Jeder Augenblick zählt

Im Caritas Socialis Tageshospiz Aumannplatz
Ausgabe Nr. 2
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„Aufatmen“ – die große Leuchtschrift im Eingangsbereich ist das Erste, was einem ins Auge fällt, wenn man Tageshospiz Aumannplatz betritt.
„Aufatmen“ – die große Leuchtschrift im Eingangsbereich ist das Erste, was einem ins Auge fällt, wenn man Tageshospiz Aumannplatz betritt. ©Marie Hallwirth
Der Esstisch in der Küche: Hier hat alles Platz was guttut – plaudern, zuhören, essen, spielen, gemeinsam lachen und auch weinen. Andrea Reithofer (zweite von links) und Anna Schneider (dritte von links) gehören zum Team und sind für die Gäste da.
Der Esstisch in der Küche: Hier hat alles Platz was guttut – plaudern, zuhören, essen, spielen, gemeinsam lachen und auch weinen. Andrea Reithofer (zweite von links) und Anna Schneider (dritte von links) gehören zum Team und sind für die Gäste da. ©Sabina Dirnberger-Meixner
Das Tageshospiz Aumannplatz: Alles ist neu, bunt und einladend und wirkt wie eine ganz normale Wohnung, nicht wie eine Krankenstation.
Das Tageshospiz Aumannplatz: Alles ist neu, bunt und einladend und wirkt wie eine ganz normale Wohnung, nicht wie eine Krankenstation. ©Sabina Dirnberger-Meixner
Matthias Rehrl freut sich:  „Wir haben hier wirklich ein schönes Arbeiten."
Matthias Rehrl freut sich: „Wir haben hier wirklich ein schönes Arbeiten." ©Marie Hallwirth

Ein Hospiz, das nicht nach Abschied riecht, sondern nach Leben: Im Tageshospiz Aumannplatz finden unheilbar kranke Menschen seit kurzem einen Ort, an dem es nicht nur um medizinische Betreuung, sondern vor allem auch um jeden guten Augenblick geht.

„Aufatmen“ – die große Leuchtschrift im Eingangsbereich ist das Erste, was mir ins Auge fällt, als ich das Tageshospiz Aumannplatz an einem sonnigen Dienstagvormittag betrete. Erst im Jänner wurde das Gemeinschaftsprojekt der Ordensgemeinschaften der Caritas Socialis und der Borromäerinnen eröffnet. Alles ist neu, bunt und einladend und wirkt wie eine ganz normale Wohnung, nicht wie eine Krankenstation. Das Auge hat hier einiges zu tun, um alle Details der liebevollen Dekoration zu entdecken. An einer Wand sehe ich vier Bilder in schweren goldenen Holzrahmen, schräg gegenüber drei Vogelfiguren. Im Wohnzimmer der Einrichtung: eine gemütliche Sitzecke mit Ohrensesseln, einem Fernseher und einer Musikanlage. In der Küche steht ein überlanger Tisch mit gelben und beigen Sesseln und ein Küchenblock mit ausladender Arbeitsfläche – wie gemacht, um in großer Runde zu kochen und zu essen. Natürlich gibt es auch wie beim Umgang mit Kranken vorgeschrieben einen Raum mit einer Dusche, einem Krankenbett und einem Bereich, in dem Medikamente aufbewahrt werden können – aber all das fügt sich dezent in das Gesamtkonzept ein. 

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Ein Augenblick im Tageshospiz

Noch ist hier heute alles ruhig. Gäste, wie hier gesagt wird – nicht Patienten, werden erst ein wenig später erwartet. 
Für insgesamt sechs Personen täglich hat das Tageshospiz im 18. Wiener Gemeindebezirk Platz. Voraussetzung für die Aufnahme ist eine unheilbare und lebensverkürzende Erkrankung. Je nach Wunsch können Gäste einen oder auch mehrere Tage die Woche hierherkommen und den Tag verbringen. Umsorgt und begleitet von einem interdisziplinären Team von diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegepersonen, Psychologinnen, Seelsorgerinnen, Physiotherapeuten, Ärztinnen und Ärzten, außerdem einer Musiktherapeutin und einigen engagierten ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Das Team hat dabei nicht nur die Gäste an sich im Blick, sondern steht auch deren Angehörigen und Zugehörigen zur Seite.
 

Was wir hier tun, macht für die Menschen einen Unterschied.

Matthias Rehrl

„Im Hospiz haben wir Zeit“

Matthias Rehrl ist der Teamleiter des Tageshospizes und hier auch als Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger tätig – und das mit großer Leidenschaft und Engagement. Die Hospizarbeit und Palliativmedizin, bei der es um die Betreuung von schwerkranken Menschen geht, für die eine Heilung nicht mehr möglich ist, ist ihm nicht nur ein Herzensanliegen, sondern auch jener Bereich der Medizin, in dem er sich „am wohlsten fühlt“, erzählt er mir. „Ich weiß, dass das nicht für jeden nachvollziehbar ist. Denn meine Arbeit hat mit dem Tod und dem Sterben zu tun. Aber wir haben hier trotzdem ein wirklich schönes Arbeiten.“ Wie er das genau meint, möchte ich wissen. „Was in einem Hospiz gemacht wird, macht für die betroffenen Menschen einen unmittelbaren Unterschied“, sagt er. „Wir lindern Symptome und sorgen ganz allgemein gesprochen oft sehr direkt für ein Wohlgefühl.“ 

Der entscheidende Faktor, dass das gelingt, sei nicht nur das umfassende fachliche Wissen, das alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier mitbringen, sondern auch ein guter Personalschlüssel und damit verbunden die Zeit, die man sich hier für die Gäste nehmen könne. „Im Hospiz haben wir Zeit, beziehungsweise haben sogar den Auftrag unseres Arbeitgebers, uns für die Menschen Zeit zu nehmen und für die Dinge, die sonst in einem medizinischen Alltag keinen oder weniger Platz haben.“ 

Einen Augenblick schenken

Das Tageshospiz schenkt also Zeit in einer Phase des Lebens, in der man genau die eigentlich nicht mehr hat? „Wenn Sie so wollen, ja“, sagt Matthias Rehrl. „Wir versuchen vor allem, die Zeit gut auszufüllen, und das kann Unterschiedlichstes bedeuten: Etwa, dass wir mit unseren Gästen plaudern oder Karten spielen, raus an die Luft auf unsere Terrasse oder in den Garten gehen, gemeinsam essen oder kochen. Dass wir unseren Gästen die Möglichkeit bieten, sich auszuruhen, sich an einen ruhigen Platz zu setzen oder zu legen und etwa Musik zu hören. Wenn möglich, versuchen wir auch kleinere und größere Wünsche zu erfüllen – ein Eis, eine Fuß- oder Handmassage oder ein Ausflug an einen bestimmten Ort. Oder wir schauen, dass wir die nötigen Medikamente zur Verfügung haben, um Symptome zu lindern.“ Alles in allem sollen die Gäste hier vor allem so viele gute Momente erleben wie möglich. 
 

Der Mensch wird gesehen – nicht die Diagnose

„Viele, die zu uns kommen, waren schon lange in Krankenhäusern, haben zahlreiche Therapien hinter sich gebracht, leben einen medizinisch beherrschten Alltag und wünschen sich nichts sehnlicher als einen Platz, an dem sie als Person gesehen werden. Und genau das tun wir hier: Wir nehmen unsere Gäste als Menschen wahr, nicht als Diagnose“, sagt Anna Schneider. Auch sie ist wie Matthias Rehrl im Tageshospiz Aumannplatz als Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin tätig – ein Beruf, den sie aus Überzeugung und ganz offensichtlich mit viel Liebe seit vielen Jahren ausübt. „Bei uns im Tageshospiz gibt es deshalb auch keinen sich immer wiederholenden Alltag. Wichtig ist, was der Mensch, der da vor mir sitzt, gerade jetzt in diesem Moment braucht.“ Um das herauszufinden, brauche es nicht nur die bereits erwähnte Zeit, sondern auch entsprechendes Einfühlungsvermögen, zudem Willen und Hartnäckigkeit. Vor allem, weil es manchmal gar nicht so offensichtlich ist, was gerade das Richtige ist, oder der Gast es selbst nicht benennen kann. „Wir haben jeden Tag in der Früh, bevor unsere Gäste kommen, eine Dienstbesprechung. Da geht es darum, wer heute kommt, welche Krankheit diese Gäste haben und ob es im Hinblick darauf neue Entwicklungen gibt, die wir kennen müssen. Jeder bringt seine Perspektive ein und das Gesamtbild, das dadurch entsteht, ist die Grundlage für den Tag. Wenn die Gäste dann da sind, entscheiden wir mit ihnen im konkreten Moment, aber mit dem Wissen aus der Dienstbesprechung im Hinterkopf, was ihnen guttun könnte.“ Das oberste Ziel aller hier Tätigen sei immer, in den Dialog mit den Gästen zu kommen und auch zu bleiben, sagt Anna Schneider, nur so können sie ihre Aufgaben zur Zufriedenheit aller erfüllen. 
 

Es gilt für mich, das Schweigen auszuhalten, das unweigerlich dort entsteht, wo es keine Antworten gibt.

Schwester Edith Mittendorfer

Gemeinsam sprechen – und schweigen

„Dialog“, das ist auch das große Stichwort für Schwester Edith Mittendorfer. Sie ist Ordensfrau in der Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Karl Borromäus in Wien, mit der gemeinsam die Caritas Socialis das Tageshospiz Aumannplatz betreibt. Sie ist aber auch Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin und arbeitet jetzt im Tageshospiz Aumannplatz. Davor war sie elf Jahre Palliativbeauftragte des Ordens im Sankt Carolusheim. „Ich bin natürlich hier als Krankenschwester für unsere Gäste da. Mein Alltag besteht dabei aus vielen, vielen Gesprächen“, sagt sie. „Oft auch solchen, die geradezu nebenbei passieren, etwa wenn wir bei einem Tee am Küchentisch sitzen.“ Geredet werde dabei „tatsächlich über Gott und die Welt, wie man so schön sagt“, erzählt Schwester Edith. Es gehe darum, wie es dem Gast derzeit gehe, um Gutes in seinem Leben, aber auch um Sorgen und Ängste. Ob sie den Eindruck hat, dass auch Religion und Glaube in der letzten Lebensphase drängendere Themen seien, frage ich Schwester Edith. „Das ist ganz unterschiedlich“, antwortet sie. „Religiöse Gespräche ergeben sich natürlich schon – wo ist Gott in all meinem Leid, warum ich? Das höre ich schon oft. Vielleicht auch deswegen, weil man mich in meinem Habit als Ordensfrau erkennt und damit wahrscheinlich als Ansprechpartnerin für diesen Bereich wahrnimmt.“ Natürlich könne aber auch sie nicht all diese Fragen in einer befriedigenden, annehmbaren Weise für die Gäste beantworten. „Und so seltsam das klingt, dann gilt es für mich, das Schweigen auszuhalten, das unweigerlich dort entsteht, wo es keine Antworten gibt. Oder auch die Tränen.“ 

Unbeschwert, frei und fröhlich

„Es gibt keine Empfindung, die hier keinen Platz hat, die nicht gezeigt werden darf“, erzählt auch Andrea Reithofer, Theologin und ehemalige Religionslehrerin, die hier im Tageshospiz als Seelsorgerin arbeitet. Alles, was die Gäste aussprechen wollen, das dürfen und sollen sie auch aussprechen. Alles, was sie an Gefühlsregungen haben, darf und soll nach draußen. „Dass das möglich ist, wird als sehr kostbar erlebt“, sagt sie. Immer wieder höre sie auch, dass hier Dinge hervorkommen, die bisher noch nicht, manchmal sogar noch nie, hervorgekommen sind. „Das können Erinnerungen sein, aber auch Gedanken über die derzeitige Situation, das Leben, die Angehörigen und Freunde. Meine Erfahrung ist, dass es in dieser Phase des Lebens einen Unterschied machen kann, wenn man das Gefühl hat, dass sozusagen alles am Tisch liegt. Dass ich alles, was mir wichtig ist und was mich im Moment beschäftigt, angesprochen habe, ausgedrückt habe. “

Vieles, selbst die größte Angst, wird dann leichter. Und gerade dieses „alles liegt am Tisch“ öffne auch den Raum für eine ungeahnte und oft auch unerwartete Unbeschwertheit und Freiheit und damit einhergehend tatsächlich auch oft eine große Fröhlichkeit. „Ich weiß, dass das paradox klingt, aber hier im Hospiz wird auch wirklich viel gelacht – etwa wenn wir alle um den Tisch herumsitzen und Rummy spielen“, sagt Andrea Reithofer. Freiheit zu empfinden, gerade in einer so schwierigen Lebenssituation, in der so vieles vorgegeben und die Zeit so begrenzt ist, habe ganz offensichtlich noch einmal eine andere Qualität. 
 

Das Gute im Augenblick

Dass diese „andere Qualität“ auch möglichst gut und bewusst erlebt werden kann, daran haben die Ärztinnen und Ärzte im Tageshospiz einen großen Anteil. Iris Dietl ist eine von ihnen. Zur Palliativmedizin ist sie mehr zufällig gekommen, erzählt sie: „Aber ich hab diesen Bereich der Medizin schnell lieben gelernt und will auf keinen Fall wieder weg.“ Was sie als besondere Stärke eines Hospizes sehe, frage ich. „Das Schöne an dem Job ist, dass wir trotz der prekären Lage, in der unsere Gäste sind, so viel Hoffnung geben können. Sie müssen sich vorstellen: Die Menschen kommen zu uns in einer Situation, in der ihnen gesagt wurde, dass man leider nichts mehr für sie tun kann. Dann sind sie hier und merken mit unserer Hilfe, dass doch noch einiges möglich ist, dass sich ihr Lebensgefühl doch noch verbessern kann – wenn auch nur für den Moment“, sagt Iris Dietl. Und das alles gehe, weil hier einfach alle genau eine Aufgabe haben: Zu schauen, ob die Gäste alles haben, was sie brauchen, um sich so wohl wie irgendwie möglich zu fühlen. Für sie als Ärztin heiße das, darauf zu achten, dass die Symptome, die sich bei egal welcher lebensverkürzenden und unheilbaren Krankheit zeigen, medikamentös gut behandelt werden und dass Therapien wenn notwendig auch geändert oder angepasst werden. „Die Palliativmedizin schaut auf den ganzen Menschen, nicht nur auf einzelne Bereiche. Es geht bei uns nicht um Heilung, aber um eine sinnvolle Therapie. Und am Ende des Tages bleibt: Bei uns ist der Tod präsenter als in einem anderen Alltag und ganz oft geht es bei uns darum, gemeinsam mit unseren Gästen alle Ängste und Sorgen und auch viel Frust über die Situation an sich auszuhalten. Aber genauso geht es um den Augenblick und das Gute im Augenblick. Unsere Gäste – und im besten Fall auch ihre Angehörigen und Zugehörigen – sollen aufatmen können.“ Ganz so, wie es die Leuchtschrift vorne beim Eingang auch sagt.  

Im Gang des Tageshospizes Aumannplatz hängt ein Kreuz mit seiner ganz eigenen Geschichte.
Im Gang des Tageshospizes Aumannplatz hängt ein Kreuz mit seiner ganz eigenen Geschichte. ©Sabina Dirnberger-Meixner
Autor:
  • Portraitfoto von Andrea Harringer
    Andrea Harringer
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