Wie mit Leid sinnvoll umgehen?

Passionswege
Ausgabe Nr. 7
  • Soziales
Autor:
Alexander Batthyány
Alexander Batthyány: Das Anerkennen der Wirklichkeit ist der erste Schritt auf dem Weg zur Heilung. ©Privat

Entdecken Sie das Konzept des "tragischen Optimismus". Wie es uns lehrt Hoffnung zu bewahren, trotz des Leidens im Leben und sinnvolle Wege zu finden.

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Leid, Krankheit und Tod, die „tragische Trias“, wie Viktor Frankl sie nennt, sind, so sehr wir uns auch bemühen, offenbar etwas, um das wir im Leben nicht herumkommen.

Alexander Batthyány: Frankl war da durchaus realistisch – er war ja nicht zuletzt Arzt und hat als Überlebender von vier Konzentrationslagern viel Leid bezeugen müssen. Frankl prägte in diesem Zusammenhang den „tragischen Optimismus“, also die Idee, dass wir dem Tragischen realistisch ins Auge blicken, zugleich aber die Hoffnung nicht aufgeben: Keinem menschlichen Leben bleiben Leid, Schuld und die eigene Sterblichkeit, bzw., was manchmal noch tragischer ist, der Tod geliebter Menschen, erspart. Dabei hielt Frankl die Frage nach dem Warum des Leidens interessanterweise für innerweltlich unbeantwortbar – hier ist der Psychiater auch gar nicht mehr zuständig.

Aber er sah eine weitere Frage, bzw. Anfrage im Leiden – keine theoretische, sondern eine tätige: Hier ist Leid. Das mag ich verstehen oder nicht, aber jetzt erst einmal steht etwas anderes im Mittelpunkt: Was kann ich für jemanden tun, der leidet? Oder wie kann ich mit meinem eigenen Leid würdevoll umgehen, vielleicht gar daran innerlich wachsen, auf dass ich später einmal, wenn es überwunden ist, anderen beistehen kann, die sich in einer ähnlichen Situation befinden? Dass ich ihnen sagen kann, was nur jemand glaubwürdig bezeugen kann, dem das Leid aus eigener Anschauung vertraut ist: „Ich weiß, was dir gerade geschieht. Und ich bleibe bei dir.“ 

Es ist schon bemerkenswert, dass gerade im Leid das Menschlichste des Menschen sichtbar werden kann. Wobei Frankl sehr klar unterschied zwischen änderbarem und unabänderlichem Leid. Der Auftrag, der von ersterem ausgeht, ist klarerweise, es zu beheben. Aber beim unabänderlichen Leid – das ist eigentlich eine Art Testfall unserer Menschlichkeit, in vielerlei Hinsicht.

Viktor Frankl hat ja in seinem Buch „Trotzdem Ja zum Leben sagen“ beschrieben, wie man den Glauben an die Bejahungswürdigkeit des Lebens auch angesichts solcher Extremsituationen wie dem Holocaust aufrechterhalten kann.

Wobei die privaten Briefe aus der Zeit nach der Befreiung aus seinem letzten Lager zeigen, dass Frankl dieses „Ja zum Leben“ anfangs nicht leicht fiel. In einem Brief schrieb er damals, ihn halte einzig die Verantwortung für sein Werk – vom Faschismus jäh unterbrochen – am Leben und die Hoffnung, sich als Arzt dessen würdig zu erweisen, überlebt zu haben. Das waren dunkle Tage; aber das Wissen um eine Aufgabe hielt ihn im Leben. Das alles änderte sich dann schlagartig, als er seine zweite Frau, Eleonore Frankl, kennenlernte. Aber das „Ja“, das Frankl 1945 aussprach, war in gewisser Weise im Vorschussvertrauen ausgesprochen – tragischer Optimismus. 

Wir können unmöglich die ganze Welt ändern. Aber in der Familie, der Straße, im eigenen Umfeld – diese Welt ist uns anvertraut. 

Sie haben Ihr Buch gemeinsam mit Elisabeth Lukas geschrieben. Sie ist eine der prominentesten direkten Schülerinnen Viktor Frankls …

… und ich habe das große Glück, dass sie auch meine Lehrerin ist. Wir sind seit rund 23 Jahren vor allem in Briefkontakt (nicht E-Mail!) geblieben. Und irgendwann war uns klar: Die Welt hat sich seit 1997 (Frankls Todesjahr) so grundlegend geändert, es sind so viele Fragen offen, so viele Herausforderungen der Gegenwart – und so beschlossen wir, gemeinsam zwei Bücher zu schreiben: Gespräche über die Gegenwart aus der Perspektive der Logotherapie. 

Ihr aktuelles Buch heißt: „Die Welt ist nicht heil, aber heilbar.“

Diese Aussage stammt von Viktor Frankl: Die Welt ist zutiefst verwundet, und wir haben uns als Menschheit über die letzten Jahrzehnte auch einiges zugemutet. Aber sie ist heilbar. Wir wollten an konkreten Beobachtungen und Studienergebnissen zeigen, dass es sich lohnt, sich um Heilung zu bemühen.Wobei wir natürlich realistisch bleiben müssen: Wir können unmöglich die ganze Welt ändern. Aber unsere Welt – in der Familie, der Straße, im eigenen Umfeld – diese Welt ist uns anvertraut.

Wir haben uns schon eine sehr harte soziale Welt geschaffen – und zugleich sehnen sich viele Menschen nach einem anderen Umgang mit sich, anderen Menschen und der Umwelt. Wir wollten zeigen, dass es gut ist, diesen Ruf zu vernehmen und aufzugreifen. Idealismus und Hoffnung haben ja nicht überall einen guten Leumund; daher wollten wir ein bisschen zu ihrer Rehabilitation, gerade auch angesichts des Leids, beitragen. Manchmal offenbart sich die ganze Fragwürdigkeit unserer Härte erst, wenn das Leben jäh gestoppt wird, vor allem im und durch das Schicksal.

Was ist der erste Schritt auf dem Weg der Heilung?

Das Anerkennen der Wirklichkeit, auch des Leidvollen. Das scheint mir auch wichtig, wenn man tröstet: Nicht vorschnell zu sagen: „Das wird schon wieder.“ Wir müssen realistisch sein. Manchmal wird es ja auch nicht wieder; das gilt es zu würdigen: „Ich sehe, dass du leidest; ich bin für dich da.“ Es ist eigentlich seltsam, dass die Anerkennung des Leidens für viele erst einmal entlastend wirkt. In einer leistungsorientierten Welt zu sagen: „Ich kann nicht mehr, bitte hilf mir“ – das ist einfach sehr menschlich. Und von hier aus gilt es, Freiräume zu erschließen – den Blick zu richten auf das, was jetzt noch möglich ist. 

Auch bei unheilbar Kranken?

Frankl hat immer gesagt: Bis zum letzten Atemzug hat unser Leben Sinn, sonst wären wir nicht wir und wären wir nicht da. Ich werde nie vergessen, wie ich im Rahmen meiner Gastprofessur in Moskau eines Tages mit einem Team von Therapeuten und Seelsorgern Visite machte. Vor einem Zimmer verstummten wir, wir wussten wirklich nicht, was wir zu den zwei 80-jährigen Männern in diesem Zimmer sagen sollten: beide Krebs im Endstadium, mutterseelenallein, keine Familie; beide wenige Tage Lebenszeit.

Wo waren da noch Sinnmöglichkeiten? Wo Freiraum? Als wir aber den Raum betraten, sahen wir, wie der eine am Bett des anderen kniete, seine Hand hielt und ihn tröstete. Wir sind rückwärts wieder raus aus dem Zimmer. Dem war nichts hinzufügen. Vielleicht hilft es ein bisschen, sich vom Leistungsdenken hin zu einem menschlicheren Umgang mit uns und der Welt zu bewegen. Dann zeigt sich, dass noch so vieles auf uns an Sinnmöglichkeiten und Begegnungen wartet. 

Wir beginnen heute unsere Reihe „Passionswege“, auch im Leben lösen sich viele Herausforderungen nicht mit einem Fingerschnipp, sondern sind ein Weg, den wir gehen müssen.

Es gibt – das muss man sich gerade in unserer Leistungsgesellschaft immer wieder aufs Neue vor Augen führen – keine „Norm“ menschlichen Lebens, nur inviduelle Lebenswege. Gerade im Leid tun uns daher Vergleiche mit anderen, denen es scheinbar besser geht, Unrecht; sie bereiten uns Schmerz, wo keiner sein müsste. Aber wenn wir uns gegenüber so barmherzig und geduldig sind, wie wir es uns von anderen erhoffen, fällt es leichter, einen Tag nach dem anderen zu bewältigen – und sich bereitzuhalten für die Sinnmöglichkeiten, die in unser Leben treten können; vielleicht nicht gleich, aber bald.

Schlagwörter
Autor:
  • Veronika Bonelli
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