Faber und Spera: Judentum & Christentum bereichern

Die Rolle der Religion
Ausgabe Nr. 47
  • Theologie
Autor:
Toni Faber & Danielle Spera: Wie Judentum und Christentum verbunden sind. ©Amalthea Verlag
Zu Gast bei radio klassik Stephansdom. ©Markus Langer

Danielle Spera und Toni Faber über das Judentum und Christentum. Erkunden Sie gemeinsame Wurzeln und fördern Sie interreligiösen Dialog. Ein Muss für Friedensförderung und religiöse Toleranz

Danielle Spera, langjährige Direktorin des Jüdischen Museums Wien, und Dompfarrer Toni Faber beschäftigen sich seit vielen Jahren mit dem Thema Judentum und Christentum und auch damit, wie eng beide als Geschwister miteinander verbunden sind. Daraus ist das Buch  „Wie ein jüngerer Bruder. Ein Gespräch über Judentum und Christentum“ entstanden. Im SONNTAG-Gespräch erläutern Spera und Faber oft Unbedachtes in der Beziehung zwischen Judentum und Christentum

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Wie kamen Sie auf die Idee, gemeinsam mit Dompfarrer Toni Faber ein Buch über das Verhältnis zwischen Judentum und Christentum zu schreiben – ein Buch mit ungeahnter Aktualität?

DANIELLE SPERA: Die aktuelle Situation im Nahen Osten ist fatal und lässt uns fast sprachlos zurück, es fehlen uns wirklich die Worte. Wir wollen mit unserem Buch einen Dialog anregen und wir wollen vor allem auch Wissen über beide Religionen bieten. Denn wir werden immer wieder mit der Frage konfrontiert: Wie sind diese Religionen entstanden und was hat eigentlich das Christentum mit dem Judentum zu tun? Ich bin auch Herausgeberin der jüdischen Zeitschrift „NU“. Vor einiger Zeit hatten wir das Thema: „Das Judentum und andere Religionen“, da durfte ich ein Interview mit Dompfarrer Toni Faber führen. Viele Menschen haben dann gemeint, dass dieses Thema eigentlich noch breiter diskutiert gehört, damit sich dieses Wissen auch verfestigt. Nun liegt das Buch vor und ich glaube, wir haben damit einen guten Denkanstoß und auch viele Impulse geliefert.

Herr Dompfarrer, Sie haben viel über das Judentum gelernt, als Sie drei Monate auf „Bibelschule“ in Israel waren. Nun gibt es seit einiger Zeit wieder einen erstarkten Antisemitismus: Was haben Sie seither dazugelernt?

TONI FABER: Als Jugendlicher und während des Studiums habe ich das Thema Antisemitismus nur historisch abgehandelt, nach dem Motto: Das war einmal und beschäftigt uns nicht mehr. Denn die Bitte um Vergebung ist ausgesprochen und damit als Thema erledigt. In den drei Monaten Bibelschule in Israel hat uns Professor Wolfgang Feneberg damals all jene Stellen des Neuen Testaments vor Augen geführt, die missverständlich sein können oder antisemitisch gedeutet worden sind. Um da klar zu sehen: Unsere Verbindung mit dem Judentum ist vergleichbar wie zu unseren älteren Brüdern und Schwestern, wir sind einfach in derselben Familie. Es geht nicht um eine Ablöse-Theorie, die immer wieder herumgeistert: Das war damals der erste Bund und dann hat Gott sozusagen einen zweiten Bund geschlossen. Um diesen Irrtum aufzuklären, haben wir uns damals bei der „Bibelschule“ bemüht, auch zu den jüdischen Gemeinden Kontakte zu schaffen und in die Synagogen zu gehen, um Gottesdienste mitzufeiern. Da habe ich gelernt: Nein, wir gehören zu einem Stamm, wir sind aufgepfropft, wie Paulus sagt, und dies nicht im Sinne einer Ablöse-Theorie, wonach jetzt etwas ganz Neues kommt. Jesus und seine Jünger wie auch die ersten Gemeindemitglieder waren Juden.

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ – das steht schon im Buch Levitikus.

Danielle Spera

Wie konnte es dazu kommen, dass das Verhältnis zwischen Judentum und Christentum oft keine Heils-, sondern eine Unheilsgeschichte war?

TONI FABER: Ein Irrtum existiert oft in christlichen Köpfen: Da kam zuerst das Judentum, aber nicht mit der Nächstenliebe und mit der großartigen Liebesreligion, sondern eher von Rache gezeichnet. Und dann kam mit dem Christentum die eigentliche Liebesreligion. Aber Gottesliebe, Nächstenliebe und Selbstliebe sind nicht genuin jesuanisch neu, sondern eine Zusammenfassung dessen, was in diesem ersten Bund Gottes mit seinem auserwählten Volk grundgelegt ist. Das war für mich eine große Lernphase, die sich nach dem Studium hier in Wien fortgesetzt hat. Ich habe im Stadttempel immer wieder auch Gottesdienste besucht und von jüdischen Ansprechpartnern viel erfahren und dazugelernt. Was in der Geschichte Wiens passiert ist, ist eine Katastrophe, nicht nur begrenzt auf die Shoa, auf die Gräuel des Nationalsozialismus. Sondern es fußt auf einer jahrhundertealten bösen Tradition, die immer wieder dazu beigetragen hat, dass Pogrome gegen Juden stattgefunden haben und dass wir hier nicht nur eine Heilsgeschichte haben, sondern aus diesen schrecklichen Fehlern der Geschichte lernen müssen. Dass wir uns als Christen Asche aufs Haupt streuen müssen und sagen: Wie konnte es dazu kommen und wie können wir heute einen Beitrag dazu leisten, dass es nie wieder dazu kommt. Wir müssen daher diesen Dialog zwischen Judentum und Christentum neu einüben, die drei abrahamitischen Religionen müssen hier neu das Gespräch suchen. Was kann aufgrund unserer religiösen Grundüberzeugungen dem Frieden in der Gesellschaft dienen?

DANIELLE SPERA: Da möchte ich kurz einhaken. Man hat immer wieder das Christentum als Religion der Nächstenliebe gedeutet, im sogenannten Alten Testament, in der Torah, komme hingegen Gott als schrecklicher, zorniger und ungerechter Gott vor. Das stimmt so nicht und das wollen wir im Buch auch zeigen. Die Aufforderung zur Nächstenliebe, „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, steht schon im Alten Testament, in der Torah, im Buch Levitikus (19,18). Das zu betonen ist ganz wichtig, weil die meisten Menschen das nicht wissen und denken, dass die Nächstenliebe von Jesus kommt und es sie vorher nicht gab. Das stimmt einfach nicht.

Wenn Sie das Judentum in wenigen Sätzen einer Christin oder einem Christen erklären müssten, wie lauten diese Sätze?

DANIELLE SPERA: Das Judentum ist eine freudige, eine lebensbejahende Religion. Wir haben dieses Leben geschenkt bekommen, dieses eine Leben. Und ich glaube, es ist unser Auftrag, das Beste daraus zu machen. Ich denke, das ist das Judentum, ganz kurz gefasst.

Herr Dompfarrer, wenn Sie das Christentum in wenigen Sätzen einer Jüdin oder einem Juden erklären müssten? Wie würden diese Sätze lauten?

TONI FABER: Ich glaube daran, dass die Verheißungen, die dem Volk Gottes in ihrer Vielgestaltigkeit gemacht worden sind, wie ich sie im ersten Bund der Heiligen Schrift sehe, für uns Christen in Jesus Christus Wirklichkeit geworden sind, aber immer unter der Bedingung des „Schon“ und „Noch nicht“. Vieles von dem, was erhofft und erbeten worden ist, ist in Jesus Christus Wirklichkeit geworden. Dass wir zu diesem Volk Gottes gehören, das verbindet uns. Das heißt, wir achten all das, was uns jüdisch mitgegeben worden ist. In der innerjüdischen Auseinandersetzung um den Messias bekennen wir Christen uns zu Jesus Christus als Messias. Ich muss aber gleichzeitig akzeptieren, dass viele das nicht mitmachen können. Aber dennoch: Das, was uns an Nächstenliebe, an Gottesliebe verbindet, das ist viel, viel größer als das, was uns trennt.

„Die Weltzugewandtheit, die habe ich vom Judentum gelernt.“

Toni Faber

Was kann das Judentum vom Christentum lernen?

DANIELLE SPERA: Die Selbstverantwortung ist im Judentum wichtig, wir haben keine Beichte im klassischen Sinn. Wir haben den Jom Kippur, den Versöhnungstag, wo wir uns mit unseren Mitmenschen versöhnen, wo wir aber auch mit Gott reflektieren, wie das letzte Jahr verlaufen ist, was wir in unserem Leben verbessern sollen. Es ist immer diese offene Entscheidung: Welchen Weg gehen wir? Gehen wir den richtigen oder den falschen? Da liegt unsere Selbstverantwortung. Es gibt natürlich immer die Verführung zum falschen Weg. Die Beichte ist da vielleicht ein ganz gutes Tool, um mit jemand anderem zu reflektieren, das ist ein bisschen wie eine psychotherapeutische Sitzung. Die Beichte wird ja heute, das habe ich gelernt, dank der wunderbaren Gespräche mit Toni Faber, ganz anders vollzogen als noch vor 20, 30 Jahren: nämlich als offenes Gespräch und nicht unbedingt in einem engen, dunklen Beichtstuhl. Und das sind schon Dinge, die vielleicht ein ganz gutes Tool sind, ein ganz gutes Werkzeug. Wir haben im Judentum Rabbiner oder auch Rabbinerinnen, mit denen wir auch Dinge besprechen, die unser Leben beeinflussen. Kurz gesagt: Judentum und Christentum gingen ganz andere Wege. Wege, die zusammengehören, die gemeinsam begonnen haben, die sehr oft getrennt waren, die aber glücklicherweise wieder zusammengefunden haben.

Herr Dompfarrer, was kann das Christentum vom Judentum lernen?

TONI FABER: Ich habe als Christ von der jüdischen Tradition gelernt, dass wir jeden Vorgang des normalen Lebens auch mit Gott in Verbindung bringen können, da es für fast alles eine Segensformel gibt. Wenn ich dafür bekannt bin, immer wieder zu Segnungen eingeladen zu werden, dann habe ich aus der jüdischen Tradition geschöpft, dass ich immer einen Segensspruch teilen, Gott, den Großen und den Barmherzigen, loben kann – nämlich dafür, dass er mich in dieses Leben hineingestellt hat. Diese Welt-Zugewandtheit, diese Geschenkhaftigkeit jedes Vorgangs in diesem Leben – das habe ich ganz besonders vom Judentum gelernt.

Autor:
  • Stefan Kronthaler
  • Stefan Hauser
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