Die biblische Gestalt Judit im Fokus

Warum tötet eine schöne Witwe?
Ausgabe Nr. 14
  • Theologie
Autor:
Judit mit dem abgeschlagenen Haupt des Holofernes
Judit in der Malerei: Sandro Botticelli, Judit mit dem Haupt des Holofernes (um 1500). ©akg-images/picturedesk.com

Die reiche und mutige Witwe Judit macht den Auftakt der neuen SONNTAG-Serie über faszinierende Gestalten aus dem Alten und Neuen Testament. Bekannt ist die biblische Gestalt Judit als Mörderin mit dem blutigen Kopf des getöteten Holofernes, die Künstler inspiriert. Spirituell betrachtet steht Judit für eine tiefe Gottesbeziehung.

Nach der heldenhaften Witwe Judit, die angesichts der Bedrohung durch Truppen den feindlichen Feldherrn tötet, ist ein biblisches Buch benannt, mit dem der SONNTAG diese Serie eröffnet. Elisabeth Birnbaum, die Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerkes, erläutert die biblische Gestalt Judit, den Inhalt des Juditbuches und beantwortet die Frage, ob dieser Tyrannenmord ethisch vertretbar ist.

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Was fasziniert Sie persönlich an der biblischen Gestalt der Judit?

ELISABETH BIRNBAUM: Für mich ist Judit vor allem ein Beispiel, was eine tiefe Gottesbeziehung bewirkt. Diese Gottesbeziehung macht sie mutig, klug und selbstbewusst, und ermöglicht ihr, von Äußerlichkeiten unabhängig zu sein. Judit ist schön und reich und angesehen, aber sie kann darauf verzichten, sie muss das nicht zur Schau stellen. Sie richtet sich auf Gott aus und kann deshalb klar sehen und denken: Sie macht sich keine Illusionen wie Holofernes, verfällt aber auch nicht in Panik wie ihre Mitbürger. Sie erkennt vielmehr als einzige, was die Situation erfordert, und handelt effizient und überlegt. Sie tut all das und nur das, was nötig ist, um ihr Volk zu retten. Auf Gott hören, die Welt sehen, wie sie ist, und dann angemessen handeln. Das ist ein Dreischritt, der mich beeindruckt.

Wie lässt sich die Botschaft des Buches Judit in wenigen Sätzen erklären?

ELISABETH BIRNBAUM: Gott führt militärische Macht ad absurdum und befreit die, die an ihn glauben, aus Unterdrückung und Gewalt.

Judit begeht gleichsam einen Tyrannenmord. Wie verhält sich dieser Mord zur Weisung Gottes, etwa des Dekalogs, nicht zu töten? Judit täuscht de facto und beabsichtigt die direkte Tötung eines Menschen. Darf man einen töten, um viele zu retten?

ELISABETH BIRNBAUM: Zuerst zum Dekalog: Der Dekalog meint eigentlich nicht: Du sollst nicht (egal unter welchen Umständen) töten, sondern: Du sollst nicht morden. Was Mord ist, muss dabei natürlich jeweils neu definiert werden. Ob die biblische Gestalt Judit von Anfang an die Absicht hatte, Holofernes zu töten, wird gar nicht erzählt. Fakt ist, dass sie unbewaffnet zu ihm geht und dabei riskiert, vergewaltigt zu werden. Dass er genau das vorhat, wird explizit gesagt. Deshalb bleibt er auch mit ihr allein im Zelt. Da er sich aber aus Vorfreude sinnlos betrinkt und quasi bewusstlos auf sein Bett sinkt, nützt sie die Gelegenheit, nimmt das Schwert, das er auf dem Bettpfosten aufgehängt hat, und schlägt zu. Die Frage nach dem Tyrannenmord stellt sich aber natürlich, wenn man das Buch aus einer politischen Perspektive sieht. Das hat auch die Rezeption oft getan. Die Antwort hängt davon ab, wen man als Tyrannen ansieht. Tatsache ist, dass Judit mit einem Minimum an Gewalt ein Maximum an Frieden erzielt. Man darf nicht vergessen, dass Nebukadnezzar die „ganze Welt“ unterwerfen und größtenteils töten wollte. Neuere Beispiele für solche weltgefährdenden Menschen wären Hitler oder Osama Bin Laden. In Bezug auf Hitler hat Dietrich Bonhoeffer einmal gesagt: „Wenn ein Betrunkener mit dem Auto fährt, genügt es nicht, das Opfer unter dem Rad zu verbinden, man muss dem Rad selbst in die Speichen fallen.“

Das Buch hat aber, grob gesagt, drei Aspekte: den theologischen Aspekt, den politischen und den geschlechterspezifischen. Der wichtigste Aspekt dabei ist nicht der politische, sondern der theologische: Wie auch beim Exodus steht der Kampf zwischen Gott und einem selbst ernannten Gegen-Gott im Vordergrund: Wer ist der wahre Gott? Der Assyrerkönig Nebukadnezzar, der die ganze Welt mit Krieg, Gewalt und Unterdrückung überzieht, oder der Gott Israels, der Gewalt und Krieg ein Ende setzt.

Judit ist eine Witwe und reich. Was bedeutet das im Vergleich zu den sonstigen Erwähnungen von Witwen in der Bibel als schutzbedürftigen Personen?

ELISABETH BIRNBAUM: Das ist eine der vielen Ambivalenzen der biblischen Gestalt Judits: Sie ist Witwe, aber nicht wie sonst die biblischen Witwen, arm, hilflos und schutzbedürftig. Sie ist schön, aber kleidet sich in Trauergewand und macht sich nur für ihre Tat eigens schön. Sie ist Frau und unbewaffnet und ist dennoch stärker als ein ganzes militärisch hochgerüstetes Heer. Dahinter steckt wohl, dass in der Person der Judit beispielhaft das gesamte jüdische Volk gesehen werden soll.

Auffällig sind im Buch Judit die vielen Gebete und Reden. Welche Funktion haben sie?

ELISABETH BIRNBAUM: Das Juditbuch ist eine Lehrerzählung. Es verdichtet Befreiungserfahrungen, die Israel mit seinem Gott gemacht hat, die allesamt nach dem Schema „Klein besiegt Groß“ laufen. Es hat daher viele Anklänge an andere Befreiungserzählungen vom Exodus über Debora, Jaël und Sisera, bis hin zu David und Goliat. Doch das Juditbuch erzählt nicht nur, sondern vermittelt die theologische Botschaft dahinter, dass Gott immer und immer wieder sein Volk befreit. Dazu dienen die Gebete und Reden. Dort werden diese Botschaften entfaltet, vor allem von der biblischen Gestalt Judit selbst. Sie erweist sich damit als Theologin und weise Frau, die etwas von Gottes Handeln erkannt hat, was die Lesenden auch erkennen sollen.

Warum sollen Katholikinnen und Katholiken das Buch Judit lesen?

ELISABETH BIRNBAUM: Da gibt es viele Gründe: a) Es gehört zur Bibel; b) es ist eine sehr lehrreiche Erzählung darüber, wie Gott Macht ausübt und wie nicht; c) Es regt zu vielen Diskussionen an, von theologischen über politischen bis zu Gender-Fragen; d) Es ist spannend zu lesen; Und e) es ist nicht zuletzt auch unterhaltsam. Wie das kleine, winzige Betulia gegen die Großmacht der Assyrer siegt, wie sich der selbstherrliche Holofernes selbst kampfunfähig macht, wie die biblische Gesalt Judit die Eitelkeit des Holofernes nützt, das hat durchaus satirische Züge. Es gibt also eigentlich keinen Grund, es nicht zu lesen.

Autor:
  • Stefan Kronthaler
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