Recht auf Leben oder Recht auf Abtreibung?

Meinung
Ausgabe Nr. 18
  • Meinung
Autor:
Jeder von uns hat einmal auf ein Ultraschallbild gepasst. ©SeventyFour
Mag. Susanne Kummer ist Ethikerin und Direktorin des Instituts für Medizin, Anthropologie und
Bioethik in Wien.
©IMABE/ J. Rauscher

Diskussion über eine tiefgreifende Verschiebung in der gesellschaftlichen Wahrnehmung des ungeborenen Lebens.

Erst kürzlich zeigte mir eine Freundin ein Foto, besser gesagt: das Ultraschallbild ihres Kindes. „Wir freuen uns schon so auf das Baby!“, sagte sie. Eine Frau erwartet ein Kind. Nicht einen „Zellhaufen“ oder bloß ein „Gewebe“. Das Leben dieses Kindes ist schützenswert wie das jedes Erwachsenen. Das ist die eine Seite. Die andere Seite: Frankreich hat kürzlich als weltweit erstes Land eine „Freiheit auf Schwangerschaftsabbruch“ in Verfassungsrang gehoben. In Deutschland wird darüber diskutiert, Kindern erst dann ein Lebensrecht zusprechen, wenn sie eigenständig außerhalb des Mutterleibs lebensfähig sind. Und in der EU-Grundrechtecharta soll nicht nur das Recht auf Leben, sondern auch ein „Recht auf Abtreibung“ verankert werden.

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Was hat sich da verschoben? Während es früher hieß, dass eine Abtreibung eine aus Not erfolgte, aber sicher nicht beste Wahl ist, lautet die These heute: Die Vernichtung eines ungeborenen Kindes ist legitim aus der Tatsache, ein Akt der Selbstbestimmung der Frau zu sein. Sie sei ein Ausdruck ihres Rechts auf Lebensentfaltung und Freiheit. Dabei wird den Noch-nicht-Geborenen ihr Menschsein abgesprochen. 

Damit teilt man Menschen in Klassen ein: die Geborenen, deren Lebensrecht geachtet werden muss, und die Noch-nicht-Geborenen, die ihr Lebensrecht verwirken können, wenn es dem Freiheitskonzept anderer widerspricht. Allerdings: Wenn wir heute zulassen, dass das Recht auf Leben vom Rechtsstaat relativiert wird, wissen wir nicht, wo wir morgen aufwachen.

Die Erklärung der Menschenrechte entstand 1948 aus der Erfahrung einer Schreckensherrschaft, in der willkürlich entschieden wurde, wer leben darf und wer nicht. Wenn heute Tötung als Menschenrecht proklamiert wird, führt sich der Menschenrechtsbegriff ad absurdum. Es gibt ein Grundrecht auf Leben, aber kein Menschenrecht zu töten. Der Tod ist das Ende aller Güter, Rechte – und aller Freiheit. Die gesellschaftliche Solidarität mit Menschen am Anfang und am Ende ihres Lebens bricht derzeit weg. Damit entstehen neue Machtgefüge – und da müssen wir genau hinschauen. Denn es ist die Aufgabe eines liberalen Staates, das Lebensrecht aller seiner Bürger zu schützen. Unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, kognitiven Möglichkeiten oder Leistung, Alter oder Größe. Denn jeder von uns hat einmal auf ein Ultraschallbild gepasst.

Der Kommentar drückt die persönliche Meinung der Autorin aus!

Autor:
  • Susanne Kummer
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