Gottesdienstübertragungen als moderne Seelsorge

Kirche im TV
Ausgabe Nr. 22
  • Soziales
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Eine Gottesdienstübertragung im Raum³.
Eine Gottesdienstübertragung im Raum³. ©Erzdiözese Wien/Stephan Schönlaub

Seit den 1950er-Jahren sind Radio- und Fernsehübertragungen von Gottesdiensten ein fester Bestandteil der Medienlandschaft in Österreich. Was als Angebot für kranke und ältere Menschen begann, hat sich zu einem wichtigen Instrument entwickelt, um die Botschaft der Kirche einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

In einer Zeit, in der viele traditionelle Strukturen infrage gestellt werden, schaffen die Fernseh- und Radioübertragungen eine Brücke zwischen den Herausforderungen der modernen Medienwelt und der Bewahrung liturgischer Traditionen.

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Die Anfänge der Gottesdienstübertragungen

Die erste Fernsehübertragung eines Gottesdienstes fand 1959 im Rahmen der Salzburger Festspiele statt. Damals wurde ein klassisches Ordinarium gesendet. Ein halbes Jahr später folgte die Weihnachtsübertragung aus der Bergkirche Eisenstadt. Wie Thomas Bogensberger, ehemaliger ORF-Religionschef, erklärt, war das Ziel dieser ersten Übertragungen, Menschen in entlegenen Regionen und jene, die nicht mehr in die Kirche gehen konnten, einzubinden: „Es war ein Dienst an die Kranken und Alten, der seelsorgerische Unterstützung bot.“

Der Schwerpunkt lag vorerst darauf, Hochfeste wie Weihnachten oder Ostern einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Erst als sich in den 1980er-Jahren eine Kooperation zwischen dem ORF und ZDF etablierte, wurden die Fernsehübertragungen regelmäßiger. Wöchentliche Radioübertragungen existierten schon länger und decken seither jeden Sonntag sowie große Feiertage ab. Diese Kontinuität ermöglicht unter anderem, die liturgische Vielfalt österreichischer Diözesen abzubilden.

Plattform für Gemeinschaft und Inklusion

Laut Umfragen sind die Zuschauer oft Personen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in die Kirche gehen können oder jene, die in entlegenen Gebieten wohnen. Thomas Bogensberger merkt an, dass auch Menschen in Städten die Möglichkeit schätzen, Gottesdienste aus anderen Regionen kennenzulernen: „So können Tiroler sehen, wie in Wien gefeiert wird, oder umgekehrt. Es erweitert den Horizont.“ Dadurch wird das Angebot auch von jüngeren Gläubigen genutzt, die neugierig auf liturgische Vielfalt sind. Aufgrund der Popularität der Übertragungen betont Bogensberger: „Die Bischöfe wären schlecht beraten, die Übertragungen einzustellen. Sie erreichen mehr Menschen als die Sonntagsgottesdienste vor Ort.“

Die Übertragungen fördern nicht nur den Zugang zu Gottesdiensten, sondern auch die Inklusion. So ermöglichen beispielsweise Untertitel, wie sie etwa auf ORF 2 angeboten werden, auch hörgeschädigten Menschen die Teilnahme. „Meine Tante hat die Gottesdienstübertragungen geliebt, weil sie alles mitlesen konnte. Das war für sie ein völlig neues Erlebnis“, berichtet eine Zuschauerin.

Hinter den Kulissen

Eine Fernsehübertragung erfordert intensive Vorbereitungen, die weit über die liturgische Planung hinausgehen. Veronika Hofer-Stein, Regisseurin einer Übertragung in Pressbaum, schildert die komplexen Schritte: „Die direkte Vorbereitung dauert etwa eine Woche. Dazu gehören Begehungen, Besprechungen, das Drehen eines Vorfilms und das Erstellen des Regiebuchs. Jede Kamera wird genau eingeteilt, jede Position ist klar definiert.“ Dabei ist die Herausforderung, die Atmosphäre und Tiefe eines Gottesdienstes einzufangen, ohne liturgische Abläufe zu verfälschen. „Wir übersetzen den Gottesdienst in die Sprache des Mediums“, erklärt Hofer-Stein.

Ein Gottesdienst unterscheidet sich deutlich von anderen Live-Events. „Während beim Fußball die Kamera immer dem Ball folgt, haben wir beim Gottesdienst die Möglichkeit, Bilder gezielt einzusetzen, um Themen zu vertiefen. So wird etwa ein gesprochenes Gebet durch passende visuelle Elemente ergänzt, die die spirituelle Botschaft unterstreichen. Das gibt der Übertragung eine zweite Ebene“, so Hofer-Stein. Besonders schön sei das Feedback der Zuschauer: „Wir bekommen oft zu hören, wie gut es den Menschen tut, den Gottesdienst mitzufeiern, auch wenn sie nicht vor Ort sein können.“

Die Pandemie als Katalysator für Gottesdienstübertragungen

Besonders während des Lockdowns war das Medium unverzichtbar. Gläubige berichteten, dass die Übertragungen für sie wie „Wasser in der Wüste“ waren, ein spiritueller Trost in schwierigen Zeiten. Durch die Corona-Pandemie hat man das Angebot der Übertragungen stark erweitert. Inzwischen sind die Gottesdienstübertragungen nicht mehr nur eine Alternative, sondern eine Ergänzung zum kirchlichen Leben vor Ort.

Martin Sindelar, kirchlicher Referent für Gottesdienstübertragungen, betont: „Vor der Pandemie gab es etwa zwölf Übertragungen pro Jahr. Jetzt gibt es jede Woche eine Möglichkeit, Gottesdienste im Fernsehen oder Radio mitzufeiern.“ Besonders ältere und gesundheitlich eingeschränkte Menschen profitieren davon, aber auch Gläubige, die den Komfort einer Fernsehübertragung schätzen: „Man sitzt bequem zu Hause, hört eine gute Predigt und lernt gleichzeitig andere Kirchenorte kennen.“

Chancen und Herausforderungen

Trotz ihrer Popularität bleiben die Übertragungen nicht unumstritten. Sie müssen visuell ansprechend sein und gleichzeitig der liturgischen Integrität gerecht werden, was manchmal Kompromisse erfordert. So müssen Eucharistiefeiern für das Fernsehen auf 45 Minuten gekürzt werden. „Das erfordert Anpassungen, wie den Verzicht auf längere Lesungen“, erklärt Sindelar. Kritiker argumentieren, dass der Gottesdienst vor Ort nicht vollständig durch ein Fernseherlebnis ersetzt werden kann. Theologen haben sich in der Vergangenheit kritisch geäußert, ob die liturgische Tiefe über ein Medium wie Fernsehen transportiert werden kann.

Die Übertragungen sind jedoch mehr als ein Ersatz für die physische Teilnahme. Sie bieten eine Plattform für Gemeinschaft. Digitale Gebetbücher, Spendenmöglichkeiten und virtuelle Fürbitten fördern die Interaktion. Sindelar erklärt: „Diese Elemente schaffen Resonanzräume, die den Gläubigen das Gefühl geben, Teil einer größeren Gemeinschaft zu sein.“ Dennoch bleibt die Teilnahme vor dem Bildschirm eine andere Erfahrung als die vor Ort. „Die Teilnahme am Bildschirm und die in der Kirche sind grundsätzlich unterschiedlich. Beide haben jedoch ihre ganz persönliche existentielle Qualität und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden“, so Sindelar.

Seelsorge im digitalen Zeitalter

Die Übertragungen von Gottesdiensten haben sich zu einem wertvollen Instrument entwickelt, um die Kirche zu einer inklusiven Gemeinschaft zu machen. Menschen mit körperlichen Einschränkungen, Gläubige in entlegenen Regionen oder solche, die sich spirituell inspirieren lassen möchten, profitieren von diesem Angebot. Gleichzeitig fordert das Medium die Kirche heraus, kreativ und modern zu bleiben, ohne ihre liturgischen Wurzeln zu verlieren. Positive Rückmeldungen der Gläubigen zeigen zudem, dass Gottesdienstübertragungen weit mehr sind als bloße Medienevents – sie sind eine gelebte Form der Seelsorge und Inspiration.

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Autor:
  • Julia Erler
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