Erdig, ehrlich und „endschleunigt“

Hirtenhund
Ausgabe Nr. 44
  • Hirtenhund
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©Der SONNTAG

Der Hirtenhund bellt diese Woche über die Digitalisierung am Friedhof inklusive Chatbot "Frieda" und dem Angebot von digitalen Gräbern.

Ich komm nicht mehr mit. Weil mir alles zu schnell geht. Und weil das, was zu schnell geht, zu viel ist. Allein kirchlich: Erst ein Heiliges Jahr, dann ein scheidender Kardinal, dann ein sterbender Papst, dann ein neuer Papst, dann der Amoklauf von Graz, dann war Sommer. Und kaum hat man den letzten Sommerspritzer gegurgelt, wird in Schönbrunn schon wieder der Christkindlmarkt aufgebaut. 

Da kommt mir Allerheiligen und Allerseelen gerade recht. Zum Runterkommen. Katholisch-morbides Chillout. Schließlich rennt halb Österreich in diesen Tagen auf die Friedhöfe, steht bleich vor Verblichenen und fragt sich insgeheim, was man da eigentlich soll – außer betreten vor sich hinstarren und frösteln. Und man flüstert leis: „Heast, Herr Pompfüneberer, wo is des nächste Beisl?“ Erdig, ehrlich und mit Blick aufs Ende entschleunigt. Also quasi „endschleunigt“. 

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Aber natürlich macht die Digitalisierung auch vor den ewigen Jagdgründen nicht halt. Und so wird man auf der Website des Zentralfriedhofs von einem gut gelaunten Chatbot namens „Frieda“ begrüßt, die mir ein „digitales Grab“ verkaufen möchten. Was bitte ist ein digitales Grab? Eine knuffige Umschreibung für meine ungeschickten Versuche, auf dem Gebiet der Kryptowährungen Fuß und Pfote zu fassen?

Tatsächlich gibt’s heute zwei Gräber für eins, also quasi in Aktion: Denn auf jedes Grab kommt auch ein „digitales Grab“ dazu. Frieda informiert: „Laden Sie Familie, Freunde und Bekannte in diesen geschützten Bereich ein, um mit Ihnen gemeinsam an die Verstorbenen zu erinnern. Lassen Sie eine Grabkerze entzünden oder ein aktuelles Foto Ihrer Grabstelle anfertigen.“

Der italienische Philosoph Giambattista Vico (1668–1744) würde angesichts dessen wohl in seinem analogen Grab rotieren: Schließlich stammt von ihm die Beobachtung, dass die alle Völker verbindende Essenz des Menschen in der Fähigkeit besteht, die Verstorbenen öffentlich und nicht nur privat (oder gar digital) zu betrauern und würdevoll zu bestatten. „Humanitas“ kommt ihm zufolge nämlich vom lateinischen „humare“, beerdigen.

Auf Nachfrage hin schlägt mir Frieda übrigens eine Kompostierung in einem eigenen Areal vor: „Jedes dieser Gräber bietet Platz für acht Urnen mit Menschen- oder Tierasche. Somit entsteht ein vertrauter Verbund. Ziel ist, eine innige Einheit mit dem geliebten Tier zu schaffen.“

Bevor es so weit ist, lädt mich Frieda außerdem noch rasch zu „wienerisch-charmanten Führungen“ zu Allerheiligen über den Friedhof ein. Kaffee und Kuchen in der Konditorei Oberlaa inklusive. Und merke: „Der E-Bus fährt an diesem Tag nicht.“ 

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