„Die Würde jedes Menschen ist jetzt, zu respektieren“
Das erste Lehrschreiben des neuen Papstes
Den 4. Oktober 2025, den Festtag des heiligen Franziskus von Assisi, wählte Papst Leo XIV. um sein erstes offizielles Lehrschreiben mit dem Titel „Dilexi te“ („Ich habe dich geliebt“) zu unterzeichnen. Und bestimmt war das kein Zufall. Denn Leo XIV. führt auch fort, was sein Vorgänger begonnen hat. Papst Franziskus war es nämlich, der mit dem Text in den Monaten vor seinem Tod noch begonnen hatte, Papst Leo XIV. hat ihn nun fertiggestellt. Es geht darin um die verschiedenen Facetten der Armut – materiell, sozial, moralisch wie geistlich, kulturell, arm an Rechten oder Freiheit – und darum, dass sie auch in westlichen Ländern zunimmt. Und es geht um den Einsatz für soziale Gerechtigkeit durch Menschen und Institutionen in der katholischen Kirchengeschichte und um den Aufruf an alle Christen, diesen Einsatz fortzuführen.
Leo XIV. prangert Zunahme des Reichtums reicher Eliten an
Leo XIV. prangert die Zunahme des Reichtums ohnehin schon reicher Eliten an. Auf das Individuum zentrierte Gesellschaften, in denen Probleme anderer als störend empfunden werden, bezeichnet er als krank. Dabei nimmt er auch Christen und christliche Gemeinschaften kritisch in den Blick, die den ganzheitlichen Aspekt der Religion außer Acht lassen, sich auf Gebet und Verkündigung beschränken und es Regierungen überlassen wollen, Armut zu bekämpfen. „Manchmal werden auch pseudowissenschaftliche Kriterien herangezogen, wenn etwa gesagt wird, dass der freie Markt von selbst zur Lösung des Problems der Armut führen werde“, kritisiert der gebürtige US-Amerikaner. „Oder man optiert sogar für eine Seelsorge der sogenannten ,Eliten‘ und behauptet, dass man, statt Zeit mit den Armen zu verschwenden, sich besser um die Reichen, Mächtigen und Berufstätigen kümmern sollte, um durch diese zu wirkungsvolleren Lösungen zu gelangen.“
Würde des Menschen statt Ungerechtigkeit
Wörtlich fordert Leo XIV. in dem Dokument: „Die Strukturen der Ungerechtigkeit müssen mit der Kraft des Guten erkannt und zerstört werden, durch einen Gesinnungswandel, aber auch mit Hilfe der Wissenschaften und der Technik, durch die Entwicklung wirksamer politischer Maßnahmen zur Umgestaltung der Gesellschaft.“ Sein Appell an die Christen lautet, sich für die Veränderung ungerechter sozialer Strukturen einzusetzen und zugleich armen Menschen mit einfachen, sehr persönlichen und unmittelbaren Gesten zu helfen. Christliche Liebe vollbringe Wunder, kenne keine Grenzen und sei vor allem eine Lebensweise, so Leo XIV.
„Die Strukturen der Ungerechtigkeit müssen mit der Kraft des Guten erkannt und zerstört werden.“
Papst Leo XIV.
Würde eines jeden Menschen respektieren
Auffällig in dem Dokument sind die Anknüpfungen an Texte der Befreiungstheologie im Umgang mit den Armen. Und mit kaum verhohlenem Seitenhieb auf theologische Strömungen in seinem Heimatland argumentiert Papst Leo: Die Würde eines jeden Menschen sei jetzt und nicht erst morgen zu respektieren. Auch Christen ließen sich oft von weltlichen Ideologien oder politischen und wirtschaftlichen Orientierungen anstecken, die zu ungerechten Verallgemeinerungen und abwegigen Schlussfolgerungen führten, schreibt er weiter und warnt: „Die Tatsache, dass praktizierte Nächstenliebe verachtet oder lächerlich gemacht wird, als handle es sich um die Fixierung einiger weniger und nicht um den glühenden Kern der kirchlichen Sendung, bringt mich zu der Überzeugung, dass wir das Evangelium immer wieder neu lesen müssen, um nicht Gefahr zu laufen, dass eine weltliche Gesinnung an seine Stelle tritt.“
Keine religiöse Kür
Großes Lob zum ersten Lehrschreiben Leos XIV. kommt aus Österreich. „Dilexi te“ erinnere daran, dass die Hinwendung zu den Armen für Christen „keine religiöse Kür“, sondern Fundament des Glaubens sei, so Franz Lackner, Salzburger Erzbischof und Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz. Angelika Ritter-Grepl, Vorsitzende der Katholischen Frauenbewegung Österreich, zeigt sich erfreut: „Wir Frauen hören den Auftrag, die Armen nicht aus dem Blick zu verlieren, und die Anerkennung, dass unsere Arbeit im Dienst an den Schwächsten zutiefst Glaubenszeugnis ist.“ Der Papst rufe zur Neuausrichtung an Verwundeten, Ausgegrenzten und Übersehenen auf, sagt Schwester Anneliese Herzig, Bereichsleiterin Mission und Soziales der Österreichischen Ordenskonferenz. Die Präsidentin der Caritas-Österreich, Nora Tödtling-Musenbichler, betont, dass Papst Leo XIV. daran erinnere, „dass gesellschaftliche Ungerechtigkeit kein Naturgesetz ist“.
Lesen Sie zum Thema auch die Meinung des Theologen Jan-Heiner Tück im SONNTAG der KW42.
Die Apostolische Ermahnung „Dilexi te“ online: ▶ vatican.va