Die erste Christin Europas

Biblische Gestalten: Lydia
Ausgabe Nr. 23
  • Theologie
Autor:
Ikonen-Darstellung von Lydia
Die Orthodoxie, das östliche Christentum, verehrte die Purpurhändlerin Lydia als Heilige, im westlichen Christentum gibt es kaum bildliche Darstellungen der ersten Christin Europas. ©Eva Ebel
Dozentin Eva Ebel
Eva Ebel ist Dozentin für Didaktik des Faches Religionen, Kulturen, Ethik in Zürich. ©Privat/Eva Ebel

Lydia wird in der bildenden Kunst der westlichen Kirche kaum dargestellt. Auch wenn die Apostelgeschichte nur wenig von ihr erzählt, so ist sie doch eine faszinierende Vertreterin des frühen Christentums, wie die Schweizer Professorin Eva Ebel gegenüber dem SONNTAG erläutert.

 

Sie ist die erste Christin Europas, wenn wir heutige geographische Maßstäbe anlegen: die Purpurhändlerin Lydia aus Philippi (Griechenland). Das westliche Christentum hat Lydia kaum bildlich dargestellt, während das östliche Christentum, die Orthodoxie, Lydia als Heilige verehrt (Gedenktag: 20. Mai) und diese starke Frau mit Ikonen würdigt. Nur ein paar Verse in der Apostelgeschichte (Kapitel 16) erzählen von Lydia.  Eva Ebel, Direktorin am Gymnasium und Institut Unterstrass und Dozentin für Didaktik des Faches Religionen, Kulturen, Ethik am Institut Unterstrass in Zürich, über eine unbekannte Frau.
 

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Interview Teil 1

Was bedeutet der Name „Lydia“ und was ist gemeint, dass sie laut Apostelgeschichte ein „eigenes Haus“ besaß?

EVA EBEL: Der Name Lydia bezieht sich in der Antike nahezu ausnahmslos auf die Landschaft Lydien an der Westküste der heutigen Türkei. Der Name ist also eine Herkunftsangabe: „die Lydierin“. Sklavinnen und Sklaven werden oftmals nach der Landschaft benannt, aus der sie stammen oder in der sie gekauft worden sind. Der Name Lydia ist also möglicherweise ein Hinweis darauf, dass Lydia eine gewisse Zeit in ihrem Leben eine Sklavin war. Vielleicht ist er aber auch nur eine Anspielung auf ihre z.B. an der Sprache stets erkennbare Herkunft aus der lydischen Stadt Thyateira, derentwegen weil sie in Philippi als Fremde auffällt und deshalb in der ganzen Stadt als „die Lydierin“ bekannt ist. Als Lydia aber Paulus in Philippi begegnet, ist sie keine Sklavin (mehr), sondern hat ein „eigenes Haus“. Sie ist eine Hausbesitzerin und steht dem darin lebenden Haushalt vor, zu dem Kinder, Angestellte und eventuell sogar Sklavinnen und Sklaven gehören können. Von dem „Haus“ einer Frau spricht man in der Antike nur, wenn es keinen männlichen Hausvorstand gibt, das heißt Lydia ist unverheiratet oder verwitwet.

Biblische Gestalten: Lydia die Purpurhändlerin

Was kann man sich unter ihrem Beruf – Purpurhändlerin – vorstellen?   
Der Farbstoff Purpur wird in der Antike aus verschiedenen im Mittelmeer lebenden Schneckenarten gewonnen, die auf dem hohen Meer mit Reusen gefangen oder unter beträchtlicher Gefahr für die Taucher an Felsen und Klippen gesammelt werden. Für die Färbung werden Tausende von Schnecken benötigt. Die purpurgefärbten Produkte, mit denen Lydia handelt, sind deshalb nur für wohlhabende Menschen erschwinglich und ein Statussymbol. Lydias Kundinnen und Kunden gehören folglich der Oberschicht an. Als Purpurhändlerin muss sie recht große finanzielle Reserven haben, denn die teuren Waren müssen eingekauft, transportiert und gelagert werden.
 

Interview Teil 2

Inwiefern ist Lydia eine jüdisch beeinflusste Frau, eine „Gott Verehrende“?
„Gott Verehrende“ sind Menschen, die dem Judentum nahestehen, mit ihm sympathisieren und viele jüdische Glaubens- und Lebensregeln einhalten, ohne jedoch vollständig zum Judentum überzutreten. Lydia und andere „Gott verehrende“ Frauen in Philippi haben die Gewohnheit, sich am Schabbat an einer Stätte außerhalb der Stadt zum Gebet zu versammeln. Die christlichen Missionare Paulus und Silas gehen gezielt dorthin, weil sie dort auf Menschen treffen, die an den einen Gott der Juden und Christen Glauben und die mit den Regeln, Begriffen und Glaubensvorstellungen vertraut sind, welche das Christentum aus dem Judentum übernommen hat. „Gott Verehrende“ sind also erfolgversprechende Adressatinnen und Adressaten ihrer Predigt.

Die Taufe Lydias

Was ist mit der „Taufe des Hauses“ gemeint?
Lydia lässt nach dem Text der Apostelgeschichte nicht nur sich selbst taufen, sondern auch ihr „Haus“, also ihre Familie und alle, die zu ihrem Haushalt gehören. Für uns heute wirkt das eher befremdlich, es klingt nach Zwang. Gerne wüssten wir, wie viele Personen das waren, ob es sich dabei um Frauen, Männer oder Kinder gehandelt hat und vor allem ob sie mit der neuen Religion einverstanden waren und ob auch sie zuvor über christlichen Lehren unterrichtet wurden oder einfach der Anweisung der Hausherrin folgten. Im Bericht der Apostelgeschichte zeigt die Taufe eines „Hauses“ an, dass nun in Philippi der Kern einer Gemeinde vorhanden ist, der sich in Lydias Haus versammelt.
 

Interview Teil 3

Warum ist Lydia eine typische Vertreterin der frühen Christinnen?
Die ersten Christinnen stammen wie Lydia mehrheitlich aus der Unter- und Mittelschicht. Für sie ist die neue Religion auch aus sozialen Gründen attraktiv. Lydia kommt sowohl innerhalb der Stadt Philippi als auch im Kontext der jüdischen Religion lediglich eine Randstellung zu: Sie ist eine unverheiratete Frau und eine zugezogene Griechin ohne Bürgerrecht in der Stadt Philippi, also an ihrem Wohn- und Arbeitsort von den politischen Entscheidungsprozessen und erst recht von einer öffentlichen Ämterlaufbahn ausgeschlossen. Sie ist eine „Gott Verehrende“ und erfährt somit von Jüdinnen und Juden keine vollwertige Anerkennung. Nach der Annahme des neuen Glaubens jedoch kann sie unter den Christinnen und Christen eine Führungsposition, Ansehen und Einfluss erlangen. 

Lydia: Die erste Christin Europas

Warum ist Lydia gleichsam Europas erste Christin?
Aus unserer heutigen Sicht ist der Schritt vom kleinasiatischen Alexandria Troas zum makedonischen Philippi der Schritt von Asien nach Europa. Diese Überfahrt wird von Lukas durch eine nächtliche Vision des Paulus und die Benennung der Reiseroute auffällig ausgestaltet (Apg 16,9–12). Einige Forscher sind jedoch der Meinung, dass diese deutliche Markierung nicht den Wechsel des Kontinents betont, sondern deshalb von Lukas so hervorgehoben wird, weil er selbst in Philippi beheimatet ist und die dortigen Ereignisse und die Bedeutung seiner Heimatstadt für die Verbreitung des Christentums hervorheben möchte. 

Autor:
  • Stefan Kronthaler
    Stefan Kronthaler
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