließlich um historische Texte, da stehen uns manche näher, andere brauchen mehr Hintergrundwissen um sie verstehen zu können. Das Lied „Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart“ hat mehr biblischen Bezug als viele andere Weihnachtslieder. Es zitiert eine Stelle aus dem Alten Testament, in der es darum geht, dass ein junger Zweig aus einem alten Stamm herauswächst und blüht. Die Rose, die so entspringt ist vielleicht ein Bild, das viele nicht automatisch verstehen können. Da sind uns Weihnachtsgesänge aus dem 18. und 19. Jahrhundert in denen es um die Krippe, das Jesuskind und um Innigkeit geht näher. Doch ist die theologische Verdichtung, die sich in alten Weihnachtsliedern ergibt, oft viel spannender auch wenn es in den Chorproben da und dort ein paar erklärende Worte braucht. Was bedeutet der Text? Woher kommen diese Bilder?

Lieder in den Messen im Advent und zu Weihnachten

Welche Lieder spielt ihr in den Messen im Advent und zu Weihnachten, sehr religiöse oder auch bekannte, wie Stille Nacht, Es wird scho glei dumpa, Still, Still Still?

Wir dürfen bei den Weihnachtsliedern nicht vergessen, dass sie oft aus der Tradition des Krippenspiels kommen. Die seit Jahrhunderten vertraute Situation, dass Kinder das weihnachtliche Geschehen nachspielen und dazu gesungen wird. „Still, still, still, weils Kindlein schlafen will“, oder „Es wird scho gleich dumpa“ sind solche Weihnachtslieder. Darum gibt es eine große Zahl an Weihnachtsliedern, die aus dem kontemplativen Verweilen bei der Weihnachtskrippe herrühren oder dies thematisieren. Auch wenn sie aus theologischer Sicht nicht so gehaltvoll sein mögen, sind sie emotional ganz eng mit dem Weihnachtsgeschehen verbunden und laden uns ein auch vor dem Jesuskind innezuhalten und sich bewusst zu machen, dass das der Sohn Gottes ist.

Was unterscheidet ein Weihnachtslied an sich, abgesehen vom Text, musikalisch von anderen Liedern?

Ein Großteil der Weihnachtslieder ist eher eingängig und gefühlsbetont. Die meisten sind auch ruhig und ohne große Melodiesprünge. Es sind Melodien, die zu Herzen gehen und unmittelbar wirken. Daher würde ich sagen, man könnte ohne den Text zu kennen relativ schnell zuordnen: ist es ein Osterlied oder es ist eben ein Weihnachtslied.

Auf was können sich die Besucher der Heiligen Messe in der Adventzeit und zu Weihnachten bei euch freuen? Gibt es schon ein paar Highlights, die Sie verraten können?

Im Advent bieten wir unterschiedliche Gottesdienste an, zum einen die morgendlichen stimmungsvollen Roratemessen, zum anderen Adventandachten, die wir die Herbergssuche nennen, in denen alpenländische Weihnachtslieder erklingen. Im Hochamt an den vier Adventsonntagen musizieren wir Adventliches aus dem großen Schatz der Kirchenmusik. Und dann kulminiert zu Weihnachten zunächst alles in der Christmette, die musikalisch sehr stark durch Weihnachtslieder geprägt ist.

Als am Heiligen Abend 1818 das „Stille Nacht“ zum ersten Mal erklungen ist, hätten Franz Xaver Gruber und Joseph Mohr sicher niemals gedacht, dass sie damit einen Welthit geschrieben haben. Bei uns jedenfalls bleibt wirklich kein Auge trocken, wenn am Ende der Christmette oder des Christtags-Hochamts im Stephansdom das „Stille Nacht“ gesungen wird.

Haben Sie ein Lieblingsweihnachtslied?

Ja, ich habe ein Weihnachtslied, das mir besonders viel bedeutet, es ist „Herbei, o ihr Gläubigen“ im Lateinischen „Adeste fideles“. Es ist ein hymnisches, kraftvolles Weihnachtslied, bei dem am Ende jeder Strophe dazu aufgerufen wird das Jesuskind in der Krippe anzubeten. Melodie und Text bedeuten mir viel.

Zur Person:

Domkapellmeister Markus Landerer ist seit dem Jahr 2007 Domkapellmeister am Wiener Stephansdom. Er leitet den Wiener Domchor, das Vokalensemble St. Stephan, den Frauenchor „Capella St. Stephan“, die Choralschola und das Wiener Domorchester.

Autor:
  • Cornelia Grotte
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