Rückzugsgebiet Schweißtreiben

Sommerserie 2023 - Teil 9
Ausgabe Nr. 34
  • Leben
Autor:
Im Dreivierteltakt zum Erfolg und zum Ausgleich des Alltags: das Ehepaar Höß. ©privat
Agnes und Georg Höß kennen sich seit 40 Jahren. ©Maldacker
Michael Masseo Maldacker ist Kapuziner und Journalist ©BSchauer-urkart

Als Ausdruck und Ebenbild der Freude, als Gegenteil von Trauer, gilt das Tanzen selbst in den uralten Psalmengebeten. Also alles nur Jux und Tollerei beim Wiener Ehepaar Agnes und Georg Höß?

Da hast Du mein Klagen in Tanzen verwandelt, hast mir das Trauer­gewand ausgezogen und mich mit Freude umgürtet“, erzählt der zwölfte Vers von Psalm 30. So empfinden auch die beiden Wiener aus Unter St. Veit im 13. Bezirk das Tanzen. Das gemeinsame Hobby ist für die beiden weit mehr als Amüsement, es ist Sport, bringt sie ins Schwitzen und das soll genau so sein.

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Das Tanzen entdeckt

Die beiden Um-die-sechzig-Jährigen sind tänzerische Spätentwickler. Vor fünfzehn Jahren erst haben sie den Tanz für sich entdeckt, vor zwölf Jahren schließlich daraus „ihren“ Sport gemacht, ihre gemeinsame Leidenschaft. 2008 ging es los. Mit einem Tanzkurs hat das Paar sein altes Können auf dem Parkett wieder aufgefrischt. Drei Jahre später hatten die beiden derart viel Freude an der Sache, dass ein ehrgeiziger Plan geschmiedet wurde. Das Ziel sollte werden, an Turnieren teilzunehmen. „Und möglichst nicht Letzte zu werden“, augenzwinkert Georg Höß. Der tänzerische Ehrgeiz war erwacht. „Die Faszination, zur Musik Sport zu machen, war der Auslöser, der uns angezogen hat“, ergänzt Agnes Höß, die als Allgemeinmedizinerin eine eigene Ordination in Wien hat.

Auszeit aus dem Alltag

Und noch etwas war beiden wichtig: Die Zeit zu zweit zu genießen, „uns füreinander Zeit zu nehmen“, nennt es Agnes Höß. Seit vierzig Jahren kennen sich die Ärztin und der Ingenieur, die beiden Kinder sind aus dem Haus, und Tanzen ist für sie immer noch zentral. Das langjährige Paar kann seine Leidenschaft so verschieden und doch so gleich ins Wort bringen: Hauptmotiv sei „das psychische Loslassen gepaart mit dem körperlich Befreienden“, sagt Georg Höß. „Man wird fitter alt und hat trotzdem viel Freude daran“, nennt es Agnes Höß. Diese Freiheit nehmen sie sich eben.

Die Freiheit beim Tanzen ist enorm, Tanz ist ein sehr vielfältiger Begriff. Agnes und Georg Höß tanzen Standardtänze: Langsamer Walzer, Tango, Slowfox, Quickstepp, Wiener Walzer. Dabei vergessen sie den Alltag. „Beim Tanzen können wir den Alltag hinter uns lassen“, sagt Georg Höß, „das Training ist zunächst sehr hart, und anschließend verschmelzen wir frisch-fröhlich.“ Die „Auszeit aus dem Alltag“, wie Agnes Höß es nennt, „bringt Harmonie in unser Eheleben“. Ganz wie es die Charakterisierung des Slowfox besagt: Wichtig ist die sehr ruhige und angespannte Haltung. Drehungen sind nur sehr sparsam vorgesehen.

Turniere

Drehungen und Turbulenzen hatten die beiden in ihrer fokussierten Leidenschaft Tanzen aber jede Menge. Ständig pendelten die ehrgeizigen Hauptstädter durch die Republik. Kein Turnier war anfangs zu weit, um sich beweisen zu können. Inzwischen pendeln sich die Höß auf Turniere in den östlichen Bundesländern ein. Einmal monatlich stellen sie ihr Können auf den Prüfstand. Dass sie dabei in ihrer Altersklasse nationale Spitzenklasse sind, erwähnen sie – ganz bescheiden – nur auf Nachfrage. Bei aller hohen Dekoration, bei allem Lametta, das die 61-Jährige und der 59-Jährige sich bei den Turnieren ergattern, ist auch die große Errungenschaft nach vierzig Jahren Zusammenseins etwas ganz Bescheidenes: „Wir streiten uns beim Tanzen nicht, wir kritisieren uns nicht“, analysiert Georg Höß, „das tut uns wirklich gut.“

Ausgeglichenheit

Der Ingenieur benennt eine Ausgeglichenheit, wie sie sie vom Tango kennen, dem Tanz, den beide lieben. Der Tango ist der leidenschaftlichste und zugleich der traurigste aller Standardtänze. Das ruhige Dahingleiten der Oberkörper bildet den Gegenpol zu den ruckartigen Drehungen der Köpfe.

Ausgeglichen sind Agnes und Georg Höß auch im bosnischen Wallfahrtsort Medjugorje. Seit Jahren pilgern beide gemeinsam hin. Georg Höß, der auch den heiligen Kapuziner Padre Pio verehrt, liebt Medjugorje schon seit 1985, „als noch kaum jemand diesen magischen Ort kannte und ernst nahm“, resümiert er. „Ich fühle mich dort einfach wie zu Hause“, schwärmt der 59-Jährige. „Ich kann einerseits das Gebet in der Gemeinschaft erleben, andererseits ganz alleine auf den Berg gehen und innehalten.“ Seine Schilderungen erinnern an den Quickstepp, den Tanz, der laut Definition überquellende Lebensfreude ausdrückt.

In der Pfarre engagiert

So sorglos nehmen Agnes und Georg Höß „ihre“ katholische Kirche längst nicht mehr wahr. Beide sind engagiert in ihrer Wiener Heimatpfarre „Unter Sankt Veit/Zum Guten Hirten“. Georg Höß ist Pfarrgemeinderat und hat die wöchentliche eucharistische Anbetung mit ins Leben gerufen. Aber ihnen beiden missfällt unter anderem die Rolle der Frau in ihrer Kirche. „Als Frau stehst du immer nur in der zweiten Reihe“, bemängelt Agnes Höß, „das ist in der heutigen Zeit nicht mehr passend.“ Auch die ablehnende Haltung der katholischen Kirche gegenüber geschiedenen Wiederverheirateten und Menschen anderer sexueller Orientierung ist aus Sicht der Ärztin „nicht mehr zeitgemäß“. Das sieht ihr Mann genauso. „Die konservativen Stimmen in unserer Kirche zu diesen Fragen machen mich hilflos und traurig“, sagt Georg Höß. „Diesen Spagat zu schaffen, ist für uns kirchlich engagierte Menschen sehr schwierig, aber doch sehr wichtig, wenn sich auch künftige Generationen noch von der Kirche verstanden wissen wollen.“

„Oh Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel mit Dir nichts anzufangen“, wird dem großen Kirchenlehrer Augustinus als Zitat in den Mund gelegt. Mit Agnes und Georg Höß wüssten die Engel bestimmt viel anzufangen.

Frei werden: Freiheit zur Liebe

„Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit“, schreibt Paulus, und: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit.“ Er spricht immer wieder über die Freiheit: vom Gesetz, von der Sünde, von der alten Knechtschaft … „Ihr seid zur Freiheit berufen. Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe!“ Mit Fleisch meint er die eigenen menschlichen Begehrlichkeiten. Manchmal stehen uns diese im Weg. Paulus ruft uns in Erinnerung, dass die in Christus geschenkte Freiheit nicht bloß für uns selbst bestimmt ist. Sie soll uns nicht als Vorwand zum Egoismus dienen, sondern uns frei machen zum Lieben. Und er mahnt auch zur Vorsicht: „Alles ist mir erlaubt – aber nicht alles nützt mir. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich.“ Wo Christus der Einzige ist, der über mich bestimmt, wo meine Freiheit mir nicht zum Vorwand für mich selbst dient – da ist mir alles erlaubt. Da bin ich frei zu lieben.

Franziska Jeremia Madl ist Dominikanerin und Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision. Ihre Praxis führt sie aus rechtlichen Gründen unter ihrem zivilen Namen Alexandra Madl.   
freiheit@koopredaktion.at

Autor:
  • Michael Masseo Maldacker
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