Der Bierpapst Conrad Seidl und der Osterbock

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Conrad Seidl mit einem Glas Bier
Experte Conrad Seidl: „Die eigentliche Bedeutung hatte das Bockbier in den Fastenzeiten davor." ©Stephan Schönlaub
Conrad Seidl
Auf ein Bier mit Conrad Seidl. ©Stephan Schönlaub
Conrad Seidl schenkt sich ein Glas Bier ein
Conrad Seidl während des Bierzapfens ©Stephan Schönlaub

Um kaum ein Bier gibt es so viele Missverständnisse wie um das Bockbier – und da besonders um den Osterbock. Dabei wird um ihn in manchen Gegenden ein richtiger Kult begangen, meist ein recht weltlicher.

Unter den tierischen Symbolen rund um das Osterfest ist der Bock das Seltsamste. Der Osterhase wurde als Analogie zum von seinen Feinden gejagten Heiland gedeutet, das Osterei lässt sich als Symbol für die Auferstehung Christi verstehen. Und das Osterlamm hat es vom alttestamentarischen Opfertier als „Agnus Dei“ bis an unsere Altäre geschafft. Aber der Bock? Ein Osterbockbier als Feier des höchsten Festes der Christenheit? In der Messfeier kennen wir Wein, wir Katholiken glauben an die Transsubstantiation, also an die Wandlung des Messweins in Christi Blut. Von Bier ist da keine Rede, auch nicht von Bockbier.

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Überhaupt hat das Bockbier mit dem Tier nur den Namen gemeinsam. Auch wenn die Werbegrafiker der Brauereien uns mit hübschen Bockdarstellungen auf den Etiketten erfreuen – es handelt sich um ein Missverständnis. Aber dieses Missverständnis ist so eingängig, dass bei Bockbieranstichen oft eine beinahe religiös klingende Beschwörungsformel gebraucht wird: „Zapf hinein, Bock heraus! Böcklein spring in jedes Haus!“

Tatsache ist, dass Bockbiere deutlich stärker sind als unsere gängigen Lager- und Märzenbiere. Im österreichischen Lebensmittelbuch ist vorgeschrieben, dass gewöhnliche Vollbiere mindestens elf Grad Stammwürze haben müssen, Bockbiere aber 16 Grad Stammwürze. Das sagt dem Laien wenig – und wenn man dann noch ergänzt, dass die bayrischen Doppelbockbiere sogar 18 Grad Stammwürze haben müssen, dann macht es die Sache noch verwirrender, weil 18 doch nicht das Doppelte von 16 ist. Hinter dem Begriff Stammwürze verbirgt sich die Angabe, wieviel Malzzucker im Brauprozess gewonnen wurde; ein Grad Stammwürze steht für ein Gramm Extrakt in der unvergorenen Bierwürze. Im Gärkeller steht für ein 16-grädiges Bockbier also 45 Prozent mehr Zucker zur Verfügung als für jene Biere mit knapp fünf Volumenprozent Alkohol, die man tagaus-tagein trinkt.

Kein Wunder, dass die Hefe aus mehr Malzzucker auch mehr Alkohol entstehen lässt, bei Bockbieren meist etwas über sieben Prozent. Und noch weniger sollte es wundern, dass man beim Genuss von stärkeren Bieren schneller und kräftiger die Wirkung des Alkohols zu spüren bekommt als beim Märzen. Wer zum Osterfest dem Osterbock zu intensiv zuspricht, erlebt womöglich eine Störung des Gleichgewichtssinns – was die Ausrede nahelegt, ihn habe „der Bock gestoßen“. So wurde immer wieder die Entstehung des Begriffs Bockbier erklärt. Nur: Diese Erklärung stimmt nicht.

"Zapf hinein, Bock heraus! Böcklein springt in jedes Haus!"

Denn die Bezeichnung des Bockbieres leitet sich nämlich von der niedersächsischen Stadt Einbeck ab, die schon im Mittelalter einen glänzenden Ruf als Zentrum der Braukunst hatte. Einbeck war Mitglied der Hanse und hanseatische Kaufleute brachten Einbecker Bier in ihre diversen Handelsniederlassungen – wobei sich dieses Bier dadurch ausgezeichnet hat, dass es lange Transportwege gut überstanden hat. Um diese Haltbarkeit zu erreichen, haben die Braumeister die Biere besonders stark (also mit hoher Stammwürze) eingebraut – Einbecker Bier soll von der Schola Medica Salernitana, der im Mittelalter führenden Medizinischen Fakultät in Salerno, als „vinum bonum“ qualifiziert worden sein. Stark wie Wein und womöglich auch ein wenig säuerlich.

Solches Bier war eher etwas für zahlungskräftiges Publikum – und galt als wertvolles Geschenk. So kam es auch an den Hof nach München, wo das „Ainpöckisch Pier“ bald als „Oanböck“ und schließlich als „a Bock“ ausgesprochen worden ist. Ab 1614 werkte ein Braumeister aus Einbeck am Hofbräuhaus und stellte unter anderem ein solches Bier nach Einbecker Art her.

Bockbier galt als wertvolles Geschenk.

Ein durchaus festliches Getränk – was zum nächsten Missverständnis über das Bockbier führt. Zwar wird sich das starke und haltbare Brauereierzeugnis gut neben den wegen der kleinen Eiszeit zu Beginn der Neuzeit rarer gewordenen Weinen bewährt haben. Aber die eigentliche Bedeutung hatte das Bockbier eben nicht beim Festessen zu Ostern oder zu Weihnachten. Sondern in den Fastenzeiten davor.

Dazu muss man wissen, dass für Fastenzeiten (bis 1917 vor Weihnachten und bis heute vor Ostern) der Grundsatz galt, dass Flüssiges das Fasten nicht bricht: „Liquidum non frangit ieiunium.“ Wer streng fastete, konnte seinem Körper die benötigte Energie durchaus in flüssiger Form zuführen: Bier galt ja als „flüssiges Brot“ und je mehr Malz im Brauprozess eingesetzt wurde, desto nahrhafter war das Bier – mit dem vielleicht nicht ganz unerwünschten Nebeneffekt, dass der höhere Alkoholgehalt des Oster- oder Weihnachtsbocks eben auch die Stimmung gehoben hat: Auch wenig musikalische Menschen werden sich daraufhin berufen gefühlt haben, in die Choräle einzustimmen.

Und für die klösterlichen Brauereien war es ein willkommenes Zusatzgeschäft, gläubigen Bierfreunden in den Fastenzeiten ein starkes Bier anbieten zu können, das mit gutem Gewissen genossen werden konnte (Fahrtüchtigkeit war damals ja noch kein Thema).

Ein Kloster hat sich dabei besonders hervorgetan: Das 1617 bis 1799 bestehende Paulanerkloster im Münchner Stadtteil Au lud zur Mitte der Fastenzeit den Landesherrn zur Verkostung des dort gebrauten St. Vater Bieres. Dieser wurde mit dem Spruch „salve pater patriae, bibas princeps optimae“ und einem Humpen des Starkbiers begrüßt. Solange der Herzog seinen Krug nicht ausgetrunken hatte, hatte der Cellerar, also der für den Keller zuständige Mönch, das Recht, im Namen des Volkes dem hohen Herrn Vorhalte wegen der Missstände in Regierung und staatlicher Verwaltung zu machen.

Bis heute hat sich in München der Brauch erhalten, beim in der Mitte der Fastenzeit angesetzten Anstich des Salvator-Doppelbocks der (heute weltlichen) Paulaner Brauerei auf dem Nockherberg die anwesenden Politiker zu „derblecken“, also mehr oder weniger freundlich zu verspotten. Man sagt, dieses Ritual gehöre zum Zweitschlimmsten in einem bayrischen Politikerleben – schlimmer sei nur, wenn man gar nicht erwähnt würde, dann gelte man in Bayern nämlich gar nichts!

Dabei nehmen die Bayern das Starkbier sehr ernst, ernster wohl als den religiösen Gehalt des Osterfestes, das den Hintergrund zum Genuss von Starkbier liefert. Nur wenn es 18 Grad Stammwürze hat, also ein Doppelbock ist, darf es eine Bezeichnung tragen, die (in Anlehnung an den Salvator) auf „-ator“ endet – das geht dann vom „Animator“ (Hacker Pschorr) über den „Maximator“ (Augustiner) bis zum „Triumphator“ vom Löwenbräu. Diese Biere werden dann in der zweiten Hälfte der Fastenzeit ausgeschenkt. Manche Münchner entwickeln den Ehrgeiz, in der „fünften Jahreszeit“ zumindest alle Starkbiere der Stadt zu verkosten. Wenn es sich ausgeht, womöglich auch die des Umlands. Das Prösslbräu auf dem Adlersberg bei Regensburg bietet sein Starkbier überhaupt ganzjährig an – den traditionellen Anstich des neuen Jahrgangs vom „Palmator“ legt es aber stets auf den Palmsonntag.

"Flüssiges bricht das Fasten nicht."

Und bei uns in Österreich? Da führen die österlichen Bockbiere ein bescheidenes Nischendasein – nicht einmal die Klosterbrauereien nehmen mit ihren Starkbieren auf den Osterfestkreis Bezug. Das Salzburger Augustinerbräu (das mit jenem in München nichts zu tun hat) bietet in der Fastenzeit ein Fastenbier deutlich unter Bockbierstärke an. Schremser hat ein bockbierstarkes Osterbräu und ausgerechnet die zum Heineken-Konzern gehörende Zipfer Brauerei nimmt mit seinem Josefi-Bock korrekt auf die Fastenzeit Bezug, liegt der Feiertag des Heiligen Josef am 19. März doch stets in der Fastenzeit.

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  • Conrad Seidl
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