Landraub im Namen des Klimas

Wenn Klimaschutz zum Problem wird
Ausgabe Nr. 39
  • Leben
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Maasai mit ihren Herden
Für das Hirtenvolk der Maasai bedeuten ihre Herden die Existenzgrundlage. ©MISA

In Nordtansania spitzt sich ein Konflikt zu, der exemplarisch für die Schattenseiten globaler Klimapolitik steht: Unter dem Vorwand von Emissionskompensation verlieren Maasai-Gemeinschaften ihre Weidegebiete – und damit ihre Lebensgrundlage.

Die Maasai sind eine indigene Volksgruppe in Ostafrika, deren Kultur seit Jahrhunderten eng mit der Viehzucht verbunden ist. Sie ziehen mit ihren Tieren in natürlichen Zyklen passend zu Regenzeiten, Mondphasen und Wasserquellen von Ort zu Ort. Doch in diese bewährte Lebensweise wollen Volkswagen und die Firma „Soils for the Future Africa“ jetzt dramatisch eingreifen. Das berichtete der Aktivist Joseph Oleshangay vergangene Woche in einem vom Welthaus Graz und der Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission (KOO) organisierten Pressegespräch in Wien. 

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Klimaneutralität auf dem Papier

Inwiefern ist das Land betroffen? Der deutsche Automobilhersteller ist ein großes Industrieunternehmen, das viel CO₂ ausstößt. Um die neuen Klimaziele der EU zu erfüllen, muss der Konzern seine Emissionen entweder direkt senken oder durch Emissionsgutschriften, auch CO₂-Credits genannt, ausgleichen. Diese Gutschriften entstehen durch Projekte, die angeblich CO₂ einsparen, etwa durch veränderte Nutzung von Böden.

In Tansania soll genau das passieren: Auf rund einer Million Hektar Maasai-Land wird durch neue Regeln zur Weidehaltung berechnet, wie viel CO₂ im Boden gespeichert wird.

Diese Zahlen werden in Zertifikate umgewandelt und an Unternehmen wie Volkswagen verkauft. So kann der Konzern behaupten, klimaneutral zu wirtschaften – obwohl sich an den tatsächlichen Emissionen wenig ändert.

Kritiker sprechen deshalb von „Green­washing“: Die Verantwortung für den Klimaschutz wird ausgelagert, oft in Regionen, die selbst kaum zur Klimakrise beigetragen haben.

Verträge mit nicht informierten Maasai

Damit das Projekt funktioniert, müssen Maasai-Gemeinschaften das Land jedoch nach neuen Regeln nutzen. Sie werden in langfristige Verträge eingebunden – oft über 40 Jahre.

Doch viele wissen gar nicht, was sie unterschreiben. Die Dokumente sind kompliziert, in einer fremden Sprache und werden oft ohne ausreichende Erklärung präsentiert. Die Verträge besagen, dass die Hirten ihr Land nicht nach traditionellen Mustern nutzen dürfen. Stattdessen müssen sie alle zwei Wochen neue Siedlungen errichten, dafür Bäume fällen und ihre Herden nach festen Vorgaben rotieren lassen.  

„Was passiert, wenn kein Regen fällt? Was wird dann aus unseren Tieren?“

Joseph Oleshangay 

„Unsere Weidegebiete sind in Ost und West aufgeteilt. Wenn man uns zwingt, alle Tiere in einem Gebiet zu halten, überweiden wir es sofort. Unsere Regeln beruhen seit Jahrhunderten auf dem Mond, dem Klima und den Wasserquellen und nicht nur auf dem Grasstand. Was passiert, wenn kein Regen fällt? Was wird dann aus unseren Tieren?“, fragt Joseph Oleshangay.

Für eine Gemeinschaft, deren Identität seit Jahrhunderten mit Viehzucht verbunden ist, sind solche Eingriffe existenzbedrohend.

Maasai fordern Schutz und Mitbestimmung

Deshalb reist Joseph Oleshangay derzeit durch Europa, um auf die Lage seines Volkes aufmerksam zu machen. Zusammen mit der Maasai International Solidarity Alliance fordert er einen fünfjährigen Aufschub für alle Bodenkohlenstoffprojekte in Hirtenregionen Tansanias. Außerdem soll Volkswagen die Zusammenarbeit mit „Soils for the Future Africa“ beenden.

Denn Klimaschutz dürfe nicht auf Kosten derjenigen gehen, die am wenigsten zur Krise beigetragen haben. Mehrfache Anfragen nach einem Gespräch in Deutschland habe der Volkswagenkonzern aber bislang abgelehnt, teilte die Maasai International Solidarity Alliance mit. 

Autor:
  • Leonie Stockhammer
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