Lob der spirituellen Langeweile

Hirtenhund
Ausgabe Nr. 11
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Der Hirtenhund bellt diese Woche gegen Hass im Netz.
Der Hirtenhund bellt diese Woche gegen Hass im Netz. ©istock
©Der SONNTAG

Der Hirtenhund bellt diese Woche gegen den auf Social Media grassierenden Hass nach den Anschlägen in Deutschland und Villach.

Haben Sie einen Fastenvorsatz? Ich hätte eine Idee: Wie wäre es, auf kurzschlüssige Kommentare in Online-Foren, auf Schnellschuss-Beiträge in sozialen Medien und generell auf alles zu verzichten, was das Zeug hat, andere zu verletzen? Nur mal so als Anregung. In den letzten Wochen und befeuert durch die schrecklichen Anschläge in Deutschland sowie in Villach hat mich der grassierende Hass, der reflexartige Ruf nach strengeren Asylregeln, nach Abschiebungen, nach Bürgerwehren und nach einem Aussetzen rechtsstaatlicher Mechanismen doch sehr irritiert – und eigentlich davon abgehalten, um die eigentlichen Opfer zu trauern. 

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Spirituelle Langeweile

Was also tun, wenn wieder mal die Galle hochkommt, wenn die Hand zuckt und der Zorn sich ins Netz erbrechen möchte? Geheimtipp gefällig? Setzen Sie sich in einen Gottesdienst – und genießen Sie die absolute spirituelle Langeweile, die Ihnen dort geboten wird! – Kein Witz: Eine Studie der Universitäten Wien und Sussex hat herausgefunden, dass Predigten das mit Abstand langweiligste und lähmendste Moment strukturierten religiösen Lebens überhaupt darstellen. Dagegen empfiehlt der Wiener Bildungsforscher und Autor Thomas Götz mehr Lebensnähe in den Predigten. OK, geschenkt. Das ist wenig überraschend. Aber er empfiehlt auch mehr Interaktion mit Diskussionsrunden, digitalen und visuellen Elementen wie Videos.

Gottesdienste dürfen langweilen

Das stelle ich mir großartig vor: Wie unsere Priester künftig nicht mehr nur mit einer Bibelauslegung ringen, sondern auch mit Beamern (wenn nicht gar mit den unausrottbaren Overhead-Projektoren) und Playlists. Ein falscher Klick auf die vom Algorithmus vorsortierte und dem eigenen Nutzungsverhalten entsprechende YouTube-Playlist – und schon flimmern die besten Crystal-Meth-Rezepte über die Leinwände im Altarraum. Oder Schlimmeres. Aufmerksamkeit wäre da allerdings wahrlich garantiert. Nein, ich bleibe dabei: Gottesdienste dürfen mich auch langweilen. Sie sollen mich nicht unterhalten wie ein YouTube-Video. Wenn ich an Predigten – die im Übrigen nur einen Teil des gesamten gottesdienstlichen Geschehens darstellen – einen TikTok-Maßstab anlege, kann ich nur verlieren. Es braucht Orte absichtsloser Leere. Das meine ich nicht ironisch, sondern genau so: Gerade nach außen hin vielleicht langweilige Gottesdienste bieten jene Räume, an denen ich meine Gedanken sortieren und sacken lassen kann. Und wenn ein fader Gottesdienst zu nur einem Hass-Kommentar im Netz weniger beiträgt, hat er seinen Sinn schon erfüllt.

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