Jesus, dein digitaler Freund
Leben morgen
Wir beten nicht mehr, wir klicken. Es ist eine durchaus provokante Behauptung, die Theologin und Medienethikerin Claudia Paganini in ihrem kürzlich erschienenen Essay „Der neue Gott“ aufstellt. Doch was sind tatsächlich die spirituellen Konsequenzen der rasanten Entwicklung künstlicher Intelligenzen (kurz KI)? Wird Jesus Christus zum Objekt des technischen Fortschritts?
Automatisierte Seelsorge mit KI-Jesus
So gibt es bereits Chatbots (textbasierte Dialogsysteme, die Dialoge mit einem technischen System in natürlicher Sprache ermöglichen), die biblische Fragen beantworten oder Gebete sprechen können.
2024 sorgte im Beichtstuhl der Luzerner Peterskapelle ein im Rahmen des Kunstprojekts „Deus in Machina“ (Gott in der Maschine) installierter KI-Jesus für Aufsehen. Für Technikethiker Eugen Dolezal sind automatisierte Seelsorge oder ein „Jesus-Chatbot“ trotz vereinzelter Chancen eine ethische Falle.
„Positiv zu sehen ist die potenzielle spielerische Annäherung an Glaubensinhalte. Vermeintlich peinliche oder pikante Rückfragen werden im Austausch mit Chatbots leichter gestellt als in der direkten Begegnung mit einem menschlichen Gegenüber, insbesondere, wenn Letzteres in einem offiziellen kirchlichen oder institutionellen Rahmen auftritt“, erklärt der Forscher.
„Allerdings sind je nach Datensatz und Training irreführende, falsche oder gar absichtlich schädliche Aussagen eines Chatbots denkbar.“
Eine zeitgeistige Herausforderung für das im Glauben zentrale Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch beziehungsweise Menschen untereinander.
"Simulation" Pro Menschliche Begegnung
Welche Chancen sehen Sie in der Möglichkeit, sich mit einem fiktiven „Jesus“ digital auszutauschen?
Solche Chatbots sollen der Interaktion dienen und diese simulieren. Entscheidend ist jedoch, dass es sich dabei qualitativ nicht um ein wirklich relationales Geschehen handelt, wie es in der Begegnung zweier Personen entsteht.
Worin besteht Ihre Kritik?
Prinzipiell sind Chatbots, die Personen simulieren, kritisch zu sehen, da sie den Anschein einer Interaktion mit der simulierten Person suggerieren, welche faktisch nicht gegeben ist. Angesichts der Bedeutung, die Jesus im christlichen Glauben einnimmt, scheint eine solche „Personifikation“ umso kritischer.
Hat die analoge Seelsorge bald ausgedient?
Ein Ersatz des christlichen Miteinanders, also des Zwischen-Menschlichen, durch maschinelle Interaktion ist äußerst fragwürdig. Gerade angesichts der fortschreitenden Mechanisierung unserer Lebenswelt wird die menschliche Begegnung immer relevanter.

Für Sie gelesen
Schnittstelle Religion & Technik
Ist künstliche Intelligenz der neue Gott des digitalen Zeitalters? In diesem tiefgründigen Essay entfaltet Claudia Paganini eine philosophisch brisante These: Erstmals erschafft der Mensch einen Gott, statt ihn nur zu denken. Die KI übernimmt zunehmend, was einst der Religion vorbehalten war: Sinnstiftung, Orientierung, allzeit verfügbare Antworten.
Claudia Paganini
Der neue Gott. Künstliche Intelligenz und die menschliche Sinnsuche
Herder Verlag, 176 Seiten
ISBN: 978-3-451-60146-0, EUR 21,50
Veranstaltungstipp
Menschen haben Fragen, suchen nach Sinn, wenden sich um Rat an „höhere Instanzen“: seinerzeit Idole, Götter und Orakel, heute Influencer und immer öfter die menschengemachte künstliche Intelligenz. Per Klick antwortet sie diskret auf Lebensfragen und Probleme. Ist sie eine neue Quelle für Spiritualität und Sinnstiftung?
Am 12. November 2025 um 16:00 Uhr hält Medienethikerin Claudia Paganini einen hybriden Vortrag zu provokanten Überlegungen über den „neuen Gott“, die KI, im Erzbischöflichen Palais in Wien. Die Veranstaltung wird gegen eine kleine Gebühr auch online übertragen.
Anmeldung bis 10. November 2025 hier.