Der Jakobsweg zu Hause

Buen Camino in Wien
Ausgabe Nr. 3
  • Wien und Niederösterreich
Autor:
Himmel & Erde-Redakteurin Andrea Harringer war am Wiener Jakobsweg unterwegs.
Himmel & Erde-Redakteurin Andrea Harringer war am Wiener Jakobsweg unterwegs. ©Andrea Harringer

Wer vom Jakobsweg spricht, hat meistens den „Camino Francés“ in Nordspanien vor Augen. Dass es auch einen Jakobsweg in und durch Wien gibt, wissen die wenigsten.

Begonnen hat alles vor einigen Jahren irgendwann im Advent mit einem kleinen gelben Schild vor dem Haupteingang des Schlossparks Schönbrunn. Entdeckt hatte ich es, als ich auf dem Weg zum Christkindlmarkt vor dem Schloss war und mein Blick beim Überqueren einer Ampel auf einen Lichtmast fiel. Darauf zu sehen: eine gelbe Muschel auf blauem Grund, eine Darstellung des Stephansdoms und darunter die Schrift: jakobsweg-wien.at. Dass auch durch Wien der Jakobsweg geht, war mir als Redakteurin eines katholischen Mediums schon bewusst gewesen, aber ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich ein bisschen erstaunt war, dass er am Schloss Schönbrunn vorbeiführt. 

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Der Jakobsweg vor der Haustür

Meine Neugier war geweckt, aber es sollte tatsächlich noch einige Jahre dauern, bis ich mich selbst auf den Weg machte, um den Jakobsweg Wien zu gehen. Dieses Jahr im Sommer war es dann so weit. Ich stand an einem sonnigen und heißen Montagvormittag vor der Jakobskirche in Schwechat. Dort nämlich startet der Jakobsweg-Wien und führt dann grob gesagt quer durch Wien bis zur Jakobskirche in Purkersdorf.

Der Weg ist in vier Etappen geteilt. Die erste startet in Schwechat und führt nach Kaisermühlen, die zweite geht von Kaisermühlen zum Stephansdom und die dritte vom Stephansdom bis vor das Schloss Schönbrunn, wo ich auch erstmals den Wegweiser gesehen hatte. Die vierte Etappe schließlich führt durch Hietzing bis zur Jakobskirche in Purkersdorf.

„Den“ Jakobsweg gibt es nicht

Der Jakobsweg-Wien ist damit Teil eines Netzes verschiedenster Jakobswege. Sie überziehen ganz Österreich und auch den Rest Europas und vereinen sich dann auf den letzten Etappen in Spanien. Als Ziel haben sie alle Santiago de Compostela in Galicien im Norden Spaniens, wo das angebliche Grab des Apostels Jakobus ist. „Den“ Jakobsweg gibt es damit, etwas vereinfacht gesagt, nicht. Wenn man vom Jakobsweg spricht, dann ist meistens der „Camino Francés“ gemeint, jener knapp 800 Kilometer lange Weg, der von den Pyrenäen bis Santiago führt.

Eine halbe Million am „Camino Francés“

In den vergangenen Jahrzehnten erlebte der „Camino Francés“ einen regelrechten Boom. Nicht zuletzt haben Bücher wie das des deutschen Komikers und Entertainers Hape Kerkeling „Ich bin dann mal weg. Meine Reise auf dem Jakobsweg“ aus dem Jahr 2006 das Interesse einer breiten Masse am Jakobsweg geweckt.

©Andrea Harringer
Wer diesen Blick genießen kann, darf sich freuen: Das Ziel der ersten Etappe ist von hier aus nicht mehr weit.
Wer diesen Blick genießen kann, darf sich freuen: Das Ziel der ersten Etappe ist von hier aus nicht mehr weit. ©Andrea Harringer
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Gestartet wird bei der Jakobskirche in Schwechat.
Gestartet wird bei der Jakobskirche in Schwechat. ©Andrea Harringer
Auch wenn der Jakobsweg-Wien durch eine Großstadt führt, Natur begegnet einem auch hier auf Schritt und Tritt.
Auch wenn der Jakobsweg-Wien durch eine Großstadt führt, Natur begegnet einem auch hier auf Schritt und Tritt. ©Andrea Harringer
Die ersten Kilometer des Weges geht es ganz idyllisch entlang der Schwechat.
Die ersten Kilometer des Weges geht es ganz idyllisch entlang der Schwechat. ©Andrea Harringer
©Andrea Harringer
Himmel & Erde-Redakteurin Andrea Harringer war am Wiener Jakobsweg unterwegs.
Himmel & Erde-Redakteurin Andrea Harringer war am Wiener Jakobsweg unterwegs. ©Andrea Harringer

Pilgerpass und andere Erinnerungen am Jakobsweg

Zurück zu meiner kleinen Pilgerreise: dem Jakobsweg-Wien. In der Jakobskirche hole ich mir noch einen jener Stempel, für die der Jakobsweg bekannt ist. Viele Jakobsweg-Pilgerinnen und -Pilger begleitet auch ihr Pilgerpass – ein kleines Heftchen, das Pilger auf ihrer Reise nutzen, um ihren Weg zu dokumentieren und das man oft auch braucht, um bestimmte Vorteile wie Zugang zu Pilgerherbergen zu erhalten. Auch die Stempel haben hier ihren Platz. Ein Pilgerpass ist eine feine Sache und, nebenbei bemerkt, über die Website jakobsweg-wien.at nicht schwierig zu bekommen.

"Ich war da"

Meine Stempel hole ich mir aber trotzdem nicht als Leistungsnachweis, sondern als Erinnerungszeichen. Als ein stilles „Ich war da“. Und ich habe auch fest vor, sie später in mein Tagebuch einzukleben und meine Erfahrungen so zu dokumentieren. Und dokumentiert soll meine „kleine Reise“ schon werden. Ist das Pilgern doch ganz klar etwas anderes als einfach nur zu wandern, spazieren oder laufen zu gehen. Was dieses Bewusstsein für mich konkret bedeutet? Ich habe mir vorgenommen, am Beginn und auch am Ende jeder Etappe ein Gebet zu sprechen.

Wichtig ist mir außerdem, mir immer wieder vor Augen zu halten, dass es hier nicht um irgendeine sportliche Ertüchtigung geht. So wichtig die prinzipiell ist, soll bei meinem Weg durch Wien der Weg das Ziel sein. Rekorde, auch persönliche, aufzustellen und möglichst schnell durchzukommen, steht noch nicht einmal auf meiner To-do-Liste, geschweige denn, dass es ganz oben stehen würde.

Und: Ich will Augen, Ohren und mein Herz offenhalten. Wien ist „meine“ Stadt, ich bin hier geboren und aufgewachsen, kenne sie wie meine Westentasche – aber gerade so ein Weg, bei dem es im besten aller Sinne um nichts geht, auf dem alles sein darf, aber nichts sein muss, den ich einfach nur gehe, gerade da könnte es doch sein, dass ich Dinge entdecke, die mir sonst nicht aufgefallen wären. An Äußerlichkeiten, aber vielleicht auch in mir drinnen.

©Andrea Harringer
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Himmel & Erde-Redakteurin Andrea Harringer war am Wiener Jakobsweg unterwegs.
Himmel & Erde-Redakteurin Andrea Harringer war am Wiener Jakobsweg unterwegs. ©Andrea Harringer
Beim Stephansdom startet die dritte Etappe des Jakobsweg-Wien und führt von hier durch die belebtesten Straßen der Innenstadt bis nach Schönbrunn.
Beim Stephansdom startet die dritte Etappe des Jakobsweg-Wien und führt von hier durch die belebtesten Straßen der Innenstadt bis nach Schönbrunn. ©Andrea Harringer
©Andrea Harringer

Gute Begegnungen am Jakobsweg inklusive

Von der Jakobskirche führt mich der Weg über den Hauptplatz, durch einen Durchgang am Rathaus vorbei zur Schwechat und dann hier entlang. Schnell merke ich: Dem Jakobsweg Wien zu folgen, ist nicht schwer. Die Wegweiser – gelbe Pfeile mit dem Muschelsymbol, dem Stephansdom und der Aufschrift  jakobsweg-wien.at – sind vielleicht klein, aber auffällig. Und sie sind gut platziert und meist schon aus einiger Entfernung sichtbar.

Da ich mich deshalb nicht auf die Wegführung konzentrieren muss, kann ich locker draufl osgehen. Das Gebet, das ich am Anfang der Etappe gesprochen habe, kommt mir dabei immer wieder in den Sinn. Weit bin ich noch davon entfernt, es auswendig zu können, aber die eine oder andere Zeile hat sich schon eingebrannt und ich bemerke, wie ich sie immer wieder in meinem Kopf wiederhole.

Die Sonne brennt geradezu erbarmungslos herunter, aber ich habe meinen Rhythmus gefunden und gehe unbeirrt zuerst an der Schwechat entlang.

Ich habe mir vorgenommen, am Beginn und auch am Ende jeder Etappe ein Gebet zu sprechen.

Vorbei am Alberner Hafen überquere ich den Donaukanal, dann beim Kraftwerk Freudenau die Donau und lande auf der Donauinsel. Hier geht es zwar auch auf asphaltierten Wegen, aber durch sattes Grün, bis ich bei einer Brücke mit dem technischen Namen „Schleusenbrücke Wehr 1“ auch die Neue Donau kreuze. Wenig später und nach insgesamt dreieinhalb Stunden Gehzeit bin ich bei meinem ersten Etappenziel, der Herz-Jesu-Kirche in Kaisermühlen, angelangt.

Jakobsweg-Insider

Als ich mir auch hier einen Stempel hole, spricht mich ein älteres Ehepaar an. Mit einem freundlichen „Buen Camino!“ geben sie sich als „Jakobsweg-Insider“ zu erkennen. Denn „Buen Camino“, wörtlich übersetzt „Einen guten Weg“, ist der Gruß, mit dem sich Pilgerinnen und Pilger auf dem Jakobsweg grüßen.

Ich erfahre, dass die beiden aus dem Ruhrgebiet kommen und den dort befi ndlichen Jakobsweg schon selbst gegangen sind. „Der ist aber nicht so anstrengend“, erzählt er lächelnd. „Da geht es im Grunde immer flach dahin.“

„Wir würden ja wirklich gerne den echten Jakobsweg gehen, den in Spanien“, ergänzt seine Frau. „Aber das trauen wir unseren Knien ehrlich gesagt nicht zu – zu viel auf und ab.“ Wir verabschieden uns und ich freue mich über diese nette Begegnung.

Geschafft: Die Jakobskirche in Purkersdorf ist der Endpunkt des Jakobsweg-Wien. Auch hier kann man sich noch einen Pilgerstempel abholen.
Geschafft: Die Jakobskirche in Purkersdorf ist der Endpunkt des Jakobsweg-Wien. Auch hier kann man sich noch einen Pilgerstempel abholen. ©Andrea Harringer
©Andrea Harringer

Unterwegs im Großstadtdschungel

Am nächsten Tag mache ich mich am Nachmittag auf, die zweite Etappe des Jakobsweg-Wien zu gehen. In meiner Vorbereitung habe ich unter anderem gelesen, dass der Jakobsweg-Wien so etwas wie das Stiefkind unter den österreichischen Jakobswegen ist.

Pilgerinnen und Pilger aus nah und fern sollen vor allem die zweite und dritte Etappe erstaunlich oft mit öff entlichen Verkehrsmitteln zurücklegen, um sich das Gehen quer durch die Stadt zu ersparen. Und ich muss sagen, auch ich erwische mich bei dem Gedanken, dass der Jakobsweg hier wirklich sehr urban ist. Bunte Wandmalerei und auch viele Graffi tis lenken meine Aufmerksamkeit auf sich.

Mit „meinem“ Gebet im Kopf und ganz im Bewusstsein, welchen Weg ich hier gehe, freue ich mich an der Friedenstaube und an der Inschrift „Jakob“, die ich unter der Reichsbrücke finde. Gut, gerade der „Jakob“ ist wohl mehr Zufall, aber als kleines Zeichen nehme ich ihn doch gerne mit. Neben mir braust die U-Bahn vorbei – das höre ich, aber ich spüre es auch an den Vibrationen der Brücke. Jakobsweg, sozusagen, mit allen Sinnen.

Der Weg führt mich weiter die Lasallestraße entlang über den Praterstern und die Praterstraße, die Marienbrücke und die Rotenturmstraße hin zum Stephansdom, dem Ziel der zweiten Etappe.

Etwa eineinhalb Stunden habe ich hierher gebraucht. Ich entscheide mich aber dann doch, einfach in den Dom zu gehen, mein Gebet zu sprechen und meine kleine Pilgerreise noch ein wenig nachklingen zu lassen.

Wiener Alltag trifft Jakobsweg

Ich starte die dritte Etappe des Jakobsweg-Wien am nächsten Tag inmitten von Touristen vor dem Stephansdom. Kurz frage ich mich, in welche Richtung, da sehe ich schon den Wegweiser des Jakobsweges gleich am Stock-im-Eisen-Platz, am Beginn des Grabens.

Fast muss ich lachen, ich bin hier fast jeden Tag – die Redaktion ist ums Eck. Der Wegweiser ist mir aber tatsächlich noch nie aufgefallen. Die Touristenmassen schwemmen mich geradezu mit sich mit. Aber es geht mir so, wie es auch Pilgerinnen und Pilger oft vom völlig überlaufenen „Camino Francés“ erzählen: Immer wieder finde ich trotzdem stille Winkel – etwa gleich in der Michaelerkirche, an der der Jakobsweg-Wien vorbeiführt.

Es geht vorbei am Naturhistorischen und Kunsthistorischen Museum, die Mariahilferstraße hinauf. Beim Westbahnhof verlieren sich die Menschenmassen langsam, es wird wieder ruhiger. Kurz nach dem Technischen Museum endet die Etappe vor dem Schloss Schönbrunn.

Begleitet am Jakobsweg

Am nächsten Tag ist es so weit: Die letzte Etappe des Jakobsweg-Wien steht an und es geht so urban weiter, wie es gestern geendet hat – vor dem Schloss Schönbrunn, zuerst auf der Schönbrunner Schlossstraße und dann über die Hietzinger Hauptstraße die Auhofstraße entlang.

Erst als ich den Wienfluss in Hütteldorf überquere, wird es wieder grüner. Es geht abseits der Straßen durch einen Park und der Bahn entlang. Nach einer Unterführung fällt mir ein Kreuz, das aus einfachen Rohren gemacht ist, auf. Der Weg führt weiter am Wienfluss entlang – mal an Häusern, mal an einem Bahnhof vorbei. Stetig komme ich dem Ende des Jakobsweg-Wien näher.

Seit ein paar Kilometern schon stelle ich mir die Frage, was denn jetzt das Fazit meines persönlichen Jakobsweg-Wien ist. Fast 35 Kilometer Jakobsweg-Wien liegen hinter mir. Insgesamt werden es wohl an die zehn Stunden Fußmarsch werden. So weit zu den harten Fakten. Aber hat sich auch in mir drinnen etwas getan?

Zunächst habe ich die Erkenntnis gewonnen: Pilgern kann überall beginnen. Man muss nicht alles hinter sich lassen und in ein fernes Land reisen. Manchmal reicht es, vor die eigene Haustür zu treten – im Vertrauen, dass Gott schon mitgehen wird. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass beim Gehen vieles ruhiger wird.

Ich hatte die vergangenen vier Tage die Gelegenheit, Gedanken zu sortieren. Auch wohl weil ich aufgehört habe, mich dauernd mit irgendetwas zu beschäftigen oder abzulenken. Plötzlich war da Raum. Für anderes. Für Tieferes. Für eine Art von Ruhe, die ich so nicht in mir erwartet hätte.

Ein Licht leuchtet weiter

Als ich wenig später bei der Jakobskirche in Purkersdorf ankomme, atme ich tief durch. Geschafft. Alle vier Etappen des Jakobsweg-Wien und – auch wenn der Weg schon das Ziel war – dann hier am Ende der letzten Etappe gut angekommen.

In der Kirche hole ich mir noch einen Stempel. Und ich zünde eine Kerze an und spreche „mein“ Gebet. Ein Priester hat mir mal in einem Gespräch gesagt: „Wenn du eine Kerze anzündest, dann ist das, als würdest du das Gebet, das du in dieser Kirche gesprochen hast, noch nachklingen lassen.“

Das ist, besonders heute, ganz in meinem Sinn. Ob ich den Jakobsweg fortsetzen werde? Wer weiß – meine Neugier ist geweckt.

©Andrea Harringer

Zur Autorin

Auf ins Abenteuer! Himmel & Erde-Redakteurin Andrea Harringer auf dem Weg ins wilde Transdanubien.

Autor:
  • Portraitfoto von Andrea Harringer
    Andrea Harringer
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