Das Comeback des Himmels

Theologe Johannes Huber
Ausgabe Nr. 40
  • Theologie
Autor:
Erfahren Sie, wie die Weisheiten des Mittelalters Ihnen Gelassenheit in der hektischen modernen Welt schenken können. ©Keegan Houser
Johannes Huber: „Jeder Mensch ist im weitesten Sinn ein Mediziner, ein Arzt, der dem anderen helfen und ihn unterstützen soll.“ ©Lukas Beck

Johannes Huber über den Himmel auf Erden und die spirituelle Essenz des Christentums. Entdecken Sie die Gelassenheit in der heutigen hektischen Welt. Lesen Sie mehr über den Pfad zur himmlischen Erleuchtung.

Wir leben in einer sehr aufregenden und aufgeregten Zeit. Die Menschen sind nervös, sie sind hektisch und vergessen dabei, dass wir alle ein Ablaufdatum haben“, sagt der Wiener Mediziner und Theologe Johannes Huber im Gespräch mit dem SONNTAG. Der Bestsellerautor hat die „Nachfolge Christi“ des mittelalterlichen Theologen und Mystikers Thomas vom Kempen gleichsam „modernisiert“ und mit dem Titel „Die Himmelsleiter“ in die Sprache unserer Zeit gebracht. „Die Nachfolge Christi“ ist das bis heute meistgelesene christliche Werk nach der Bibel. „Thomas von Kempen macht uns darauf aufmerksam, dass wir mit einer gewissen Ruhe und Gelassenheit dieses Dasein leben und erleben mögen. Weil wir eben einen Endpunkt haben und das ist der Tod, der jedem von uns bevorsteht“, betont Huber.

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Wie konnte Thomas von Kempen mit der „Nachfolge Christi“ („Imitatio Christi“) den spirituellen Kern des Christentums freilegen?

JOHANNES HUBER: Der spirituelle Kern des Christentums besteht zweifellos darin, dass man diese Welt nicht zu wichtig nehmen soll. Das war im Mittelalter ein Thema und ist heute ein noch viel größeres Thema. Wenn man sich die Schriften von ihm durchliest, dann merkt man die Relativität unserer Aufregungen. Hier Hilfe für die Gestaltung unseres Lebens zu bekommen, ist eine besondere Note der „Nachfolge Christi“.

Sie erinnern dabei immer wieder an die notwendige Tugend der „Gelassenheit“. Warum?

Die Tugend der Gelassenheit brauchen wir deswegen, weil unser vegetatives Nervensystem uns im Überlebenskampf immer wieder aufregt, was ja auch seine Vorteile hat. Allerdings hat man in der Jetztzeit den Eindruck, dass die Aufregung überbordend ist, und deswegen ist die Gelassenheit in besonderer Weise gefordert.

Sie beklagen in Ihrem Buch, dass die verfügbare Verbindung zwischen den Dimensionen, die Spiritualität, oft zu kurz kommt ...

Ja, manches wird nicht so verkündet, dass es die Menschen anspricht und berührt. Denn die Menschen sehnen sich nach Spiritualität, sie sehnen sich nach letzten Antworten und nicht nur danach, dass – überspitzt formuliert – Flüchtlingsboote gesegnet werden. So wichtig dieser Akt möglicherweise auch sein kann. Für Kardinal Franz König war das Zentrum des Christentums immer die Osterkerze. Das wird meines Erachtens viel zu wenig thematisiert. Man münzt das Christentum um in Charity oder in Caritas. Das sind alles wichtige Dinge. Aber die Hauptbotschaft ist und bleibt die Osterkerze. Nämlich: Wir haben hier ein Ablaufdatum, und nach dem Ablaufdatum geht es eigentlich weiter. Und das ist die Kernverkündigung des Christentums. Die kirchlichen Verantwortlichen sollten keine Mühen scheuen, um das tagtäglich zu verkünden.

„Bespaßt und belohnt zu werden, das ist die Maxime der Massen.“

Johannes Huber

Sie üben auch Gesellschaftskritik: Die westliche Welt „schwelge im Endorphinrausch“. Was verstehen Sie darunter?

Dass man das irdische Glück verabsolutiert und meint, in dieser Welt quasi die letzte Glückseligkeit zu finden. Bespaßt und belohnt zu werden, das ist die Maxime der Massen. Das ist natürlich ein großer Irrtum. Denn unsere diesseitige Welt ist begrenzt. Jeder von uns hat ein Ende. Und den hedonistischen Zug, den wir in unserem Alltag sehen, den bemerkt man ja schon, wenn man Fernseh- oder Radioprogramme konsumiert und mehr oder weniger nur Vergnügungssucht und hedonistische Thematik bekommt. Meines Erachtens sollte man nicht fragen: Was hast du heute für Unterhaltungen gemacht oder welche Unterhaltungen hast du heute vor? Sondern: Was hast du heute geleistet, was hast du heute Gutes getan? Das wäre auch eine Frage, die die Medien öfter stellen könnten. Das geht mir sehr ab.

Haben wir nicht dennoch so etwas wie ein Anrecht auf einen Himmel auf Erden?

Das ist richtig. Der Himmel auf Erden ist etwas, was wir anstreben sollen. Allerdings müssen wir auch wissen und bedenken, dass nach dem Sündenfall der Himmel auf Erden begrenzt ist. Den wirklichen Himmel kann es erst in einer anderen Form, in einer anderen Welt geben.  

Sehr poetisch klingt in Ihrem Buch die Formulierung: „Wir sind alle Sternenstaub im unendlichen Kosmos“. Warum sind wir Sternenstaub?

Weil unsere Bestandteile, nämlich Wasserstoff, Sauerstoff und Kohlenstoff, aus dem Weltall kommen und wir Teil des großen Universums sind. Und auch das tut dem Evangelium und dem gläubigen Menschen keinen Abbruch. Wir sind Teil eines großen Universums und sind Teil einer Entwicklung, einer Evolution, die teilweise unser Gehirn übersteigt.

Letztlich gehe es darum, wie Sie schreiben, dass wir „lieben und geliebt werden“ ...

Weil man damit auf den anderen zugeht und dem anderen und nicht nur sich selbst etwas Gutes zufügt. Persönlich glaube ich, dass das auch ein charakteristischer Zug des Herzens ist. Denn der Arzt hat die Aufgabe, dem anderen zu helfen, den anderen zu heilen. Und das wäre natürlich etwas, was im weitesten Sinn jeder Mensch ist. Jeder Mensch ist im weitesten Sinne ein Mediziner, ein Arzt, der dem anderen helfen und ihn unterstützen soll.

Die Spitze der Himmelsleiter nennt Thomas von Kempen „Erleuchtung“. Wie gelangen wir dorthin?

Durch tägliches Üben. Das Wort für „üben“ im Griechischen heißt „askein“. Askese ist also eine Übung, ein Training. Unser ganzer Planet ist eigentlich ein asketischer Planet. Wir müssen auf dieser Welt üben, um besser zu werden, nicht nur finanziell, sondern auch in unserer Persönlichkeit. Insofern glaube ich, dass das Wort Askese hier tatsächlich ins Schwarze trifft.

Sie schreiben auch, dass wir uns einmal am Tag „sammeln“ sollten. Was empfehlen Sie?

Hier gibt es mehrere Möglichkeiten. Man kann sich in der Früh sammeln, bevor man den Tag beginnt. Man kann sich am Abend sammeln, indem man sich selbst vor einen „Untersuchungsausschuss“ stellt und überlegt: Was habe ich während des Tages falsch gemacht? Was hätte ich besser machen können? Das betrifft bis zu einem gewissen Grad auch den freien Willen des Menschen, der ja oft hinterfragt und relativiert wird. Tatsächlich ist vieles vorgegeben, was wir sagen und was wir machen. Allerdings ist der Mensch das einzige Lebewesen, das die Möglichkeit hat, selbst wenn er in einem unfreien Akt etwas getan hat, dass er diesen unfreien Akt nachher überlegt, beurteilt und in einem zweiten Akt es dann besser macht. Und das ist der wirkliche freie Wille, nicht in der primären Reaktion unbedingt frei zu sein, das kann limitiert sein, sondern in einem sekundären Akt zu erkennen, dass man etwas nicht richtig gemacht hat und das dann auch korrigiert.

Stichwort „Üben“ und „Trainieren“. Sie schreiben auch, dass wir die Seele „trainieren“ sollten. Wie gehen wir mit diesem, wie Sie ihn nennen, „Gottes Muskel der Transzendenz“ richtig um?

Indem man auch das Seelische und das Geistige einer Prüfung unterzieht und sich nicht nur überlegt: Wie habe ich heute meinen Körper trainiert? Wie viele Kilometer bin ich gelaufen? Sondern sich fragt:  Was habe ich auch für meinen inneren Körper getan, das heißt für meine Seele? Auch das wäre eine Überlegung, ein Training wert.

Nicht das Vaterunser, sondern ein anderes Gebet ist für Sie das berühmteste und vielleicht sogar das wichtigste: „Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“ Wie begründen Sie dies?

Die Erzählung vom Hauptmann von Kafarnaum (Matthäusevangelium 8,5–13), dem dieses Wort in den Mund gelegt wird, zeigt damit relativ klar, dass wir sündige Menschen sind und dass wir in unserer Wichtigtuerei uns zurücknehmen mögen. Dieses Gebet mag vielleicht nur in überspitzter Weise genauso wichtig sein wie das Vaterunser. Aber es ist sicher ein wichtiges Gebet, auf das man tagtäglich reflektieren soll.

Warum ist das Buch des Thomas von Kempen so etwas wie ein „Rettungsplan“ für unseren Planeten?

Weil er das Überborden des Genusses limitieren möchte. Das würde natürlich auch viele Kalorien einsparen bzw. viele Emissionen reduzieren. Die hedonistische Welt lebt davon, dass sie Emissionen benötigt und freisetzt. Und wenn der Hedonismus reduziert werden kann, dann können möglicherweise auch die Emissionen weniger werden.

Sie kommen auch immer wieder auf das Maßhalten zu sprechen. Wie kann das gelingen?

Indem man die Natur betrachtet und den menschlichen Körper studiert. Der ist voll vom Maßhalten. Wenn Sie Hunger haben und etwas essen, wird gleichzeitig auch etwas freigesetzt, das ihnen sagt, dass Sie das Essen beenden sollen. So geht das bei vielen biologischen Reaktionen. Wenn wir Dinge in unserem Leben machen, müssen wir versuchen, dabei das richtige Maß zu finden. Da gibt es Gegenreaktionen, die unser Körper uns signalisiert. Wir müssen diese Signale ernst nehmen und auch erkennen.

„Was habe ich für meinen inneren Körper getan, was für meine Seele?“

Johannes Huber

Autor:
  • Stefan Kronthaler
  • Stefan Hauser
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