Jeanne-Marie Guyon
Eine ökumenische Bestseller-Autorin
Es lohnt sich, ein paar Gedanken der Mystikerin Jeanne-Marie Guyon mit in den Urlaub zu nehmen. Ein Zitat der Autorin lautet: „Warum lassen wir uns also von überflüssigen Sorgen erdrücken, warum sind wir auf unseren vielen Wegen so erschöpft, ohne doch je zu sagen: Lasst uns ruhen? Gott selbst lädt uns ein, bei ihm auszuruhen von all unserer Unruhe.“
Zu ihren Lebzeiten hatte Jeanne-Marie Bouvier de la Motte, genannt Madame Guyon, eine umfassende geistliche Lehre des inneren Gebets entwickelt. Wer war die aus einer Adelsfamilie stammende Mystikerin?
Zehn Tage im Isolierzimmer mit der Bibel
Bekannt ist: Jeanne-Marie kam 1648 in Montargis, Frankreich, um zwei Monate zu früh auf die Welt. Die Mutter konnte keine Liebe zu dem kränklichen und schwachen Kind entwickeln und zog den später geborenen Bruder vor. Der Vater, besorgt um seine kleine Tochter, übergab die Zweieinhalbjährige den Ursulinen zur Obhut.
Krankheiten und wechselnde Bezugspersonen prägten die Kindheit. Mit zehn erkrankte Jeanne-Marie an den Windpocken. Die Dominikanerinnen, bei denen sie mittlerweile lebte, ließen sie aus Angst vor Ansteckung zehn Tage allein in einem Isolierzimmer, wo sie zur Zerstreuung nur eine Bibel vorfand. Diese las sie Tag und Nacht und das Gelesene prägte sich ihr tief ein.
„Später werden die mystischen Kommentare zur Heiligen Schrift den Hauptteil ihres Werkes ausmachen“, schreibt der deutsche Benediktinerpater Emmanuel Jungclaussen OSB (†) über Guyon.
Suche nach Gott im Inneren
Mit 13 las sie die „Philotea“ des hl. Franz von Sales und die Biografie der Franziska von Chantal, die zu ihrem großen Vorbild wurde. Ihr großer Wunsch, Nonne zu werden, verwirklichte sich nicht.
Mit 16 Jahren musste Jeanne-Marie auf Wunsch der Eltern einen um 22 Jahre älteren Mann heiraten. Die Ehe war wenig glücklich und zwei ihrer insgesamt fünf Kinder starben. „1668 hatte sie eine entscheidende geistliche Begegnung, bei der ihr ein Franziskaner empfahl, Gott in ihrem Inneren zu suchen. Diese Wende war mit dem Beginn eines streng asketischen Lebens verbunden“, berichtet Ulrike Voigt im Buch „Mystikerinnen. Die Kraft spiritueller Frauen“.
Seelenführer halfen der Autorin
1676 starb ihr Mann. Jeanne-Marie Guyon wandte sich nun ganz dem mystischen Glaubensweg zu. Sie entdeckte ihre „Gabe, auf göttliche Weise zu schreiben“ und unternahm zahlreiche Reisen durch Frankreich und Italien. Ihr Seelenführer war, neben dem Barnabitermönch Pater François La Combe, der Erzbischof, Prinzenerzieher und Staatsethiker François Fénelon.
Suchende Stille wurde zu heftigen Streitigkeiten
Ab 1686 ließ sie sich in Paris nieder. Hier geriet Jeanne-Marie, die eigentlich die Stille suchte, in heftige Streitigkeiten und Intrigen ihrer Zeit. „Der mächtige Bischof von Meaux, Jacques Bénigne Bossuet, zog Guyon in den ,Quietismusstreit‘ hinein, indem er 1694 bei einer theologischen Prüfung ihrer Schriften mehr als dreißig ,Irrtümer‘ konstatierte. Der Quietismus, eine rein verinnerlichte Frömmigkeit, hat den Anspruch, dass das geistliche Leben ganz passiv zu sein habe und der eigene Wille ausgelöscht werden soll“, schreibt Ulrike Voigt. Acht Jahre ihres Lebens verbrachte Guyon in der Folge in Haft. Nach Freilassung und Rehabilitation lebte sie bei ihrem Sohn in Blois und führte einen regen Briefwechsel mit ihrer wachsenden Anhängerschaft.
Ihre Bestseller haben Massen beeinflusst
Madame Guyons Bücher wie „Das innere Gebet“ und „Die geistlichen Ströme“ waren Bestseller und verbreiteten sich rasch. Ihre Mystik wirkte in „ökumenischer“ Weise auf weite Kreise des Katholizismus und des Protestantismus, ebenso beeinflusste sie die deutsche Literatur (Matthias Claudius, Karl Philipp Moritz).
Eines ihrer Kern-Zitate lautet:
„Das Innere Gebet ist der Schlüssel zur Vollkommenheit und zum höchsten Glück. Es ist eine wirksame Hilfe, uns von allen Fehlern zu reinigen und mit allen guten Eigenschaften auszustatten; denn der beste Weg, vollkommen zu werden, ist: in der Gegenwart Gottes zu gehen. Er sagt es uns selbst: Geh deinen Weg vor meinem Angesicht und sei vollkommen.“
(Jeanne-Marie Guyon)