Die menschliche Seite einer Heiligen

Mutter Teresa
Ausgabe Nr. 49
  • Kunst und Kultur
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Zwischen Berufung und Versuchung: Noomi Rapace beeindruckt als Mutter Teresa.
Zwischen Berufung und Versuchung: Noomi Rapace beeindruckt als Mutter Teresa. ©Vuelta Germany, cc/Martin Kraft, RGB_org

In „Teresa – Ein Leben zwischen Licht und Schatten“ beleuchtet Regisseurin Teona Strugar Mitevska eine entscheidende Woche im Leben der späteren Heiligen. Neben der besonderen Berufung der Ordensfrau thematisiert der Film auch Zweifel, Ambitionen und die menschliche Seite der Ikone. Ein Gespräch über innere Kämpfe, radikale materielle Entsagung und die Rolle von Frauen in der Kirche.

Sie stammt wie Mutter Teresa aus Skopje – und genau diese gemeinsame Herkunft prägt ihre Sicht auf die berühmte Ordensfrau: Die nordmazedonische Regisseurin Teona Strugar Mitevska erzählt in ihrem neuen Film „Teresa – Eine Leben zwischen Licht und Schatten“ von einer entscheidenden Woche im Leben der späteren Heiligen. Im Gespräch erklärt Mitevska, warum sie die menschliche Seite dieser Ikone zeigen wollte, welche Überraschungen die Recherche brachte und was wir heute von Mutter Teresa lernen können.

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Ein Film über Mutter Teresa

Ihr Film zeigt Mutter Teresa in einer entscheidenden Woche ihres Lebens – kurz bevor sie ihren Orden gründet. Was hat Sie an diesem Moment interessiert?

Teona Strugar Mitevska: Mich berührt dieser Augenblick, in dem sich ein Leben entscheidet – der Moment, in dem man den Mut hat zu handeln und ins Ungewisse zu gehen. Beeindruckend ist auch, dass sie keine junge Frau mehr war, sondern fast 40, als sie die Sicherheit hinter sich ließ und in ein „kaltes Wasser“ sprang, ohne zu wissen, wohin es sie führen würde. Wenn man das in die heutige Zeit überträgt: Wie viele Frauen würden heute mit 40 alles aufgeben und einen völlig neuen Weg einschlagen? Diese Radikalität hat mich fasziniert. Es ist der Moment, in dem man sich selbst ganz annimmt und bereit ist, alles zu riskieren – es ist auch der Moment, in dem man wirklich über den Charakter hinter dem Mythos sprechen kann, einen Mythos, den wir alle sehr gut kennen.
 

Recherchen für den Film

Wie sind Sie an die Recherche für den Film herangegangen? 

Alles begann mit meinem Dokumentarfilm „Teresa and I“. Ich hatte die seltene Gelegenheit, die letzten fünf Schwestern zu interviewen, die bei der Gründung der Missionarinnen der Nächstenliebe dabei waren. Das war ein Segen – mein wahrer Einstieg in das Leben von Mutter Teresa. Ich habe viel Zeit in den Häusern der Schwestern und sogar in einer Leprakolonie verbracht. Es war mir wichtig, in ihre Schuhe zu schlüpfen und ihre Hingabe zu verstehen. Außerdem sprach ich mit Madame Kumar, einer persönlichen Freundin von Mutter Teresa, sowie mit entfernten Familienmitgliedern, die noch in Skopje leben. Natürlich habe ich alles gelesen, was es über sie gibt, aber am hilfreichsten waren ihre persönlichen Schriften in „Come Be My Light“. Diese Texte zeigen ihre inneren Kämpfe und Zweifel – und genau das wollte ich im Film sichtbar machen.
 

„Wir leben in einer Welt, die uns zu Egoisten macht. Mutter Teresa lehrt das Gegenteil: teilen, geben, sich hingeben.“

Entdeckungen zu Mutter Teresa

Was hat Sie persönlich am meisten überrascht?

Am Anfang war alles eine Entdeckung: ihr unerschütterlicher Glaube, ihre Leidenschaft und Hingabe. Ich dachte immer wieder: Wie viele von uns wären heute bereit, das zu tun, was sie vor fast 100 Jahren getan hat – die Sicherheit hinter sich zu lassen und ins Unbekannte zu springen? Ich bewunderte ihren Mut, aber ich erkannte auch etwas von mir in ihr – oder besser gesagt: Ich wollte wie sie sein, jemand, der ganz zu sich selbst steht. Die größte Überraschung war wohl ihr tiefes Verständnis für die Menschheit und die Welt. Sie war eine unglaublich intelligente Frau, die die Widersprüche des Lebens erkannte und trotzdem handelte.
 

Mutter Teresas dunkle Seiten

Der deutsche Titel spricht von „Licht und Schatten“. Welche dunklen Seiten wollten Sie zeigen?

In ihrem Tagebuch schreibt sie: „Wenn ich jemals eine Heilige werde, dann eine Heilige der Dunkelheit.“ Das zeigt ihre Zweifel und ihre Menschlichkeit. Ich wollte zeigen, dass auch eine Ikone wie sie fragil ist, Fehler macht, zweifelt. Das macht sie nahbar und menschlich. Wir alle sind Menschen, die lieben und hassen, die gut und manchmal schlecht sind. Diese Zerbrechlichkeit wollte ich sichtbar machen. Nur so können wir uns mit ihr identifizieren.
 

Mutter Teresas Tagebuch

Der Film erzählt eine fiktive Geschichte, die aber auf Fakten basiert. Wie entstand die Figur der Schwester Agnieszka, die schwanger wird?

Der Film enthält viele Träume und Visionen, die sich auf Mutter Teresas Tagebuch stützen – ihre Zweifel, dunklen Jahre, Fragen an Gott, Ambitionen und auch Gedanken über Mutterschaft. Agnieszka steht für diese Versuchung: Mutter Teresa verzichtet auf vieles – auch auf die Möglichkeit, Mutter zu sein –, um ihrer Berufung zu folgen. Agnieszka ist ein Symbol für das, was Teresa aufgab, um ihre Mission zu erfüllen. Für mich ist diese Figur eine Art Spiegel ihrer inneren Kämpfe.
 

Mutter Teresa aus Skopje

Sie stammen wie Mutter Teresa aus Skopje. Hat das Ihre Sicht beeinflusst?

Absolut. Sie wurde weniger als einen Kilometer von meinem Zuhause entfernt geboren. Als ich mich in ihre Geschichte vertiefte, spürte ich eine unmittelbare Nähe – nicht nur geographisch, sondern auch kulturell. Mutter Teresa war eine Frau vom Balkan, geprägt von einer Region, die für ihre Widersprüche bekannt ist: Wärme und Härte, Tradition und Umbruch. Diese Mentalität kenne ich gut. Ich fühlte mich fast DNA-mäßig verbunden mit ihr. Bei der Recherche habe ich entdeckt, dass wir ähnliche Werte teilen: die Fähigkeit, in schwierigen Umständen Stärke zu finden und die Bereitschaft, für etwas Größeres als uns selbst zu kämpfen. Das hat meine Arbeit an diesem Film zutiefst beeinflusst.
 

Was wir von Mutter Teresa lernen können

Was können wir heute von Mutter Teresa lernen?

So vieles! Für mich ist ihre Haltung gegenüber der materiellen Welt zentral. Wir leben in einer Zeit, in der Besitz und Konsum fast wie Religion behandelt werden. Mutter Teresa stellt dem eine radikale Einfachheit entgegen: Sie verzichtete auf Komfort und Sicherheit, um frei zu sein für ihre Mission. Das ist eine Botschaft, die aktueller ist denn je. Wir sind süchtig danach, Dinge anzuhäufen, uns abzusichern, immer mehr zu wollen. Mutter Teresa zeigt, dass wahre Erfüllung nicht im Haben liegt, sondern im Geben. Ihr Leben ist ein Gegenentwurf zu einer Welt, die uns zu Egoisten macht. Sie erinnert uns daran, dass wir alle gleich sind, dass die Erde uns allen gehört und dass Teilen und Hingabe die Grundlage für ein menschliches Miteinander sind.

Und noch etwas: ihre Entschlossenheit. Sie hatte ein Ziel und verfolgte es kompromisslos – trotz Zweifel, trotz Widerständen. Das lehrt uns, dass Spiritualität nicht nur aus Worten besteht, sondern aus Taten. In einer Zeit, in der wir oft zögern, Verantwortung zu übernehmen, ist das eine kraftvolle Inspiration.
 

Botschaft für Frauen in der Kirche

Sie betonen im Presseheft, Teresa sei wie eine CEO (Geschäftsführerin eines Unternehmens) gewesen. Welche Botschaft steckt darin für Frauen in der Kirche? 

Wir sollten uns nicht scheuen, unseren Platz unter der Sonne einzufordern. Ich habe viele Gespräche mit Priestern und sogar mit einem Kardinal geführt. Es ist ein komplexes Thema, aber ich glaube: Es ist Zeit für Veränderung. Mutter Teresa war eine Frau, die eine globale Organisation leitete – warum sollte das in der Kirche unmöglich sein? 

Am Ende steht die ersehnte Einkleidung in den weiß-blauen Sari der Missionarinnen der Nächstenliebe.
Am Ende steht die ersehnte Einkleidung in den weiß-blauen Sari der Missionarinnen der Nächstenliebe. ©Vuelta Germany, cc/Martin Kraft, RGB_org

Licht und Schatten - Schwere Tage für die Ordensgründerin


Kalkutta, Indien, August 1948. Mutter Teresa, Oberin des Ordens der Schwestern von Loreto, erhält die langersehnte Erlaubnis, das Kloster zu verlassen. Sie will einen neuen Orden gründen – als Antwort auf den Ruf, den sie von Gott erhalten hat. Doch gerade am wichtigsten Wendepunkt ihres Lebens steht sie vor besonderen Herausforderungen.
 

„Teresa – Ein Leben zwischen Licht und Schatten“ ist kein klassischer Heiligenfilm. Regisseurin Teona Strugar Mitevska konzentriert sich auf die sieben Tage vor der Ordensneugründung. Sie zeigt Mutter Teresa nicht als makellose Ikone, sondern als Frau voller Zweifel, innerer Kämpfe und kompromissloser Entschlossenheit. Der Film überrascht mit irritierenden und surrealen Momenten, die die seelischen Konflikte spürbar machen sollen. Im Zentrum steht ein fiktiver Konflikt: Schwester Agnieszka wird schwanger und verkörpert Versuchung und Fragen über Mutterschaft, die Teresa in dieser Zeit beschäftigten. 
 

Herausragend ist die Darstellung von Noomi Rapace in der Hauptrolle. Sie verleiht Teresa eine ungeheure Präsenz – kraftvoll, verletzlich und kompromisslos zugleich. Ihre Schauspielkunst trägt den Film und macht ihn zu einem intensiven Kinoerlebnis.
„Teresa – Ein Leben zwischen Licht und Schatten“ kreist zu stark um den Schwangerschaftskonflikt, macht aber die enorme Kraft der Berufung an Teresa von Kalkutta spürbar. Ab 4. Dezember im Kino.  

©Vuelta Germany, cc/Martin Kraft, RGB_org

Zur Person:


Teona Strugar Mitevska ist eine nordmazedonische Regisseurin und Drehbuchautorin. Ihr Spielfilm „Gott existiert, ihr Name ist Petrunya“ erhielt auf der Berlinale 2019 den Preis der Ökumenischen Jury.

Autor:
  • Portraitfoto von Agathe Lauber-Gansterer
    Agathe Lauber-Gansterer
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