Klosterneuburger Schatz: der Verduner Altar

Die Bibel als goldenes Bilderbuch aus dem Mittelalter
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Verduner Altar
Die theologische Aussage des Verduner Altars ist: Das Neue Testament fußt auf dem Alten Testament. Für jede Begebenheit im Leben Jesu gibt es eine frühere, darauf verweisende Episode im Alten Testament. Wie zwei Finger zeigen daher die untere und die obere Reihe auf die mittlere Reihe, als wollten sie die Bibel als Ganzes auf einen zusammenfassen: Jesus Christus ©Nelo Ruber
Verduner Altar
Der Verduner Altar beginnt heilsgeschichtlich notwendig mit der Verkündigung des Herrn. ©Peter Boettcher
Verduner Altar - Verkündigung des Herrn
Die Verkündigung des Herrn (Lk1, 26-38) stellt Maria dar, die bei einem Lesepult steht und erschrocken zu dem Erzengel blickt, der von außen herantritt (er steht auf einem Grasboden) und sie mit den Worten begrüßt, die auf dem Schriftband sichtbar sind: Ave Maria (Gegrüßet seist du Maria). Die Strahlen von der Hand des Erzengels versinnbildlichen die göttliche Botschaft. Über der Tafel wird auf Psalm 45,11 verwiesen. (Höre Tochter, sieh her und neige dein Ohr) ©Peter Boettcher
Verduner Altar - Geburt des Herrn
Die Geburt von Jesus Christus wird eingerahmt durch den Spruch: „Geboren ohne Vater wird das Gotteskind von der jungfräulichen Mutter“. Dargestellt wird Maria, die sich ausruht und Josef, der sich auf seinen Stab stützt. Die Krippe ruht auf Säulen, und will damit einen Altar andeuten. Hinter der Krippe strecken Ochs und Esel ihre Köpfe vor. Ein Engel über der Krippe hält das Spruchband mit „Gloria in excelsis Deo“ (Ehre sei Gott in der Höhe) ©Peter Boettcher
Verduner Altar - Beschneidung des Herrn
Hier sehen wir Maria auf einem Thron sitzend, die das Jesuskind hält, zur eigentlichen Beschneidung erscheint Josef selber, der das Messer schon bereithält. Der Spruch um das Bild führt den Betrachter in die Passion: Unsere Wunden trug Christi Fleisch mit schmerzlicher Wunde. In der Beschneidung des Herrn wird besonders der Gehorsam unter das Gesetz aufgezeigt. Das ganze Leben des Erlösers war ein einziger Akt des Gehorsams (vergleiche im Philipperbrief 2,8: gehorsam bis zum Tod am Kreuz). Bei der Beschneidung des Herrn flossen die ersten Tropfen des Erlöserblutes (vergleiche 1. Petrusbrief 1: reingewaschen durch das Blut von Jesus Christus) ©Peter Boettcher
Verduner Altar - Anbetung der Weisen
„Drei geheimnisvolle Gaben schenken die drei Könige dem wahren Gott“ dies ist der Spruch zu dem Bild der drei Weisen mit Geschenken. (Mt 2, 9-11) Die Gottesmutter sitzt mit ihrem Kinde Jesus auf dem Schoß, dass die Ankommenden segnet. Die drei Könige sind im verschiedenen Alter dargestellt, eine Andeutung auf die drei menschlichen Lebensalter (der erste König erscheint als Greis, der zweite als Mann und der dritte als Jüngling) Der König, der noch nicht in das Haus eingetreten ist, zeigt auf den Stern, der über dem Gebäude stehenbleibt. ©Peter Boettcher
Verduner Altar Verkündigung Isaaks Verkündigung Samsons
Die Verkündigung einer bislang aussichtslosen und nicht zu erwartenden Geburt, ebenso wie der Vergleich der herausragenden Gestalt des Isaak (Opfer, Garant für sein Volk) mit Simson dem Nasiräer, der von Anfang an dem Herrn geweiht ist und dazu bestimmt war, das Volk aus der Knechtschaft zu befreien. In Isaak ist die Gottessohnschaft vorgebildet, in Simson die gnadenhafte Erwählung und Erlösersendung. ©Peter Boettcher
Verduner Altar - Melchisedek - Königin von Saba
Melchisedek (links) gilt als Vorbild des Messias; sein Name bedeutet König der Gerechtigkeit, er war König von Salem, was soviel wie König des Friedens bedeutet, er opfert das erste Mal Brot und Wein (vgl. hl. Messe) und war Priester und König (doppelte Würde), somit ist die Gabendarbringung Abrahams ein Vorbild der Weisen. Auch die Königin von Saba (rechts) fasste man als Typus der Magier auf. Ihre Huldigung wurde von Christus ausdrücklich auf sich bezogen, als er Salomo sein eigenes Vorbild nannte (Mt 12,42). Der weise König wurde als Vorbild Christi angesehen. ©Peter Boettcher
Verduner Altar Chorherr Sebastian Schmölzer
Augustiner-Chorherr Sebastian Schmölzer führt durch das Bilderbuch aus dem Mittelalter ©Nelo Ruber

Der Altar ist der kostbarste Kunstbesitz des Stiftes Klosterneuburg und eines der bedeutendsten Kunstwerke des Mittelalters.

Wenn die Gläubigen des Mittelalters in die Stiftskirche des Augustiner-Chorherrenstiftes Klosterneuburg kamen, sahen sie nicht nur den großen Lettner mit dem Kreuzaltar, (die Trennwand zwischen Chor und Langhaus – ähnlich der Ikonostase in orthodoxen Kirchen) sondern auch eine balkonartige Ausbuchtung, die als Kanzel diente. Diese war mit feuervergoldeten Emailtafeln verkleidet - die erste Version des heutigen Verduner Altars.

Was man heute in einem Flügelaltar sieht, wurde ursprünglich als Verkleidung des Kanzelkorbs geschaffen. Diese Bildverkleidung wollte den Menschen das Wort Gottes in einfacher Weise erläutern und ihnen den Heilsplan des lebensspendenden Gottes sichtbar machen. Die prächtig verkleidete Kanzel sollte ein Blickfang sein, um die Predigt audiovisuell aufnehmen zu können.

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Gott wendet sich allen Menschen zu, Akademikern genauso wie denjenigen, die weder lesen noch schreiben können. Aber auch als große Mahnung an den Prediger können diese Verduner Tafeln verstanden werden, jener hat die Erhabenheit des Wortes Gottes zu predigen und nicht seine eigenen, meistens beschränkten Fantasien. Die Kanzel kann hier durchaus als Bildungsort verstanden werden. Biblisch belegt wird die Kanzel im Buch Nehemia (Kapitel 8) wo der Schriftgelehrte Esra auf einer Kanzel aus Holz steht und von dort den Frauen und Männern aus der Thorarolle vorlas. Man kann sie mit dem Minbar in der islamischen Moschee vergleichen und wird sie bei den protestantischen Gemeinden viel prominenter und wichtiger vorfinden, landläufig wurde sie gerne als der Hochstand des Pfarrers benannt. Noch vor etwa 50 Jahren waren auch in unseren Breiten in den katholischen Gottesdiensten die Kanzelpredigten gebräuchlich, was vor allem seinen Sinn darin hatte, dass durch Rückwand und Kanzeldeckel der Schall des gesprochenen Wortes für die Gläubigen viel verständlicher war. Das Wort Kanzel bedeutet nichts anderes als Gitter, Schranke, da diese ja an dem großen Lettner befestigt wurde, wie auch im Stift mit den schönen Emailbildern. Man sieht das große Bemühen, den Gläubigen die zentralen Stellen der Heiligen Schrift vor Augen zu führen.

Propst Wernher, der später Bischof von Gurk wurde, hat dieses Kunstwerk in Auftrag gegeben. Die Widmungsinschrift nennt ausdrücklich den Namen des Künstlers: Nicolaus Virdunensis – Nikolaus von Verdun (1130 oder 1140 bis 1205). Er war ein wandernder Goldschmied und fertigte sein Werk an Ort und Stelle, so wurden auch die wunderbaren Emailtafeln des heutigen Verduner Altars in Klosterneuburg geschaffen. Im Jahre 1181 war die Fertigstellung, nach etwa zehn Jahren Arbeitszeit.

Wein löscht nicht nur Durst

Die 51 Tafeln aus feuervergoldetem Kupfer sind mit Emailgrubenschmelz überzogen, in den verschiedenen Schattierungen von rot, blau, weiß, gelb und grün. Die Figuren sind alle in Gold gehalten. Bis zum Jahr 1330 bildeten die Emailtafeln des Nikolaus von Verdun die Verkleidung der Kanzelbrüstung am Lettner der Stiftskirche. Am 14. September 1330, dem Kreuzerhöhungstag, brach in der Stadt Klosterneuburg ein verheerender Brand aus, der auch das Stift ergriff sowie das Chorherren- und Chorfrauenstift zerstörte. Das kostbare Emailtafelwerk an der Kanzel wäre beinahe auch zugrunde gegangen, da das Löschwasser schon sehr knapp geworden war; in größter Not hat man es mit Wein übergossen und somit gerettet.

Im Wiederaufbau nach dem Brand wurden die Tafeln durch Propst Stephan von Sierndorf, dem zweiten Stifter Klosterneuburgs, der das Kloster wieder neu aufbaute, nach Wien gebracht und zu einem Flügelaltar umgebaut. Sechs Tafeln mussten dafür neu geschaffen werden. Diese wurden im Mittelteil eingefügt, beim genauen Betrachten wird man den Unterschied erkennen, die Tafeln neueren Datums kommen in ihrer Grazilität und Eleganz nicht mehr an die älteren Tafeln des Nikolaus von Verdun heran.

Bis zur Barockisierung des Stiftes war der Verduner Altar in der Stiftskirche aufgestellt, danach kam er in die Schatzkammer, bis er dann im 19. Jahrhundert im ehemaligen Kapitelsaal einen würdigen Aufstellungsort bekam.

Der Kapitelsaal ist in geistlichen Häusern einer der Hauptpunkte der ganzen Anlage. Hier, in diesem ehemaligen Kapitelsaal, in der Leopoldskapelle ist das Landesheiligtum: es befindet sich hier die Krypta des hl. Markgrafen Leopold III. sowie seiner Frau Agnes. Nach der Aufnahme Leopolds in den Kanon der Heiligen wurden die Reliquien geborgen und in einen prächtigen Schrein gebettet. Dieser musste aber im Napoleonischen Krieg abgeliefert werden und so wurde ein neuer, diesmal hölzerner, verglaster Schrein angefertigt, den man über den Verduner Altar stellte. Man fand, dass der Verduner Altar der schönste Schmuck am Grabe des hl. Leopold sei. Im Jahre 1936, zum großen 800-Jahr-Jubiläum des heiligen Leopold wurde der heutige Reliquienschrein angefertigt, der sich in seiner äußeren Form an einem weiteren Werk von Meister Nikolaus von Verdun orientiert: dem Marienschrein in Tournai.

Theologisches Konzept

Der Verduner Altar stellt auf höchstem künstlerischen Niveau Szenen aus dem Alten und Neuen Testament dar. Das geistige - theologische Programm ist wie es in der Widmungsinschrift heißt: darzustellen, wie die Heilsgeschehnisse der Zeitalter übereinstimmen. Die Heilsgeschichte wird in drei Teile aufgeteilt: die Zeit vor dem Gesetz (vor Moses) als obere Zeile, die Zeit unter dem Gesetz (nach Moses) als untere Zeile und die mittlere Zeile als Zeit unter der Gnade (neuer Bund). Die theologische Aussage des Verduner Altars ist: Das Neue Testament fußt auf dem Alten Testament. Für jede Begebenheit im Leben Jesu gibt es eine frühere, darauf verweisende Episode im Alten Testament. Wie zwei Finger zeigen daher die untere und die obere Reihe auf die mittlere Reihe, als wollten sie die Bibel als Ganzes auf einen zusammenfassen: Jesus Christus. Somit sind es nicht nur irgendwelche Geschichten, die lieb oder böse sind, sondern das Alte Testament bildet lebhafte Realität ab, die aber immer auf ein Ziel hinausläuft: den Sohn Gottes zu bezeugen.

Geheimnis der Schriften verstehen

Der Verduner Altar stellt den Höhepunkt der mittelalterlichen Typologie dar, dieses Werk stellt eine heilsgeschichtliche Summe in Bildern dar. Schon als Kanzelschmuck war es Mahnung an den jeweiligen Prediger worauf die Wortverkündigung gerichtet werden sollte: die Herrlichkeiten der Gnade dem Volk zu erschließen.

Die Mitteltafel ist Christus am Kreuz, so sagte es schon der heilige Augustinus, dass der Schlüssel zum wahren Verständnis der Heilsgeschichte das Kreuz sei. Die Darstellung des Kreuzestodes Christi ist größer als die übrigen Tafeln. Der Erlösungstod Christi ist so als Mittelpunkt der Heilsgeschichte hingewiesen. Nur wer das Mysterium der Passion annehmen kann, kann auch das Geheimnis der Schriften verstehen.

Theologisch nennt man das Programm Typologie: ein Ereignis aus dem Alten Testament bezieht sich auf ein Ereignis im Neuen Testament. Eine Episode im Alten Testament nennt daher Typos, die auf ein Geschehnis im Neuen Testament, den Antitypos, verweist. So finden die Episoden von Joseph im Brunnen und Jonas im Walfischbauch als Typos ihren Antitypos in der Grablegung Christi. Jonas, der drei Tage im Bauch des Wals lag, verweist auf Jesus, der drei Tage im Reich der Toten verbrachte. Nichts wurde willkürlich ausgewählt, sondern die Orientierung lag am göttlichen Heilsplan selbst.

Höhepunkt mittelalterlicher Goldschmiedekunst

Die kunsthistorische Bedeutung ist auf unterschiedlichen Ebenen anzusiedeln. Sehr bedeutend ist, dass in der Widmungsinschrift der Altar datiert und signiert wurde: 1181, Werk des Nicolaus von Verdun. Eine Signatur war in der damaligen Zeit eher unüblich.

Der Altar stellt einen Höhepunkt der mittelalterlichen Goldschmiedekunst dar, er wurde an der Wende von Romanik und Gotik geschaffen. Es lässt sich auch, vor allem an den ersten Tafeln der byzantinische Einfluss finden.

Ein weiteres Detail ist von Brisanz: Nikolaus stellt die Königin von Saba mit schwarzer Hautfarbe dar, dies ist wohl die erste Dame mit dunkler Hautfarbe in der europäischen Kunst.

Ein Kunstwerk von solchem Wert und von dieser überragenden kunstgeschichtlichen Bedeutung musste unbedingt auch auf die schaffenden Künstler seinen Einfluss ausüben. Erwähnt sei hier nur die Miniaturmalerei.

Der Verduner Altar ist einer der bedeutendsten Kulturschätze Europas, jedoch gilt er nicht als museales Objekt, sondern die Aussagekraft des Tafelwerkes hat an Dynamik nichts verloren. Der Aufstellungsort am Grabe des heiligen Landespatrons Markgraf Leopold III. unterstreicht nochmals die Wichtigkeit dieses Altars.

Wegweiser und Kompass

Für die Augustiner Chorherren ist der ehemalige Kapitelsaal mit dem Verduner Altar die eigentliche Geburtsstation: Hier beginnt man das Noviziat mit der Einkleidung und der erstmaligen Nennung des neuen Ordensnamens. Die Reliquien des heiligen Leopold und der Verduner Altar mit seinem Programm geben dem jungen Ordensmann alles auf den Weg, was er braucht: Im Zentrum der Kreuzestod Christi, der in jeder Messe gegenwärtig wird; eingerahmt von der Heiligen Schrift und darüber die Reliquien des Stifters als Wegweiser und Kompass: durch das Kreuz zu Gott.

Der Verduner Altar beginnt heilsgeschichtlich notwendig mit der Verkündigung des Herrn. Herausgehoben sind in diesem Artikel, anlässlich der Adventzeit, die ersten vier Tafeln aus der mittleren Reihe, dem Neuen Testament. Es empfiehlt sich jedoch ein persönlicher Blick auf den ganzen Altar vor Ort zu machen, um seine Botschaft zu begreifen.

Autor:
  • Augustiner-Chorherr Sebastian Schmölz
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