"Stadtpilgern: eine kleine Auszeit vom Alltag"

Glaubenszeugnis
Ausgabe Nr. 39
  • Spiritualität
Autor:
Das „Stadtpilgern“ ist für Menschen, die eine kleine Auszeit vom Alltag möchten.
Das „Stadtpilgern“ ist für Menschen, die eine kleine Auszeit vom Alltag möchten. ©ÖOK/emw

Bruder Hans Leidenmühler, 65, ist geistlicher Begleiter und Zuhörer in der Gesprächsinsel auf der Freyung in der Wiener Innenstadt. Er weiß: Einsamkeit hat viele Gesichter.

Bruder Hans Leidenmühler ist vor 46 Jahren direkt nach der Matura bei den Oblaten des heiligen Franz von Sales eingetreten. Priester wurde er nie.

Werbung

Bruder Hans, Sie haben sich bewusst dafür entschieden, als Ordensbruder in einer Gemeinschaft zu leben, in der die meisten Ihrer Mitbrüder geweihte Priester sind. Weshalb? 

Ich habe Theologie studiert und wollte eigentlich auch Priester werden, habe meine Meinung während des Studiums aber geändert. Das haben nicht alle um mich herum verstanden. Aber ich habe gespürt, dass es nicht meine Berufung ist. Ich werde auch heute noch öfter darauf angesprochen und stelle immer klar, dass ich es überhaupt nicht als Defizit sehe. Im Gegenteil, ich denke, dass Gott mich auf genau diesen Weg gerufen hat. Mir liegen Arbeiten in der Verwaltung, im Büro und häusliche Arbeiten, gleichzeitig war ich immer schon gern seelsorgerlich tätig. Heute bin ich Hausoberer in unserer Gemeinschaft in Sankt Anna im 1. Bezirk, arbeite in der Gesprächsinsel mit, begleite Exerzitien und bin geistlicher Begleiter. 

Was ist das Spezifikum von ‚geistlicher Begleitung‘? Ist sie vergleichbar mit anderen Beratungsangeboten?

Geistliche Begleitung ist etwas anderes. Ich als Begleiter gebe selten Ratschläge. Ich höre zu und helfe zu erkennen, wohin Gott jemanden führen will. Dabei ist es oft so, dass jemand mit einem sehr konkreten Thema zu mir kommt, das auf den ersten Blick gar nichts mit Gott zu tun hat. Mit Beziehungsproblemen etwa oder mit einer Last aus der Vergangenheit – Menschen leiden unter etwas, das ihnen irgendwann passiert ist oder darunter, dass ihnen etwas verwehrt wurde. Ich versuche, mit ihnen das Erlebte im Lichte Jesu anzuschauen. Gott will ja, dass wir erkennen, dass er uns liebt und wir zu liebevollen und beziehungsfähigen Menschen heranreifen.

„In erster Linie geht es um das Zuhören und Zeitnehmen.“

Hans Leidenmühler

Stadtpilgern für eine kleine Auszeit

Sie sind auch einer der Zuhörer in der Gesprächsinsel, einem Angebot für Menschen, die ein offenes Ohr brauchen.

In der Gesprächsinsel bin ich einer der hauptamtlichen Mitarbeiter. In erster Linie geht es uns um das Zuhören und Zeitnehmen. Im Unterschied zur geistlichen Begleitung, wo man eine Person über einen längeren Zeitraum begleitet, weiß ich dort nie, wer an diesem Tag vor der Tür stehen wird. Das ist sehr spannend.  

Für Jung und Alt ist das Stadtpilgern

Wer nimmt das Angebot in Anspruch?

Das sind zum Teil Menschen, die ein aktuelles Problem haben und die niemanden haben, mit dem sie darüber reden können. Oder Personen, die mit ihrem Partner oder mit ihren Freunden über ein bestimmtes Thema nicht sprechen möchten oder können. Weil es ihnen peinlich ist. Oder weil diese kein Verständnis für ihre persönlichen Themen zeigen. Es gibt auch sehr viele einsame Menschen, die gar niemanden zum Reden haben. Vielen von ihnen sieht man ihre Einsamkeit nicht an. Sie sind erfolgreich oder wirken gesellig. Manchen fehlt das Geld, um am sozialen Leben teilzunehmen – auch das macht einsam. Einsamkeit hat viele Gesichter, oft ist sie versteckt. Es passiert immer wieder, dass mir jemand sagt: ‚Das war das erste Mal, dass mir jemand wirklich zugehört hat. Jemand, der Zeit hatte, keinen Druck macht und kein Urteil abgibt.‘

In Kürze startet die Gesprächsinsel ein ganz neues Angebot, das ‚Stadtpilgern‘. Was hat es damit auf sich?

Das „Stadtpilgern“ ist gedacht für Menschen, die sich eine kleine Auszeit vom Alltag gönnen wollen, gerne wandern und mit anderen auf unkomplizierte Weise in Kontakt kommen möchten. Wir treffen uns bei der Romanischen Kapelle der Schottenkirche – das allererste Mal am 30. September. Dort gibt es einen kurzen geistlichen Impuls, und wir starten unsere Route durch die Wiener Innenstadt, auf der wir immer wieder stehen bleiben, Stille halten, beobachten und ins Gespräch kommen. Nach etwa eineinhalb Stunden beenden wir den Spaziergang in ‚Mamas Café‘ beim Stephansplatz. Geplant ist das Stadtpilgern alle zwei Monate. Wir finden, dass das sehr gut zur Gesprächsinsel passt: eine kleine Auszeit nehmen und sich mit anderen austauschen, die man noch nicht kennt.

Schlagwörter
Autor:
  • Sandra Lobnig
Werbung

Neueste Beiträge

| Wien und Niederösterreich
Wozu Pilgern?

Zwölf gute Gründe, an der Männerwallfahrt am 9. November nach Klosterneuburg teilzunehmen. Beginn um 14:00 Uhr, Treffpunkt bei der Weidlingerstraße/Agnesstraße in Klosterneuburg.

Advertorial
Biblisch genießen
Grabesritter

Das Projekt mit dem Olivenöl betreibt der Orden der Grabesritter in Österreich seit 16 Jahren.

| Heiter bis heilig
Anekdoten

Ab 1790 kamen die Vorläufer des Wurlitzers auf: Flötenautomaten. In Kästen verborgen, spielten die Flöten die auf Walzen gespeicherten Töne ab.