„Wir haben viele Mini-Trumps“
Sommergespräche - Teil 3
Stefan Hauser, Chef der Wortredaktion von radio klassik Stephansdom, hat mit Othmar Karas gesprochen.
Othmar Karas Blick auf Europa
Welchen Blick legen Sie gegenwärtig auf Europa?
Othmar Karas: Wenn wir über Europa reden, müssen wir uns einmal anschauen, was sich derzeit global und geopolitisch abspielt. Die Welt wird neu geordnet. Aus dem reinen Ost-West-Konflikt sind immer mehr regionale Konflikte geworden. Die Herausforderungen sind vielfältig, wenn ich an den Klimawandel und an die Migration denke, aber auch an die Frage von Krieg und Frieden, jene von Abhängigkeiten, Lieferketten, Versorgungssicherheiten, Gesundheitsfragen und jene der Pandemie. Diese globalen Herausforderungen führen auch zunehmend zu gesellschaftspolitischen und ordnungspolitischen Auseinandersetzungen.
Das heißt wir stehen unter Druck von außen?
Ich bin ein Optimist, dass das europäische Projekt, die europäische Idee, die eigentlich die Antwort war auf die Erfahrungen von zwei Weltkriegen, von Bürgerkriegen, Antisemitismus, Hass, Gewalt und Diktaturen war, dass dies auch heute die Antwort ist, diese lautet: Bündnisse stärken und Zusammenarbeit intensivieren.
Othmar Karas: "Die Neutralität ist ja eine militärische und keine Werteneutralität"
Welche Rolle billigen Sie der immerwährenden Neutralität Österreichs heute noch zu?
Österreich hat 1998 nach einem sehr intensiven Diskussionsprozess die Verfassung geändert und in diesem neuen Artikel steht sehr deutlich drinnen, dass die immerwährende Neutralität nicht im Widerspruch zu einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa steht. Der damalige Außenminister und spätere Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat das auf den Punkt gebracht: ‚wir sind in Europa solidarisch und nicht neutral‘. Ich glaube, dass wir angesichts der geopolitischen Veränderungen und des Angriffskriegs Russlands gegenüber der Ukraine, aber auch bei der Situation in Gaza und darüber hinaus, eindeutig gefordert sind. Die Neutralität ist ja eine militärische und keine Werteneutralität. Es gibt keine Neutralität zwischen Krieg und Frieden und keine zwischen Diktatur und Freiheit. Daher sind wir gefordert und ich bin fest davon überzeugt, dass wir weder eine Neutralitätsdebatte, noch eine NATO-Debatte benötigen, sondern eine sicherheits- und verteidigungspolitische Debatte.
Sie haben nun ihr Debüt als Präsident des Europäischen Forums Alpbach. Was steht thematisch an?
Wir beschäftigen uns heuer mit der Frage „Recharge Europe“. Dabei sind wir alle gefordert und können nicht den Status quo gegenüber der Zukunft verteidigen. Vier Themenfelder stehen im Fokus. Es geht um die Schaffung der Europäischen Energieunion, als auch einer Sicherheits- und Verteidigungsunion, einer Investitionsunion, Kapitalmarktunion und es geht um die Verteidigung unserer liberalen Demokratie und die dazugehörigen Grundprinzipien.
Die Rolle des Glaubens für Othmar Karas
Wo verorten Sie Europa was Demokratiepolitik anlangt?
Die Europäische Union ist noch immer der demokratischste und der rechtsstaatlichste Teil dieser Welt. Das ist eine enorme Chance für die EU. Und die Gefährdung dieses Rechtsstaatsprinzips, Demokratieprinzips, dieses Parlamentarismus als offene Debattenkultur, und der Suche nach demokratischen Mehrheiten und Kompromissen, soll weiterhin ein großes Aushängeschild der Europäischen Union sein. Daher müssen wir nach innen wie nach außen wachsam sein. Wir sind vielfach bedroht. Das ist eine globale Angelegenheit, weil wir viele Mini-Trumps haben, nicht nur in Österreich, sondern in Europa und auf der ganzen Welt. Das ist genau die Auseinandersetzung Autokratie oder liberale Demokratie. Mein Punkt ist die Stärkung der Zusammenarbeit, des solidarischen Miteinanders und ein ehrlicher Umgang mit den Herausforderungen, Problemen und Krisen. Denn wenn wir uns nicht ehrlich dieser Auseinandersetzung stellen, dann gewinnen die Rattenfänger, die uns die einfache Antwort versprechen - die es nicht gibt - und die immer nur wissen, wer schuld ist, statt zu wissen, wer Verantwortung zu übernehmen hat.
Welche Rolle hat der Glaube in Ihrem Leben?
Eine große. Es gibt den schönen Satz, der heißt, ohne Glaube keine Hoffnung. Und die Frage ist ja immer nur, woran glauben wir, was wollen wir und was sind die Prinzipien, nach denen man sein Handeln richtet. In diesem Sinne unterscheide ich auch sehr oft zwischen dem, was die Amtskirche tut und wie sie sich im Alltag verhält und dem, was die Botschaft sein sollte. Und ich orientiere mich an der Botschaft.

Sommergespräch: Othmar Karas
Das Interview mit dem Präsidenten des Europäischen Forums Alpbach in voller Länge hören Sie am Montag, 21. Juli 2025, 17:30 Uhr. ▶ radioklassik.at