Ein Intellektueller und Bauherr
Kardinal Rauscher (1797–1875)Joseph Othmar Kardinal Rauscher sah sich zahlreichen politischen, kirchlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen gegenübergestellt.“ So charakterisiert der Kirchenhistoriker Maximilian Ewers den wohl bekanntesten Wiener Kardinal des 19. Jahrhunderts. Denn das Wort „Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkündige“ (1 Korinther 9,16) war stets der Kompass seiner Handlungen.
„Als festes Fundament diente ihm die Kirchengeschichte, von diesem Schatz ausgehend vertrat er seine Positionen“, betont Ewers: „Von Rauscher können wir lernen, dass die Kirche Verantwortung im modernen Staat zu übernehmen hat. Sein feiner politischer Stil wirkte verbindlich, wenn er in der Öffentlichkeit selbstbewusst für den Glauben und die Rechte der Kirche eintrat.
Rauscher, durch und durch ein Intellektueller, wollte die Bildung und Wissenschaft gestärkt sehen, war offen für religiöse Aufbrüche und förderte diese tatkräftig. Die Loyalität zur Kirche und Papst als dem obersten Hirten waren für ihn charakteristisch.“
Ein Interview mit Pater Maximilian Ewers
Welche Kirchen wurden in seiner Ära gebaut?
MAXIMILIAN EWERS: „Ich wäre kein Hirt, sondern ein Mietling, wenn ich ohne Kummer sehen könnte, … dass ein so großer Teil der mir anvertrauten Gläubigen den Segnungen der Religion sich deshalb entfremdet, weil es zu Wien der Feier des katholischen Gottesdienstes an Obdach gebricht.“
So begründete Rauscher seine Initiativen zum Kirchenbau in Wien, das in jenen Jahrzehnten einen enormen Bevölkerungszuwachs sah. Auf Rauscher gehen die Kirchen der Pfarre Altlerchenfeld (1070), der Lazaristen (1070), Sankt Elisabeth auf der Wieden (1040), die Brigittakirche (1200), Sankt Othmar Unter den Weißgärbern (1030) und Maria vom Siege (1150) zurück.
Wie wurde der junge Joseph Othmar Ritter von Rauscher von Klemens Maria Hofbauer, dem späteren zweiten Stadtpatron Wiens, geprägt?
Im Alter von 19 Jahren begann Rauscher Jus zu studieren. Er wollte wie sein Vater eine Beamtenlaufbahn einschlagen. Er begann damals stark am Glauben zu zweifeln. Als auch noch ein Augen- und Nervenleiden hinzutrat, musste Rauscher seine Studien unterbrechen.
In dieser für ihn unsicheren Zeit führte ihn ein Freund 1818 dem Hofbauer-Kreis zu. Die schlichte und tiefe Frömmigkeit Hofbauers beeindruckte den sehr intelligenten Rauscher tief, sodass er, von Zweifeln und Krankheit geheilt, 1820 das Studium der Theologie aufnahm, sehr zum Missfallen seiner Eltern.
Schon drei Jahre später empfing er die Priesterweihe und wirkte, mittlerweile promoviert, als Kaplan in Hütteldorf, bis ihm 1825 eine Professur für Kirchengeschichte und Kirchenrecht in Salzburg übertragen wurde.
1832 wurde Rauscher zum Direktor der Orientalischen Akademie ernannt. Was dürfen wir uns unter der Orientalischen Akademie vorstellen?
Die Orientalische Akademie war ein Staatsinstitut in der Monarchie, deren Absolventen für den Diplomatischen Dienst im Osmanischen Reich vorgesehen waren. Dieses war ja unmittelbar mit Österreich benachbart, erstreckte sich aber vom Balkan bis Nordafrika.
Obwohl er kein Experte für Politik oder Osmanische Kultur war, leitete Rauscher die Akademie 16 Jahre. Sein Ziel war es, die Zöglinge so auszubilden, dass sie „für Österreich und die katholische Wahrheit“ an der sog. Hohen Pforte, also dem Regierungssitz in Istanbul, wirken konnten.
Später erteilte Rauscher den Erzherzögen Philosophieunterricht … Welche Rolle spielte Rauscher im Jahr 1848?
1844 wurde Rauscher als Privatlehrer am Kaiserhof engagiert. Er hatte die Erzherzöge in Philosophie zu unterrichten. In dieser Zeit gewann er auch das Vertrauen des späteren Kaisers Franz Joseph. Die Nähe zum Kaiserhaus war auch ausschlaggebend für seine Ernennung zum Bischof von Seckau im Jahr 1849.
Zuvor aber erlebte er die Revolution von 1848 hautnah in Wien mit. Die Ereignisse wirkten auf Rauscher nahezu traumatisch. Die Kritik der Revolution und alles Revolutionären wurde charakteristisch für sein Wirken.
Warum gilt Rauscher, 1853 zum Wiener Erzbischof ernannt, als Schöpfer und Verteidiger des Konkordats?
Durch die Gesetze Kaiser Josephs II. und das josefinische Staatskirchentum fand sich die Katholische Kirche stark eingeschränkt. Mit der Revolution und der Thronbesteigung Kaiser Franz Josephs änderte sich das schlagartig. Für die Kirche brach geradezu ein neuer Frühling an.
Mit seiner Ernennung zum Erzbischof von Wien, der er zum großen Teil dem Kaiser verdankte, wurde Rauscher neben Kardinal Schwarzenberg von Salzburg zur wichtigsten Figur im österreichischen Episkopat.
Nach der Revolution galt es, die Verhältnisse zwischen der Monarchie und dem Heiligen Stuhl neu zu ordnen und die gemeinsamen Interessen durch ein Konkordat in eine feste Form zu gießen. Keiner war geeigneter als Rauscher, diesen Vertrag vorzubereiten.
Mit seinen juristischen und theologischen Kenntnissen vertraute ihm der jungen Kaiser, die Verhandlungen mit dem Nuntius Viale-Prelá zu führen und dabei die Interessen Österreichs zu vertreten. In der Tat spiegelt der Text des Konkordats, das 1855 beschlossen wurde und das der Kirche sehr weit entgegen kam, die Handschrift des jungen Erzbischofs.
Welche Bereiche umfasst das 1855 abgeschlossene Konkordat?
Das Konkordat von 1855 war ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Kaiserreich Österreich. In diesem wurden vor allem die kirchlichen Zuständigkeiten in Fragen des Eherechtes, des Schulwesen und innerkirchliche Angelegenheiten behandelt, die nun ohne Einmischung des Staates geregelt werden durften.
Unverkennbar ist in dem Konkordat Rauschers Handschrift zu erkennen. Für ihn war das Optimum dann erreicht, wenn Kirche und Staat nicht im Wettstreit miteinander lagen oder den Kompetenzbereich des anderen untergruben, sondern Hand in Hand für das Wohl des Menschen zusammenarbeiteten.
Wie förderte er den Priesternachwuchs, wie verhielt er sich zum aufstrebenden katholischen Vereinswesen?
Der Priesternachwuchs war ein Herzensanliegen Rauschers. 1851 gründete er ein Knabenseminar in Graz und 1856 eines in Wien. Letzteres wurde unter seinem Nachfolger nach Hollabrunn verlegt, wo auch -- welch schöner aktueller Bezug -- unser neuer Erzbischof Josef Grünwidl seine Ausbildung erhielt.
Rauscher war zwar der Revolution gegenüber sehr kritisch eingestellt, aber von den Veränderungen der neuen Zeit und den neuen Freiheiten profitierte auch seine Arbeit und die Kirche als Ganzes. Neben den Vereinen, die sich nun ungehindert entfalten konnten, erfuhr die Kirche auch einen religiösen Aufschwung, was man etwa an der Entwicklung der Frauenorden sieht. Wenn man am Beginn von Rauschers Wirken 331 weibliche Religosen, also Schwestern und Nonnen, in Wien zählte, so waren es bei seinem Tod 1030. Rauscher förderte v.a. karitative Orden, aber auch katholische Vereine, wie etwa den Severinus-Verein.
1858 lud Rauscher zu einer Provinzialsynode ein. Warum?
Nach dem erfolgreichen Abschluss des Konkordats, das die Arbeit der Kirche auf eine neue Grundlage stellte, war es Rauscher ein Anliegen, diesen kirchlichen Neubeginn mit einem Konzil zu bekräftigen. Es war übrigens das erste Konzil der Kirchenprovinz Wiens seit ihrer Errichtung im Jahr 1722.
Die im Konkordat gefassten Beschlüsse sollten in eine praktische Form gegossen werden, aber die Texte des Konzils gingen weit über die Angelegenheiten des Konkordats hinaus. Man kann das Provinzialkonzil als eine Standortbestimmung des kirchlichen Lebens in Wien nennen.
Dabei dürfen wir uns diese Synode nicht so vorstellen, wie etwa heutige synodale Treffen, auf denen intensiv diskutiert und gerungen wird. Die Texte des Provinzialkonzils von 1858 wurden alle von Rauscher selbst verfasst. Für Diskussionen war gar keine Zeit.
Die insgesamt 82 Kapitel befassten sich mit der katholischen Glaubenslehre, Irrtümer der Zeit, die Hierarchie und Leitung der Kirche, Abhandlungen über die Sakramente, das Leben des Klerus, Fragen der Schule und schließlich Benefizien.
Dazu erließ das Konzil auf ca. 100 Seiten noch umfangreiche Anweisungen für die Behandlung von Ehefragen, die als Handreichung für die Ehegerichtsbarkeit in Österreich Anwendung finden sollte. Das katholische Eherecht war ja mittels des Konkordats gleichsam zur Grundlage aller staatlichen Eheangelegenheiten in Österreich erhoben worden. Gerade diese Regelung sollte dann auch bald viele Kritiker finden und die Kirche in einen Kulturkampf führen.
Rauscher nahm auch am Ersten Vatikanischen Konzil (1869-1870) teil, warum reiste er am 17. Juli, einen Tag vor der Abstimmung über die „Unfehlbarkeit“, aus Rom ab?
Als sich Rauscher im Alter von 72 Jahren nach Rom zum Ersten Vaticanum auf den Weg machte, war er zunächst voller Sorge, dass seine Abwesenheit von der Regierung und dem Parlament ausgenutzt werden könnte, das Konkordat aufzukündigen. Das geschah dann auch tatsächlich, und die Regierung begründete es mit den Ergebnissen des Vatikanischen Konzils.
Auf dem Konzil zählte Rauscher zur sog. Minoritätspartei, die sich als Gegner eine Dogmatisierung der Unfehlbarkeit des Papstes zusammengefunden hatte. Der Wiener Erzbischof fand das geplante Dogma aus kirchengeschichtlicher Warte für bedenklich und hielt eine Dogmatisierung für politisch und strategisch inopportun sein, weil es die Lage und das Ansehen der Kirche, gerade in den „modernen“ Staaten wie Österreich, Deutschland, Frankreich, verschlechtern würde.
Rauscher erlebte auch die Aufkündigung des Konkordats 1870 … Wie ging er damit um?
Der Streit um das Konkordat war so alt wie das Konkordat selbst. Schon nach dessen Abschluss erhoben sich Stimmen, die den massiven katholischen Einfluss auf Schule und Ehegesetzgebung kritisierten. Nach der Schlacht von Königgrätz 1866 wurden die Forderungen immer lauter, das Konkordat abzuschaffen. Dies wurde v.a. von der liberalen Partei verfolgt, die in mit der Dezemberverfassung von 1867 und in den Maigesetzen von 1868 bereits erste Einschränkungen erwirken konnte.
Unmittelbar nach dem Ende des Ersten Vatikanischen Konzils 1870 erfolgte dann die einseitige Aufkündigung, mit der Begründung, dass sich mit der Definition der päpstlichen Unfehlbarkeit und des Jurisdiktionsprimats der Vertragspartner und die Umstände des Vertrags verändert hätten und man daher nicht mehr daran gebunden sei.
Rauscher war davon tief getroffen, war er doch der Architekt des Konkordates gewesen. Er setzte nun alles daran, das Verhältnis von Kirche und Staat nicht gänzlich eskalieren zu lassen, sondern mit geduldiger Beharrlichkeit die Rechte der Kirche in Erinnerung zu rufen und sie nicht gänzlich zum Spielball der Politik werden zu lassen. Dazu bemühte er sich als guter Hirte seine Herde in den Strukturen der Vereine zu stärken und durch Hirtenbriefe und Ansprachen zu unterstützen.
Zur Person
Pater Maximilian Ewers ist Priester im Oratorium des Heiligen Philipp Neri und forscht am Institut für Historische Theologie der Universität Wien über das Kirchen- und Staatsbild von Kardinal Rauscher.