„Das Schönste ist, wenn jemand auf mich wartet“

Glaubenszeugnis
Ausgabe Nr. 40
  • Spiritualität
Autor:
Es spricht oft die Stimme Gottes durch das, was unerwartet im Leben passiert.
Es spricht oft die Stimme Gottes durch das, was unerwartet im Leben passiert. ©Priesterbruderschaft des heiligen Karl Borromäus

Pater Giorgio Ghigos’ Entscheidung, Priester zu werden, ging ein Ringen voraus. Aufgewachsen in Cuneo, einer kleinen Stadt im Piemont, lebt er heute mit vier Mitbrüdern in Wien – „wie in einer Familie“.

Sein Start ins Leben war alles andere als ideal. Seine leibliche Mutter ließ ihn nach der Geburt im Krankenhaus zurück. Ein paar Monate später adoptierten ihn seine Eltern.

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Ein Geschenk Gottes

Als du fünf Jahre alt warst, erzählten dir deine Eltern, dass du adoptiert wurdest. Wie hast du diese Nachricht aufgenommen?

Zuerst war es für mich schwierig, weil ich mir dachte: Ich bin nicht ‚ganz‘ der Sohn meiner Eltern, ich bin irgendwie ‚weniger‘. Schließlich hatte mich meine Mutter nicht geboren. Aber meine Eltern haben mir immer und immer wieder gesagt: Du bist aus unserem Herzen geboren! Du bist geliebt, gewollt und ein Geschenk Gottes. Und sie haben sich nicht davor gescheut, mir zuzuhören, wenn mich das Thema wieder einmal beschäftigt hat.

Auch deine beiden Geschwister Radhika und Jesús Antonio wurden adoptiert.

Meine Eltern konnten keine Kinder bekommen. Sie wollten die Liebe, die sie füreinander haben, aber weitergeben und haben die Tür ihres Hauses und Herzens für uns Kinder geöffnet.

„Wenn es dein Wille ist, Gott, geb ich dir mein ganzes Leben.“

Pater Giorgio Ghigo

Du hattest eigentlich vor, selbst eine Familie zu gründen. Wann kam dir der Gedanke, dass du Priester werden könntest?

Ich war zwanzig, studierte Architektur und wollte ein berühmter Architekt werden. Da lernte ich drei Seminaristen der Priesterbruderschaft des heiligen Karl Borromäus kennen. Sie haben mich sehr überrascht. In meiner Vorstellung waren Seminaristen maximal eine Spur jünger als die Priester, die ich kannte, also so um die sechzig. Und ich dachte, sie wären ernst und grau – so hatte ich damals viele Priester erlebt. Aber die drei Seminaristen waren jung, nur wenig älter als ich damals. Und sie waren froh! ‚Wie ist das möglich, ganz ohne Freundin, ohne Geld und Arbeit?‘, fragte ich mich. Ich musste mir eingestehen: Ich bin jetzt zwar glücklich. Aber sie wirken glücklicher. Das hat mich unruhig gemacht – ich wünschte mir das auch für mein Leben. 

Mit Gott im Dialog

Du hast mit einem Priester über deine Unruhe und deine Fragen gesprochen. Welchen Rat hat er dir gegeben?

Ich fragte ihn: ‚Was soll ich machen? Ich will Vater sein und eine Familie haben, gleichzeitig möchte ich so glücklich wie diese drei Seminaristen sein.‘ Seine Antwort: ‚Ich habe keine Ahnung! Aber du kannst selbst entdecken, was Gott möchte. Er spricht durch deine Geschichte, durch dein Leben. Ich kann dir nur sagen: Auch Priester sind dazu berufen, Väter des Herzens zu sein. Jetzt geh nach Hause.‘ Das hat mich wütend gemacht! Ich wollte eine Amazon-Prime-Antwort, also jetzt sofort wissen, was ich tun soll! 

In der Zeit danach habe ich viel über mein Leben und meine Geschichte nachgedacht. Mir wurde bewusst, dass mir Gott all die Dinge in meinem Leben geschenkt hatte: meine Adoptiveltern, meine Familie, meinen Glauben. ‚Bis jetzt ist mein Leben wirklich schön‘, dachte ich. ‚Wenn es dein Wille ist, Gott, dann gebe ich dir mein ganzes Leben.‘ Für mich war dieser Prozess ein Ringen. Aber es war kein Monolog, sondern ich war die ganze Zeit mit Gott im Dialog. 

Die Stimme von Gott

Du bist in Rom in die Priesterbruderschaft eingetreten. Sie hat dich nach Chile geschickt – und du dachtest du würdest dort bleiben.

Nach zwei Jahren hat mich unser Ordensoberer nach Wien geschickt, für meine Mission ‚für immer‘. Auch damit habe ich gerungen, denn mein Herz war in Lateinamerika. Ich habe aber auch erkannt: Durch das, was unerwartet ist, spricht oft die Stimme Gottes.

Zeichen Gottes

In eurer Gemeinschaft leben die Priester miteinander in einer Wohnung. Du wohnst du mit vier Mitbrüdern in der Pfarre Rossau. Muss man sich das wie in einer Wohngemeinschaft vorstellen?

Nein, wir sind keine WG. In einer WG kann mir der andere egal sein. Wir sind wie eine Familie. Wenn einer fehlt, fragen die anderen, wo er ist. Ja, wir sind alle erwachsene Männer, aber jeder gibt Bescheid, wenn er mal nicht zum Abendessen kommt. Der andere ist für mich ein Zeichen der Gegenwart Gottes. Das Schönste ist, wenn jemand auf mich wartet.

Schlagwörter
Autor:
  • Sandra Lobnig
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