Spaltet die US-Wahl die Christen?

Interview
Ausgabe Nr. 44
  • Soziales
Autor:
Dr. Klaus Stüwe ist Politikwissenschaftler und Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Politikwissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.
Dr. Klaus Stüwe ist Politikwissenschaftler und Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Politikwissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. ©upd
Die US-Wahl treibt einen Riss durch die amerikanische Bevölkerung.
Die US-Wahl treibt einen Riss durch die amerikanische Bevölkerung. ©pixabay

Am 5. November 2024 wählen die Bürger der USA einen neuen Präsidenten oder ihre erste Präsidentin. Die Religion und religiöse Themen schienen bei der US-Wahl eine besondere Rolle gespielt zu haben. Der SONNTAG hat Politikwissenschaftler Klaus Stüwe zu der Rolle der Religion in der Politik und dem US-Präsidentschaftswahlkampf befragt.

Religion und Politik liegen in den USA traditionell nah nebeneinander, auch wenn die Gründerväter eine klare Trennung von Kirche und Staat vorgesehen hatten. Politikwissenschaftler Klaus Stüwe erzählt über die Rolle des Christentums bei der US-Wahl 2024. 

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Die Rolle der Religion bei der US-Wahl

Im Jahr 2016 haben Sie meinem Kollegen Markus Langer ein Interview gegeben. Da haben Sie damals auf die Frage der Rolle der Religion in der Gesellschaft in den USA gesagt, die Vereinigten Staaten sind nach wie vor ein sehr religiöses Land. Wie würden Sie das heute einschätzen?

Klaus Stüwe: Die USA sind immer noch ein religiöses Land, auch wenn man beobachten kann, dass die Säkularisierung inzwischen auch in den USA vorangeschritten ist. Auch, wenn man heute fragt, wer noch an Gott glaubt oder wer auch religiös gebunden ist, dann sind die Zahlen etwas niedriger sicher als 2016, aber immer noch deutlich höher als in etwa europäischen Ländern.

Der Einfluss der Religion auf die Wahlentscheidung ist nach wie vor bei bestimmten Wählergruppen hoch.

Das heißt, Sie denken, dass der Einfluss der Religion trotzdem abgenommen hat in den USA seit 2016?

Die Religiosität hat insgesamt abgenommen. Der Einfluss der Religion auf die Wahlentscheidung ist nach wie vor bei bestimmten Wählergruppen hoch. So müsste man es vielleicht genauer formulieren.

Trennung von Kirche und Staat

Aus der amerikanischen Verfassung lässt sich eine Trennung von Kirche und Staat ablesen. Dennoch war historisch die Religion in den USA immer ein politisches Thema. Warum ist das so?

Das ist schwer zu erklären. Das ist fast ein Paradox. Tatsächlich war er in der Gründungsphase. In der Gründungsphase der USA die Religion nicht bedeutend. Die Gründerväter der USA waren, was die Religiosität anbelangt, eher skeptisch. Und deswegen waren sie es ja auch, die die strikte Trennung von Staat und Kirche in die Verfassung hineingeschrieben haben. Aber dann kamen im 19. Jahrhundert eine Reihe von religiösen Erweckungsbewegungen, die das ganze Land erfasst haben. Und mit diesen Erweckungsbewegungen ist auch die Religion in den USA. Und die Religiosität, der Glaube an Gott und auch die Bindung an bestimmte Konfessionen stark angestiegen. Es blieb viele Jahrzehnte lang so. Erst so in den 1970er, 80er Jahren beginnt dann die Religion etwas an Bedeutung zu verlieren. Aber wie vorhin schon gesagt, es ist immer noch stärker als in anderen Ländern. Die Ursachen dafür sind einfach in der Geschichte der USA selbst zu sehen, in verschiedenen Einwanderungsbewegungen, in diesen religiösen Erweckungsbewegungen. Und deswegen eine sehr komplexe Situation, die vielleicht auch tatsächlich einmalig ist, weil das in anderen Ländern so nicht der Fall war.

Wie wichtig waren religiöse Themen generell im US-Präsidentschaftswahlkampf 2024 bis jetzt?

Ja, das hat schon eine ziemlich große Bedeutung, auch im Vergleich wiederum mit anderen Ländern. Trump hat es geschafft, obwohl seine persönliche Lebensführung ja durchaus auch fragwürdig ist aus religiöser Sicht, sich zum faktischen Anführer zu verhalten. Und das ist auch ein sehr wichtiger Punkt, weil er sich auch als Anführer der weißen evangelikalen Christen so machen. Die haben ihn 2016 und dann auch nochmal 2020 zu 80 Prozent unterstützt. Warum? Weil er in bestimmten Fragen deren Positionen ganz lautstark vertritt. Zum Beispiel im Hinblick auf die Ehe von Gleichgeschlechtlichen, die er ablehnt und die eben auch etwa von den Evangelikalen abgelehnt wird. Oder die Frage der sexuellen Orientierung. Trump vertritt ganz stark die Auffassung, dass das Geschlecht festgelegt wird mit der Geburt. Damit ist er eins zu eins auf der Linie der evangelikalen Christen. Auch bei der Frage der Abtreibung, deren Zugang er ablehnt, deckt er sich wiederum mit Positionen weißer evangelikaler Christen. Mit anderen Worten, in einigen Positionen, die von weißen evangelikalen Christen vertreten werden, deckt er sich zu im Prinzip 100 Prozent mit deren Positionen. Und wird damit faktisch zu einem Verfechter religiöser Rechte, auch wenn er in seiner persönlichen Lebensführung das eigentlich überhaupt nicht bestätigen konnte.

Trump, Religion und die US-Wahl

Trotz seines unchristlichen Lebenswandels wählen viele Christen ihn aufgrund seiner Themen?

Und es gibt tatsächlich auch ein paar soziologische Untersuchungen, die nahelegen, dass er mit seinen vielen Eheschließungen und mit auch den Missbrauchsskandalen, die er hatte, und den Betrügereien seiner Ehefrau gegenüber, auch ein bisschen das ausdrückt, was er in seinem Leben gemacht hat. Was die Sündhaftigkeit des Menschen anbelangt. Also der ist halt einfach ein Mensch. Das könnte man aus religiöser Hinsicht als Fehlerhaftigkeit ansehen. Man verzeiht ihm das. Er ist einfach halt anfällig für Fehler, wie alle Menschen auch. Aber er steht für die richtige Sache. Und wenn man das so sieht, dann kann man diese Ambivalenz irgendwie überbrücken.

Ist das Thema Abtreibung eines der wichtigsten für evangelikale und katholische Christen in den USA?

Es ist ein sehr wichtiges Thema. Und mit der Kandidatur von Kamala Harris wurde es noch wichtiger. Denn wir können ja gerade beobachten, dass Vizepräsidentin Harris das Thema Zugang zur Abtreibung auch ganz stark in ihrer eigenen Kampagne priorisiert. Das wird diesem Thema noch mal mehr Geltung beim Wahlkampf insgesamt verleihen. Da habe ich keine Zweifel dran. Und tatsächlich auch anders als in vielen europäischen Ländern, ist das Abtreibungsthema ein aktuelles Thema. Das ist ein aktuelles Wahlkampfthema in den USA geworden. Nicht zuletzt seitdem im Jahr 2022 der US Supreme Court eine uralte Rechtsprechung aus den 1970er Jahren mit dem Titel Roe v. Wade im Prinzip konterkariert hat und es jetzt zur Sache der Einzelstaaten gemacht hat, wie sie den Zugang zur Abtreibung regeln. Ursprünglich war das mal auf Bundesebene geregelt, dass alle Frauen Zugang und das Recht auf Abtreibung haben. Das gilt seit 2022 nicht mehr. Jetzt müssen das die Einzelstaaten regeln. Und natürlich müssen sich US-Präsidenten dazu positionieren. Und die Position Trumps ist klar. Er lehnt das weiterhin ab. Zugang zur Abtreibung ist für ihn eine Sache, die allenfalls auf Einzelstaatenebene geregelt werden soll. Aber eigentlich lehnt er es sowieso ab. Und Kamala Harris genau das Gegenteil. Sie ist für eine bundesweite Lösung. Hat auch schon angekündigt, wenn sie Präsidentin werden würde, dass sie bundesweit wieder das Recht auf Zugang zur Abtreibung einführen würde. Im Rahmen eines Gesetzes. Und sie macht es eben, wie gesagt, zu einem ihrer wichtigsten Wahlkampfthemen. Das entfremdet sie, davon kann man ausgehen, sicherlich von einem großen Teil, gerade auch der konservativen katholischen Wählerschaft.

Kamala Harris und die christliche Wählerschaft

Gibt es Themen, mit denen Kamala Harris Christen anspricht?

Es ist nicht in ihrem politischen Kalkül besonders stark christliche Werte anzusprechen. Denn wenn man die Wählerschaft vergleicht von Trump und Harris, dann ist eindeutig für Trump bei den christlich gebundenen Wählerschichten viel mehr zu holen, die unterstützen ihn viel stärker und deswegen ist es natürlich aus seiner Sicht auch klug, in deren Richtung hinzuargumentieren. Bei Biden, aber auch jetzt bei Harris, ist es tatsächlich so, dass die meisten Anhänger die Religion eher als zweitrangig ansehen. Sie sehen keinen Anlass etwa dafür, dass der Staatreligiöse Werte verficht oder dass der Staat auch moralische Positionen vertritt, die von kirchlicher Seite unterstützt werden und deswegen ist es für Harris gar nicht so wichtig, jetzt im Hinblick auf katholische Wählerschaft oder christliche Wählerschaft stark zu argumentieren, weil sie genau weiß, in diesem Lager ist nicht viel zu holen.

Das ist jetzt noch nicht eine Verschränkung von Staat und Kirche, aber eine Verschränkung von Politik und Religion.

Bei Trump-Unterstützern ist das ganz anders. 69 Prozent der Trump-Unterstützer wollen laut einer Studie des Pew Research Institute, dass die Bibel eine größere Rolle in der US-Gesetzgebung haben soll. Droht ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Kirche und Staat mit einem US-Präsidenten Trump?

Das ist eine schwierige Frage. Sie haben recht mit ihren Zitaten von dieser berühmten Pew Research Studie, die schon seit einiger Zeit auch im Internet zu finden ist. Es ist eindeutig zu spüren, dass die religiösen Werte vieler Wählerinnen und Wähler von Donald Trump auch auf deren politische Urteile und auf deren politischen Positionen durchschlagen. Und die vertritt Trump nun mal ganz stark. Und selbstverständlich kann man davon ausgehen, wenn er seine Agenda so durchsetzt, wie er sie angekündigt hat, schon im vergangenen Jahr mit seiner Ankündigung, dass er wieder Präsidentschaftskandidat werden würde, dass dann im einen oder anderen Fall diese, ich sag mal religiös hinterlegten Positionen, dann auch politisch umgesetzt werden in Form von Gesetzen. Das heißt aber noch nicht unbedingt, dass die Trennung von Staat und Kirche damit aufgehoben wird. Denn das ist ja eine dieser Paradoxien, eine dieser Paradoxien, die wir in der Politik haben. Das ist eine der Paradoxien, die wir in den USA beobachten können. Es gibt zwar verfassungsrechtlich gesehen eine starke Trennung von Staat und Kirche, also von diesen Organisationsformen Staat und Kirche. Aber es gibt fließende Übergänge zwischen der religiösen Haltung vieler Menschen und der Politik, wie sie tatsächlich betrieben wird. Das ist jetzt noch nicht eine Verschränkung von Staat und Kirche, aber eine Verschränkung von Politik und Religion.

US-Wahl als Richtungsweiser

Eine weitere Befürchtung, die viele Leute haben, ist, dass vor wenigen Wochen der oberste Gerichtshof die Immunität des künftigen Präsidenten erheblich erweitert hat. Wie schätzen Sie das an, dass da jetzt der Präsident größere Immunität genießt?

Zum einen ist Trump alles zuzutrauen. Wir haben ja erlebt, nach der verlorenen letzten Wahl, wie er mit dem Wahlergebnis umgegangen ist, dass er bis heute nichts anerkennt. Wir haben den Sturm aufs Kapitol erlebt und ich lege meine Hand nicht ins Feuer, falls er die Wahl noch mal verlieren sollte, dass danach wieder irgendwas passiert, was in diese Richtung geht. Aber ich möchte ein bisschen zurückgehen. Ich möchte zurückhaltend sein bei diesem Thema Immunität als Präsident. Amtsinhaber, also Inhaber von hohen politischen Ämtern, haben für ihre Akte, die sie in diesen Ämtern vollziehen, in der Regel Immunität. Das ist nichts Besonderes. Das gilt für den österreichischen Bundeskanzler und den deutschen und den österreichischen Bundespräsidenten und den Deutschen genauso. Da würde ich jetzt nicht, würde ich mal sagen, also, ich würde sagen, dass das nicht so ist. Lassen wir mal die Kirche im Dorf. Es ist selbstverständlich in verfassungsrechtlicher Praxis, dass die Inhaber höchster Ämter für die Akte, die sie beim Vollzug ihrer politischen Ämter leisten, auch Immunität genießen. Das heißt nicht natürlich, dass sie für persönliche Handlungen Immunität haben. Wenn sie während ihrer Amtszeit irgendwelche Dinge vollbringen, die gegen die Verfassung sind oder die auch strafrechtlich relevant sind - selbstverständlich sind sie dafür nicht immun. Das Entscheidende ist jetzt, wo ist die Grenze? Und genau das, glaube ich, ist die Herausforderung, die für die USA gilt, die aber auch für andere Staaten gilt, vielleicht für die USA ganz besonders, wenn wir es mit einem potenziellen künftigen Präsidenten Trump zu tun haben, weil man da genau hinschauen muss, tut er das jetzt als Präsident und ist dafür immun oder tut er das als Wahlkämpfer, als Politiker, als Privatmann, als Unternehmer, diese Trennlinie zu finden und klar zu definieren, das ist die wahre Herausforderung. Es ist nicht so sehr die Herausforderung, dass ein Präsident für seine politischen Akte immun ist, das ist für mich als Politikwissenschaftler eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Nach dem Attentat auf Trump, ging das Bild von dem verletzten Präsidenten mit der erhobenen Faust um die Welt. Hat dieses Bild eine nachhaltige Wirkung auf die Wähler gehabt oder ist es im Laufe des Wahlkampfes verblasst?

Ich habe im ersten Moment gesagt, als wir das erleben mussten, das ist ein ikonischer Moment, so schlimm das ist, aber Trump hat instinktiv eigentlich aus seiner Sicht heraus richtig reagiert, indem er dreimal „Fight, Fight, Fight“ gesagt hat, die Faust ballt und dann Blut verschmiert. Die Hand nach oben reckt. Das Bild oder die Bilder, die da entstanden sind, die haben natürlich Ewigkeitscharakter. So schlimm die Situation war und so gefährlich sie im Augenblick für ihn war, so positiv hat sich dann die Situation erwiesen natürlich als Argument auch für den weiteren Wahlkampf. Ich habe damals gesagt, jetzt hat Biden endgültig verloren. Biden ist nicht mehr der Kandidat. Die Karten sind neu gemischt. Kamala Harris macht ein neues Kapitel auf. Sie kommt mit neuen Themen, mit einem frischen Gesicht, mit einer anderen Agenda. Jetzt werden wir beobachten können, dass dieses Attentat und dieses ikonische Bild so nach und nach ein bisschen in den Hintergrund rücken. Wir erleben, auch zum großen Ärger für Donald Trump, dass sich sehr viel Aufmerksamkeit auf Kamala Harris und ihre Kandidatur konzentriert. Sie beherrscht plötzlich die Nachrichten und die Medienlandschaft. Das ist äußerst ärgerlich für Donald Trump. Aber eins ist klar, wenn Biden Kandidat geblieben wäre, dann hätte er die Wahl verloren. Und dieses Bild wäre in die Geschichtsbücher eingegangen. Ich würde davon ausgehen, wenn Trump jetzt verliert, dann wird das Bild nicht mehr so große Bedeutung haben. Wenn er gewinnt, dann wird es sicherlich auch als ein Moment in der spätesten Geschichtsschreibung angesehen werden, in dem Trump als Kandidat noch mal stärker an Bedeutung gewonnen hat. Die Demokraten haben auf jeden Fall jetzt aber mehr Chancen.

Karten neu gemischt: US-Wahl mit Kamala Harris als Kandidatin

Die ganze Wahlkampfkampagne Trumps scheint auf Biden zugeschnitten gewesen zu sein. Hat er es jetzt schwerer gegen Kamala Harris?

Er hat weniger Angriffspunkte, wie man jetzt sieht. Plötzlich ist er der Alte. Der Vorwurf, dass Biden senil ist und so weiter und mental nicht mehr ganz auf den Punkt kommt – das hat sich jetzt umgedreht. Es ist eine große Herausforderung für die Kampagnenführung von Trump selber, weil er jetzt kurzfristig umschwenken muss, mit einer neuen Gegnerin sich auseinandersetzen muss. Er strickt schon an einem neuen Narrativ. Gestern hat er eine lange Pressekonferenz in seiner Residenz in Mar-a-Lago gegeben, wo dieses Narrativ schon erkennbar wird. Nämlich, dass es eigentlich verfassungswidrig ist, in einer laufenden Präsidentschaftskandidatur den Kandidaten zu wechseln - Also von Biden auf Kamala Harris auf Seiten der Demokraten. Das ist falsch. Die Verfassung sagt nichts über Kandidatenaufstellung und erst recht nichts über politische Parteien aus. Das Wort Partei gibt es gar nicht in der US-Verfassung. Das ist wieder so eine Lüge, die von Trump da gestrickt wird. Es könnte der Beginn eines Narrativs sein. Kamala Harris hat aufgeholt. Es ist nicht mehr die Situation wie vor vier, fünf Wochen, als Biden so deutlich in der Defensive war nach diesem katastrophalen Auftritt bei dem Fernsehduell. Jetzt wird es enger, gerade in den Swing States wird es enger. Und in einigen Umfragen führt Kamala Harris tatsächlich schon, was vor drei, vier Wochen noch ganz anders ausgesehen hatte. Sollte Trump jetzt verlieren, dann strickt er jetzt schon an einem Narrativ, dass es ja eigentlich verfassungswidrig sei, dass er sich jetzt mit Kamala Harris als neuer Gegnerin auseinandersetzen müsse. Wie gesagt, völlig falsch. Die Verfassung sagt überhaupt nichts darüber aus. Aber es ist schon ein erstes Indiz dafür, dass Trump an einer Legende strickt, wie er das 2020 auch schon gemacht hat.

Er könnte die Wahl anfechten wollen?

2016 hat Trump auch relativ frühzeitig im Wahlkampf gesagt, „it's a flawed election“. Da ist Betrug im Spiel. Dann musste er nachher, als er verloren hatte, nur noch daran anknüpfen. Vielleicht macht er das jetzt auch wieder.

Die Bedeutung von "Running Mates"

Kamala Harris hat als Running Mate, jetzt Tim Walz. Trump hat jetzt im republikanischen Team sind zwei alte weiße Männer. Kamala Harris hat damit die Möglichkeit, auch Frauen und jüngere Wähler anzusprechen. Ist das ein Vorteil für die Demokraten?

Ja, so kann man es sehen. Beide decken gewisse interessante Wählerschichten ab. Tim Walz eher die mittelständischen Weißen, die in den Staaten des Mittleren Westens wohnen und so weiter. Die Bodenständigen, die international gerade gedient haben. Während Kamala Harris eben Frauen, Migranten und so weiter anspricht. Aber ich würde auch warnen, die Bedeutung von Vizepräsidentschaftskandidaten zu überschätzen. Am Ende gewinnen die Präsidenten die Wahl. Die Präsidentschaftskandidaten, die sind es, auf die sie ankommen. Wir haben ja erlebt, dass Kamala Harris selbst als Vizepräsidentin kaum in Erscheinung gezogen ist. Das muss man Biden auch ankreiden, dass er ihr kaum Raum für eigene Entfaltung als Politikerpersönlichkeit gelassen hat während seiner Zeit als Präsidentschaft. Und deswegen kann man auch in den vergangenen Jahrzehnten bei den Präsidentschaftswahlen eigentlich selten nachweisen, dass ein Running Mate, ein Vizepräsidentschaftskandidat entscheidend zum Wahlsieg eines Präsidentschaftskandidaten beigetragen hat. Sympathien sind sicherlich möglich für Tim Walz bei bestimmten Wählerschichten. Aber ob das am Ende des Tages tatsächlich auch wahlentscheidend sein wird, da wäre ich eher vorsichtig. Das Gleiche gilt auch für J.D. Vance. Trump ist der Kandidat. Er ist es, um den es geht. Und J.D. Vance ist ein bisschen ein schmückendes Beiwerk.

2016 haben Sie gesagt, dass die explizit religiösen Themen im US-Wahlkampf noch nie eine Rolle gespielt hätten. Hat sich das im Wahlkampf 2024 geändert?

Nein, also da würde ich dabeibleiben. Wie ich vorhin schon gesagt habe, es sind auch religiöse Positionen. Aber es ist eben nicht so, dass sie explizit als Positionen der Katholiken oder der weißen Evangelikalen oder so weiter im Wahlkampf eine Rolle spielen. Klar, gerade in diesen Themen sind religiös gebundene Menschen besonders mobilisiert. Damit kann man sie besonders ansprechen. Das ist eher eine implizite Mobilisierung, weil sich halt da politische Positionen mit religiösen decken, aber keine explizite Mobilisierung.

Einfluss von religiösen Gruppen auf die US-Wahl

Und wie stark haben religiöse Gruppen im Wahlkampf oder generell auf politische Themen in den USA Einfluss im Vergleich zu Europa?

Naja, es ist deutlich größer. Also wenn wir sehen, dass bei den Evangelikalen Trump ja faktisch so die Führung übernommen hat und von denen geradezu enthusiastisch verehrt wird und sich zu 80 Prozent oder noch mehr deren Gefolgschaft sicher sein kann, dann kann man ermessen, wie wichtig es für ihn ist, gerade diese Evangelikalen anzusprechen und sich deren Gefolgschaft zu vergewissern. Und natürlich erhoffen die sich auch etwas davon. Sie erhoffen sich davon eine Überzeugung. Sie erhoffen sich davon eine Übernahme ihrer Positionen, wenn er später auch mal Präsident würde in politische Aktionen. Bei den Katholiken ist es etwas schwieriger, denn sie hatten historisch gesehen eigentlich über viele Jahrzehnte hinweg demokratisch gewählt. Das beginnt in den späten 1920er Jahren mit der Präsidentschaft von Roosevelt, Franklin Roosevelt, dass sie, also dass Katholiken demokratisch wählen. Und das ist natürlich auch ein sehr wichtiger Punkt. Das änderte sich aber schon in den 1980er Jahren mit Ronald Reagan erstmals und ist jetzt noch komplizierter geworden, weil Trump zum Beispiel bei der Abtreibungsdebatte eindeutig katholische Positionen vertritt. Bei der Migrationsdebatte sind Katholiken gespalten. Weiße Katholiken vertreten da beispielsweise jetzt wiederum stärker Trump-Positionen, während Hispanics, also Latinos, eher migrationsfreundlich noch sind, aber auch da müsste man genau hinschauen. Mexikanischstämmige eher nicht, kubanischstämmige eher ja. Da ist die Landschaft unübersichtlicher geworden. Jedenfalls was die evangelikale Seite anbelangt, eindeutig auf der Seite von Trump. Die Katholiken, die ja nach wie vor die größte religiöse Denomination in den USA sind, ist die Situation, ich möchte mal sagen, etwas unübersichtlicher.

Bei der Migrationsdebatte sind Katholiken gespalten.

Katholiken waren über lange Strecken Wähler der Demokraten, weil das eine Partei war für Arbeiter und für Migranten. Und es sind ja viele Katholiken eingewandert. Warum sind viele Mexikaner Trump-Wähler?

Jene die eine Green Card haben oder aber im Besitz der Bürgerschaft sind, tendieren eher zu Trump. Es gibt aber auch sehr viele illegal noch nach wie vor sich in den USA aufhaltende aus Staaten südlich des Rio Grande, die natürlich eher die migrationsfreudliche Position, in dem Fall von den Demokraten und von Kamala Harris vertreten. Das etablierte Latino-Einwanderer der ersten, zweiten oder dritten Generation inzwischen auch republikanisch wählen, hängt mit zwei Dingen zusammen. Erstens mal sind viele von denen auch tatsächlich ökonomisch erfolgreich. Denen geht es darum, ihren persönlichen Status, auch ökonomischen Status zu erhalten und auch zu verteidigen gegenüber neun anderen Einwandererschichten, die man als Konkurrenten ansieht. Und ein zweiter Punkt ist, dass natürlich auch moralisch-ethische Positionen durchaus eine Rolle spielen. Gerade diese Wählerschichten sind häufig noch stark religiös-katholisch sozialisiert und deren moralische Werte spielen in ihrem persönlichen Alltag eine große Rolle. Und auch da wiederum haben sie dann hohe Übereinstimmung, etwa in der Abtreibungsfrage mit Donald Trump.

US-Wahl: Ein aufgeheizter Wahlkampf

Der Wahlkampf war sehr aufgeheizt. Die Bereitschaft zur Gewalt war sehr hoch. Wie schätzen Sie das ein, dass sich das nach der Wahl entwickeln wird?

Ich hoffe, dass sich die Situation wieder etwas beruhigt. Leider Gottes ist dieses Land tief gespalten. Die Polarisierung ist unglaublich stark auf beiden Seiten. Und natürlich heizt insbesondere Trump mit seiner Rhetorik und auch mit seinen Hassreden und seiner unversöhnlichen Haltung diese Polarisierung auch weiter an. Aber was mir ein bisschen Sorgen macht, ist eben nicht nur Trump. Es ist auch die andere Seite, die manchmal einiges dafür tut, dass die Polarisierung weitergeht, indem man auch nicht kompromissbereit ist. Indem man auch nicht genügend bereit ist, etwa auf die Sorgen und Ängste und Befürchtungen der anderen Seite einzugehen. Wenn ich mal nur das Thema Migration herausgreifen darf. Wer in den USA ist, und ich bin es dort oft, der sieht, dass sich natürlich dieses Land rasant verändert, wie viele andere Länder auch. Migration ist da ein Thema. Und dass da bei bestimmten Leuten auch, Bedrohung eine Rolle spielt und man nicht nur aus der Position des arroganten Besserwissens heraus sagen kann, ihr seid einfach dumm und ihr müsst euch der neuen Welt anpassen, sondern vielleicht auch konkreter auf die Ängste eingeht. Das ist etwas, was ich in den USA nach wie vor zu wenig sehe. Also es ist nicht nur Trump. Es ist auf beiden Seiten eine vielleicht zu gering ausgeprägte Sensibilität für die Sorgen und Ängste und Nöte der anderen Seite.

Merkt man diese Spaltung der Gesellschaft auch in den christlichen Gemeinden in den USA?

Ich denke, dass man das spürt. Allein wenn man mal die protestantischen Kirchen anschaut, die ja sehr heterogen sind und auch gespalten sind entlang der Haltung, wie sie Trump vertreten hat. Und liberaleren Positionen. Dann kann man sehen, dass das in den Alltag der Gemeinden hineingeht. Und nicht nur der christlichen Gemeinden, sondern auch der politischen Gemeinden. Eine Mobilisierung, wie wir sie in Europa ja kaum kennen, ist da zu spüren. Die stellen tatsächlich Schilder in ihren Vorgärten auf, auf denen der Name der Kandidaten steht. Und damit positioniert man sich auf der einen Seite, grenzt sich aber auf der anderen Seite eben auch ab. Vielleicht von Freunden und Nachbarn, die anders denken. Das ist ein Teil dieser Polarisierung, von der ich gerade gesprochen habe.

Zur Person: Klaus Stüwe

Dr. Klaus Stüwe ist Politikwissenschafter und Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Politikwissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Von 1. bis 6. November 2024 fungiert er als Wahlbeobachter bei der US-Wahl in Atlanta und Washington.

Autor:
  • Cornelia Grotte
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