Die Babys aus dem Glas

Serie zur Bioethik
Ausgabe Nr. 29
  • Leben
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Ein Spermium wird direkt in die Eizelle eingebracht.
ICSI - Intrazytoplasmatische Spermieninjektion: Ein Spermium wird direkt in die Eizelle eingebracht. ©istock
IVF - In-vitro-Fertilisation
IVF - In-vitro-Fertilisation: Die Eizellen kommen in eine Petrischale, der Samen wird dazugegeben. Alles wird mit dem Mikroskop beobachtet. ©istock

Die Reproduktionsmedizin schürt große Hoffnungen bei all jenen Paaren, die ungewollt kinderlos sind, doch noch Babys zu bekommen. „Über die Schattenseiten der Reproduktionsmedizin und ihrer Techniken spricht kaum jemand“, sagt Susanne Kummer, Geschäftsführerin von IMABE.

Wir machen Sie zu glücklichen Eltern.“ Das ist es, wonach sich Paare sehnen, die ungewollt kinderlos sind. Und das ist es, was die Reproduktionsmedizin ihnen verspricht. „Alles geht. Jederzeit. Sofort. Weil ich will und weil eine wunscherfüllende Medizin sich anbietet“, sagt Susanne Kummer, Geschäftsführerin von IMABE, dem „Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik“:

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Die Schattenseiten der "Babys aus dem Glas"

„Die Reproduktionsmedizin spricht allerdings nur ungern über die Schattenseiten des Geschäfts mit der guten Hoffnung.“ Sie sei mittlerweile zu einer echten Industrie geworden und gehorche den Gesetzen des freien Marktes. „Der jährliche Umsatz mit IVF, ICSI, Eizellspende und Samenspende wird auf 9 Milliarden US-Dollar geschätzt, Tendenz steigend“, sagt Susanne Kummer.

"Künstliche" Babys: Medizinische Technik

„Künstlich“ nennt man grundsätzlich jede Befruchtung der Eizellen mit Spermien außerhalb des Körpers der Frau. „Eben ,in-vitro‘ – ,in einem Glas‘“, erklärt Susanne Kummer: „Dazu wird die Frau zunächst hormonell stimuliert. Das passiert übrigens auch bei der äußerst kritisch zu sehenden Eizellspende. Das bedeutet, dass sie sich rund 12 Tage hochdosierte Hormone selbst spritzen muss, die die Überproduktion von Follikeln anregen. Normalerweise wachsen pro Zyklus ein bis zwei Eizellen im Körper einer Frau heran, durch die Stimulation sind es im Schnitt bis zu 10. Diese werden mittels Punktion unter Narkose entnommen.

Bei der klassischen In-vitro-Fertilisation (IVF) bringt man dann die Eizelle im Reagenzglas mit mehreren 100.000 Spermien zusammen. Ziel ist, dass das „beste“ Spermium sich dabei den Weg zwecks Befruchtung in die Eizelle selbst sucht. Anders läuft es bei der Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) – dabei wird ein Spermium ausgewählt und direkt in die Eizelle eingespritzt. Kommt es zu einer Befruchtung, wird der Embryo im Kühlschrank in einer Nährlösung „nachgereift“ und spätestens am 5. Tag in die Gebärmutter eingesetzt, die restlichen Embryonen bei minus 196 Grad für Folgeversuche tiefgefroren. Dann beginnt das Hoffen.

Schwangerschaft und "Baby to go"

Laut IVF-Register Jahresbericht 2015 wurden im Jahr 2014 in Österreich 2.045 Kinder „In-vitro“ gezeugt und geboren. Über die Gesundheitsfolgen für die Kinder gibt es keine offizielle Aufzeichnung. Innerhalb der Fertilitätsindustrie wird die Kritik an den teils wenig geprüften reproduktionsmedizinischen Techniken lauter. „Ungewollt kinderlos zu sein, ist für ein Paar ein großes Leid – keine Frage“, sagt Susanne Kummer: „Aber jahrelange Versuche mit Hilfe der Medizin endlich schwanger zu werden und am Ende dann doch ohne Kind nach Hause gehen zu müssen, ist auch nicht einfach.“ Denn: Ein positiver Schwangerschaftstest mündet nicht immer in eine glückliche Schwangerschaft, geschweige denn in die Geburt eines Kindes. Eine hohe Schwangerschaftsrate, mit der die Kinderwunschkliniken gerne „werben“, sei nämlich nicht gleich der „Baby-Take-Home-Rate“. Nur bei 20 bis 25% der Paare klappt die IVF, das heißt umgekehrt: „75 bis 80% aller Frauen gehen trotz mehrerer IVF-Versuche am Ende ohne Kind nach Hause“, so Susanne Kummer: „Aus dem Traum wird ein Trauma. 40 Jahre nach Einführung der künstlichen Befruchtung ist die Erfolgsrate immer noch sehr niedrig. Darüber spricht man allerdings nicht gerne.“

In-vitro-Babys: Risiken nicht verschweigen

Hinzu komme, dass die Techniken der Reproduktionsmedizin teils erhebliche gesundheitliche Risiken in sich bergen. „Die hormonelle Stimulation kann zum Beispiel zu einem Hyperovulationssyndrom führen – das geht bis zu Lungenödemen, Nierenversagen oder Schlaganfällen. Auch einige Todesfälle sind bereits bekannt“, sagt Susanne Kummer. Die Punktion könne außerdem zur Vernarbung der Eierstöcke führen.

Hochrisikoschwangerschaften

Kommt es schließlich zu einer Schwangerschaft, kann auch diese gesundheitlich problematisch sein. „Schwangerschaften nach IVF gelten als Hochrisikoschwangerschaften“, sagt Susanne Kummer: Früh- und Totgeburten, aber auch Mehrlingsschwangerschaften treten signifikant häufiger auf. Ärzte bieten bei Drillingen eine sogenannte ,Mehrlingsreduktion‘ an. Dabei muss die schwangere Frau entscheiden, welche der Embryonen, die sich eingenistet haben, „entfernt“ werden. „Eine unfassbare Belastung für die Eltern“, sagt Susanne Kummer. Auch das Risiko einer Fehlgeburt sei bei In-vitro-Schwangerschaften erhöht. Für Trauerarbeit nach einer Fehlgeburt bleibt Frauen nach einer IVF wenig Zeit, der Druck weiterzumachen ist hoch.

Babys: Nicht etwas, sondern jemand

„Mehr Kritik, mehr Hinschauen und einen bewussteren Umgang“ fordert Susanne Kummer angesichts all dieser Tatsachen von der Gesellschaft, von der Medizin und den Verantwortungsträgern. „Mit der Reproduktionsmedizin wird die Zeugung vom Mutterschoß in eine Petrischale verlegt. So wird daraus ein technischer Akt“, kritisiert Kummer: „Plötzlich unterliegt der Embryo einer Logik des Produkts und der Ware. Da gibt es dann auf einmal ,Qualitätskontrollen‘ und ,Standards‘, die er zu ,erfüllen‘ hat. Dieser Umgang mit Menschen ist in höchstem Maße unangemessen. Wir sind nicht etwas, sondern jemand – auch am Beginn unseres Lebens.“ Klar ist: Alle Kinder, die mit Hilfe der Reproduktionsmedizin geboren wurden, sind gleich an Würde und Rechten. Dennoch müssen kritische Fragen erlaubt sein: „Die Reproduktionsmedizin birgt viele Risiken, darüber muss man sprechen dürfen und die muss man auch untersuchen dürfen“, sagt Susanne Kummer: „Im Sinne der so entstehenden Kinder und im Sinne der werdenden Eltern.“

Außerdem sei sie überzeugt davon, dass die Reproduktionsmedizin oft viel zu früh zum Einsatz komme. „Ich denke, dass wir längst verlernt haben, was im Zusammenhang mit dem Schwanger-Werden normal ist und was nicht.“ Unfruchtbar ist ein Paar laut Definition der WHO, wenn es trotz ungeschützten Geschlechtsverkehrs  nach einem Jahr zu keiner Schwangerschaft kam. „Nach einem Jahr schon Pathologisieren wir da nicht etwas, was eigentlich noch gar nicht zu pathologisieren wäre? Warum nicht mehr Zeit geben, Geduld und Gelassenheit – und einen erfahrenen Mediziner, der Alternativbehandlungen vorschlägt und anbietet“, so Kummer. Gerade wenn es um Reproduktionsmedizin gehe, appelliere sie auch daran, wieder mehr die Perspektive des Kindes einzunehmen, so Kummer. „Ein Recht auf ein Kind – das gibt es nicht. Aber das Kind hat Rechte und zwar von Anfang an und es sollte uns daran gelegen sein, diese auch zu schützen.“

Zur Person

Mag. Susanne Kummer, Geschäftsführerin "Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik".
Mag. Susanne Kummer, Geschäftsführerin "Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik". ©IMABE

Mag. Susanne Kummer, Geschäftsführerin „Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik“ (IMABE)

Autor:
  • Portraitfoto von Andrea Harringer
    Andrea Harringer
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