„Als die Schola zu singen begann, wurde es still“
Glaubenszeugnis
Das Interview mit dem SONNTAG findet an einem Dienstagmorgen statt, unmittelbar nach einer Heiligen Messe im Stift Klosterneuburg, in der Michał Kucharko an der Orgel spielte.
Morgentliche Musik
Haben Sie an jedem Morgen um neun Uhr schon Ihren ersten Einsatz als Kirchenmusiker hinter sich?
Nein, ich spiele nicht jeden Tag in der Früh in der Messe. Heute habe ich einen Kollegen vertreten. Aber die aktive Arbeit in der Liturgie, etwa in der Messe oder bei einer Vesper, gehört zu meinem Alltag als Kirchenmusiker. Das – und die Vorbereitung fürs Spielen. Als Musiker besteht mein Leben eigentlich hauptsächlich aus Vorbereiten und Proben.
Verkaufe ich Musik?
Wie bereiten Sie sich vor?
Das hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Mein Zugang früher war sehr technisch. Ich habe mich gefragt: ‚Wie spiele ich am besten?‘ Und: ‚Was passiert alles in der Liturgie und was muss ich beachten?‘ Bei einem Gottesdienst muss man als Organist und Chorleiter sehr viel schauen und gut aufpassen. Bis heute ist all das für mich wichtig, irgendwann in meinem Leben gab es allerdings einen Moment, in dem ich mich fragte ‚Wo bin ich eigentlich, wenn ich musiziere?‘ Und: ‚Verkaufe ich Musik?‘
Woher kam Ihnen der Gedanke, Sie würden Musik ‚verkaufen‘?
Ich las die Bibelstelle, in der Jesus die Händler aus dem Tempel vertreibt. Sie verkaufen etwas und kümmern sich nicht um das, worum es im Haus Gottes eigentlich gehen soll. Das hat mich sehr bewegt und mich auf einen tieferen Weg geführt. Seitdem möchte ich nicht nur die Technik perfektionieren, sondern noch viel stärker die Inhalte der Musik durchdringen. Das gebe ich auch jenen mit, mit denen ich arbeite, den Mitgliedern meiner Chöre oder den Priesterseminaristen, die ich in Sachen Kirchenmusik schule.
Die Vermittlung von Musik
Was genau möchten Sie Ihnen vermitteln? Können Sie das an einem Beispiel veranschaulichen?
Nehmen wir das ‚Kyrie eleison‘: Ich spreche zuerst darüber, was diese Worte übersetzt heißen: ‚Herr, erbarme dich unser‘. Ich erkläre, dass allein das Wort ‚Herr‘ ein Bekenntnis ist. Zu sagen, ‚Du bist der Herr‘ – darin liegt eine unglaubliche Stärke. Viele der Komponisten, die das ‚Kyrie eleison‘ vertont haben, legen mit ihrer Musik dieses Bekenntnis ab. Und dann das ‚Erbarme dich unser‘: Bei diesen Worten geht es um eine persönliche Begegnung, wie jene eines Kindes mit seinem Papa, dem es sagt: ‚Papa, es tut mir leid!‘. Das ist eine sehr intime Musik. Musikalisch kann sich die Bedeutung etwa durch ein Crescendo verstärken. (Michał Kucharko singt ‚Kyrie eleison‘.) – Das ist Musik, die die große Chance bietet, in den Menschen etwas anzurühren.
Wenn Musik die Menschen berührt
Wie spüren Sie, wenn die Musik die Menschen berührt?
Ich erinnere mich etwa an die Seelenmesse des großen Hans Haselböck (Anmerkung: österreichischer Organist und Komponist) im Stephansdom während der Coronapandemie. Hinten im Dom herrschte reges Treiben, die Menschen kamen zur Impfstraße rein und gingen wieder raus. Die Familie des Verstorbenen hatte sich eine Frauen-Choralschola gewünscht. Als diese zu singen begann, war es, als hätte jemand einen Knopf gedrückt: Eine unglaubliche Stille breitete sich im Dom aus. Nichts rührte sich. Für mich war das unglaublich bewegend.
Sie leiten in der polnischen Gemeinde zusammen mit Ihrer Frau einen Kinder- und einen Jugendchor. Was für Stücke singen Sie?
Wir singen große Literatur, auch auf Latein. Wir singen aber auch Kinderlieder und polnische Volkslieder, um Kultur und Sprache zu vermitteln, auch viele Lobpreislieder.
Was halten Sie von modernem Lobpreis?
Diese neuen Lieder berühren mich einfach, bringen mein Herz nah zum Vater, zu Jesus, und das sowohl in der Liturgie aber auch unterwegs oder zu Hause. Dank dieser Lieder spreche ich viel mehr den Heiligen Geist an. Ich merke auch, dass moderne Lobpreislieder großen Anklang bei vielen Menschen finden, denen ich in meinem musikalischen Alltag begegne.
Michał Kucharko
Alter: 53
Lebensmotto: Beim Lesen der Bibel ergibt sich für mich jeden Tag ein neues Motto.
Gott ist für mich: Freund.
Der Sonntag bedeutet für mich: Feier.